«Technologie, Forschung, Leidenschaft: so bringen wir die Urologie am EOC auf Top-Niveau»
Gespräch mit dem neuen Chefarzt Andrea Gallina, der vom Mailänder Krankenhaus San Raffaele nach Lugano gekommen ist. Ein mehrfach-spezialisiertes Team für die Behandlung der onkologischen Patienten, Kooperation mit anderen Schweizer und internationalen Zentren, Schulung neuer Mediziner die bereit sind, im Tessin zu bleibendi Elisa Buson
Inmitten der Pandemie liess er es sich nicht zweimal sagen, packte seine Koffer samt Frau und Kindern und zog von Mailand nach Lugano. Mit im Gepäck der weisse Kittel und über 15 Jahre Erfahrung im Bereich der Urologie und der robotergestützten Chirurgie, die er neben dem Klinikum der Universität Montreal in Kanada und der OLV-Klinik in Aalst, Belgien, an einem der europaweit führenden Zentren, dem Krankenhaus San Raffaele, sammeln durfte. Und im Kopf bereits die Idee, einen neuen persönlichen und beruflichen Weg einzuschlagen und eine Mission: Den Ausbau des urologischen Services im Tessin, um ihn auf Spitzenniveau zu bringen.
Professor Andrea Gallina, seit letztem Januar sind Sie Chefarzt der Abteilung für Urologie am Bezirkskrankenhaus Lugano und Dozent für Urologie an der Fakultät für biomedizinische Wissenschaften der Università della Svizzera italiana (USI). Was hat Sie dazu bewegt, das San Raffaele zu verlassen und sich auf dieses neue Abenteuer einzulassen?
«Die Idee, mir einen eigenen Raum zu schaffen und unabhängig zu werden. Mein Lehrmeister, Professor Francesco Montorsi, pflegte zu sagen: “Ich habe dir die Beine gegeben, laufen musst du selber”, und genau das möchte ich jetzt tun. Am meisten fasziniert hat mich die Perspektive, an einer neuen, sich im Aufbau befindlichen Universität zu arbeiten, welche die Möglichkeit für einen innovativen Weg mit Top-Qualität bietet. Was ich hier vorfand, hat mich stark an das San Raffaele der Anfangszeit erinnert, als ich mich selbst an der medizinischen Fakultät einschrieb. Mir gefiel die Vorstellung, diesen fantastischen Weg in einem dynamischen Umfeld, in Begleitung junger und motivierter Personen, erneut zu beschreiten. Das Projekt an der USI ist ambitioniert und es besteht die Möglichkeit, einen Master in Medizin auf sehr hohem Niveau einzurichten. In diesen Tagen arbeiten wir an den letzten Details für das zweite Semester. Für die 48 eingeschriebenen Studenten haben wir auch ein sehr ansprechendes Programm in Urologie aufgenommen».
Als Urologe, welche Situation haben Sie in der Schweiz vorgefunden?
«Das Gesamtbild ist ein bisschen anders als in anderen europäischen Ländern. In Italien beispielsweise gibt es die Figur des Bezirks-Urologen nicht, hier hingegen habe ich einen anderen Umgang mit dem Patienten und anderen Dynamiken vorgefunden, die ich in diesen Monaten nach und nach kennenlerne. Sowohl innerhalb als auch ausserhalb des EOC gibt es hier ausgezeichnete Fachleute, die jedoch keine grossen Fallzahlen behandeln können, weil das Einzugsgebiet relativ klein ist und weil sich die Konkurrenz der anderen Zentren in der Schweiz und in Italien bemerkbar macht. Mein Ziel ist es, den Drang der Patienten nach einer Behandlung ausserhalb des Kantons zu mildern und idealerweise zu stoppen».
Und wie möchten Sie Patienten, die an Prostatakrebs oder Nierensteinen leiden überzeugen, zur Behandlung im Tessin zu bleiben?
«Ganz einfach, indem wir einen immer besseren Service bieten. Wir setzen auf einen disziplinübergreifenden Ansatz, um eine wahre Rundum-Assistenz zu bieten: Beispielsweise müssen alle Tumorfälle in der Urologie durch Bündelung der Fachkompetenzen verschiedener Spezialisten behandelt werden, vom Urologen über den Onkologen bis hin zum Radiologen und Psychologen, die sich einmal wöchentlich treffen, um die Lage der einzelnen Patienten zu besprechen und konkrete Antworten auf ihre Bedürfnisse zu erarbeiten».
Wird der Patient zu Ihnen kommen oder kommen Sie zum Patienten?
«Es ist unser Wunsch, endlich die Idee des Bezirkskrankenhauses mit vier Sitzen, aber unter einer Koordination, zu verwirklichen. Das bedeutet aus praktischer Sicht, einen Standard-Service an allen Sitzen für die gängigsten Krankheitsfälle bieten zu können und dann die Fachbereiche für die komplizierteren Fälle an spezifischen Standorten zu zentralisieren. So kann sich ein Patient mit einfachen Nierensteinen an jedem Standort angemessen behandeln lassen, bei einem komplexeren Krankheitsbild wird er dann an das Zentrum in Mendrisio verwiesen, wo die für seinen Fall erforderliche Ausrüstung vorhanden ist. Gleichermassen kann man die hochkomplexe Chirurgie im Krankenhaus von in Lugano ansiedeln, während urologische Routineeingriffe an allen Häusern des EOC durchgeführt werden können. Die Fachärzte selbst wechseln von einem Standort an den nächsten, um dort zu operieren, wo Bedarf herrscht und um somit einen Service immer mehr nach Mass zu bieten. Mit diesem Ansatz wird es uns gelingen, das Fachwissen zu optimieren, die Fälle zu konzentrieren und zugleich auch die Kosten im Rahmen zu halten. Das Projekt befindet sich in der Entwicklungsphase und ist, offen gesagt, aus bürokratischer Sicht auch recht komplex aber wir sind guter Dinge».
Ist auch eine Erhöhung der Anzahl an Fachärzten vorgesehen?
«Durch die Universität möchten wir neue Leute gewinnen, junge Leute, die an einer Ausbildung im Tessin interessiert sind und dann zur Ausübung ihres Berufs auch hierbleiben möchten. Und damit meine ich nicht Chirurgen, die nur operieren: Ich meine die moderne Figur des Chirurgen und Forschers, der sich nicht nur auf die Ausübung des chirurgischen Handwerks beschränkt, sondern der seine Daten untersucht und auswertet sowie klinische Forschung und Innovation anstrebt».
In puncto Forschung darf das Tessin in der Urologie auf internationale Experten zählen: Wie kann das den Patienten zum Vorteil gereichen?
«Indem man Raum und Zeit für die translationale Forschung findet, die eben dazu dient, die Erkenntnisse aus dem Labor ans Patientenbett zu bringen. Für die Nephrologie, die Orthopädie und das Cardiocentro (Herzzentrum) ist bereits viel geschehen, aber für die Urologie muss alles noch aufgebaut werden: Wir machen das gemeinsam mit der USI und den Forschungsinstituten, die zum EOC gehören oder mit ihm zusammenarbeiten. Ausserdem sind wir an einer Ausschreibung für eine Finanzierung der USI für junge Forscher beteiligt, über die wir einen Posten speziell für die Erforschung und das Management der Daten erhalten werden».
Und welche Rolle wird die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit in dieser Hinsicht spielen?
«Eine grundlegende. Zunächst habe ich aber dem Aufbau eines interkantonalen Netzwerks Vorrang gegeben: Dadurch haben wir begonnen, die ersten Kontakte mit den grossen Schweizer Universitäten zu knüpfen, über gemeinsame Forschungszweige nachzudenken und die Grundlagen für neue Kooperationen mit den Kollegen in Lausanne und Genf geschaffen. Selbstverständlich werden wir auch die internationale Zusammenarbeit pflegen, vor allem mit dem San Raffaele, und dann werden wir uns um die Einbindung in grosse, mehrere Länder umfassende Konsortien und Forschungs-Netzwerke bemühen. Wir gehen einen Schritt nach dem anderen: In sechs Monaten kann man nicht alles ändern, sondern wir arbeiten an einem langfristigen Projekt. Es gibt intrinsische, organisatorische und bürokratische Hürden, und auf manche Schwierigkeiten, wie z.B. die Coronakrise oder die nicht erfolgten Einigungen mit der EU, haben wir keinen Einfluss. Nichtsdestotrotz versuchen wir alles: Es wäre eine Schande, diese Chance nicht zu nutzen».
Foto di Loreta Daulte Guarda la gallery (3 foto)