Biowissenschaften

Entwicklung von neuartigem künstlichem Gewebe im „Kompetenzzentrum“ zur Vermeidung von Tierversuchen

Sonntag, 12. März 2023 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana
Matteo Moretti, Leiter des Labors für Regenerative Medizin am EOC (Foto: Loreta Daulte)
Matteo Moretti, Leiter des Labors für Regenerative Medizin am EOC (Foto: Loreta Daulte)

Treffen in Bellinzona anlässlich der Einrichtung des neuen Zentrums für Life Sciences, die in wenigen Wochen offiziell werden soll. Es ist eine innovative Partnerschaft zwischen öffentlichen Instituten und privaten Unternehmen geplant
von Paolo Rossi Castelli

Das langersehnte und lange Zeit nur vage umrissene Kompetenzzentrum für Life Sciences (Biowissenschaften) scheint nun die Zielgerade erreicht zu haben. In wenigen Wochen wird die Eröffnung dieses Zentrums (das man eher als technologische Vereinigung oder Club im weitesten Sinne bezeichnen sollte) offiziell bekanntgegeben. Es wird auch verkündet, wer der Direktor oder zumindest der Leiter des Zentrums, von dem wichtige Ergebnisse erwartet werden, sein wird und in welchem Gebäude das Zentrum untergebracht sein wird. Auf jeden Fall wird es seinen Standort in Bellinzona haben, das sich inzwischen zum kantonalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung entwickelt hat. 

Doch mit welchen Aufgaben wird dieses neue Zentrum betraut sein? Die Gründungspartner beantworteten diese Frage im Rahmen einer Pressekonferenz, die am 24. Februar im Gebäude des Vereins Bios + (ebenfalls in Bellinzona) abgehalten wurde. Alles wird sich zumindest anfangs um ein bestimmtes Thema drehen: die „Biofabrikation“, eine zukunftsweisende Technologie zur Herstellung von künstlichem Gewebe mithilfe verschiedener Systeme (genetisch veränderter Zellen, Trägermaterialien und 3D-Druck). Dieses künstliche Gewebe soll eingesetzt werden, um geschädigtes biologisches Gewebe (z. B. durch Verbrennungen geschädigte Haut) oder krankes Gewebe (z. B. durch Arthrose verschlissenen Knorpel) zu reparieren oder zu ersetzen. Der Tessiner Spitalverbund Ente Ospedaliero Cantonale (EOC) verfügt über ein hochmodernes Labor in diesem Bereich, nämlich das Labor für Regenerative Medizin, das vom Bioingenieur Matteo Moretti geleitet wird, der auch als Professor an der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften der Università della Svizzera italiana (USI) lehrt. Dieses Labor wird einer der Angelpunkte des Kompetenzzentrums sein. «Wir werden schweizerische oder ausländische Privatunternehmen einbeziehen, die sich auf diesem Gebiet als innovativ erwiesen haben und gemeinsame Forschung betreiben möchten», erklärt Lorenzo Ambrosini, Direktor der Stiftung Fondazione Agire gegenüber Ticino Scienza. «Wir möchten eine Art Wissensinkubator sein und werden ein besonderes Augenmerk auf Studien legen, die das Potenzial haben, zu konkreten Anwendungen zu führen». Das zentrale Thema, mit dem man sich im Bereich der Biofabrikation befassen wird, ist die Erforschung von möglichst menschenähnlichem künstlichem Gewebe, an dem in Zukunft neue Medikamente getestet oder bereits zugelassene „neu positioniert“ werden können, ohne dass dafür wie bisher Labortiere eingesetzt werden müssen (eine Notwendigkeit, die sich nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch aus Sicherheitsgründen ergibt, da sich die Biologie der Tiere nicht immer mit der des Menschen deckt). «Wir schliessen jedoch nicht aus, dass sich das Kompetenzzentrum im weiteren Verlauf dieser Initiative auch mit anderen Themen befassen wird».

Zu den Gründungspartnern des neuen Zentrums zählen die Stadt Bellinzona, der Dachverband Farma Industria Ticino (dem 50 im Kanton tätige Pharmaunternehmen angehören), das EOC, der Verein Bios + (der vom Forschungsinstitut für Biomedizin IRB und dem Onkologischen Forschungsinstitut IOR gegründet wurde), die USI und die Fachhochschule Südschweiz SUPSI (Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana) – also, kurz gesagt: die wichtigsten Akteure der Tessiner Forschungsszene. Das Projekt steht unter der Leitung der Stiftung Fondazione Agire (deren Auftrag es ist, Innovationen zu fördern) und kann im Rahmen des umfangreichen Projekts Switzerland Innovation Park Tessin, das mit dem von Zürich verbunden ist, über kantonale Finanzierungen verfügen.

Wie sollen die neben den öffentlichen Institutionen in das Projekt aufgenommenen (oder besser gesagt die für das Projekt zugelassenen) innovativen Privatunternehmen eingebunden werden? Das neue Kompetenzzentrum wird als hochmoderner Inkubator bzw. als eine Art technologische Coworking-Plattform fungieren. «Wir werden Privatunternehmen, die sich beteiligen möchten (und somit zu Teilhabern werden), eine Reihe hochwertiger Dienstleistungen und Infrastrukturen zur Verfügung stellen, angefangen bei den neuen Laboren, die im vierten Stock des ehemaligen Gebäudes des IRB in der Via Vela, das mittlerweile im Besitz der Stadt Bellinzona ist, eingerichtet werden», erklärt Ambrosini. «Darüber hinaus werden wir auch fortschrittliche Geräte anbieten können, die für ein einzelnes Unternehmen zu teuer sind, sowie Fachpersonal, IT-Systeme, Kontaktnetzwerke in der Schweiz und im Ausland, Büros, Rechtsberatung, vereinfachte Verfahren für Verwaltungsangelegenheiten und so weiter. Es wird sich um eine Art „Paket“ handeln, das eine Reihe von Elementen umfassen wird. Wir verstehen uns allerdings nicht als reines Dienstleistungszentrum. Wir werden uns auf die Suche nach Unternehmen begeben, die wirklich mit uns zusammenarbeiten und gemeinsame Forschung betreiben möchten. Diese Art von Coworking wird natürlich vor allem in der ersten Phase der Forschung funktionieren. Sobald allerdings kommerziell verwertbare Ergebnisse erzielt werden, wird jedes Unternehmen seinen eigenen Weg gehen».

Neben dem Kompetenzzentrum für Biowissenschaften (die unter anderem den pharmazeutischen, biotechnologischen und medizintechnischen Bereich umfassen) wurde im Rahmen des Projekts „Switzerland Innovation Park Tessin“ in Lodrino bereits ein Kompetenzzentrum für Drohnen eingerichtet. Auch das Lifestyle-Tech-Zentrum in Lugano steht kurz vor der Eröffnung. Es handelt sich um ein originelles „Betriebsmodell“, für das es in Europa nicht viele ähnliche Beispiele gibt. Der Kanton wird im Rahmen des aktuellen Rahmenkredits der regionalen Wirtschaftspolitik eine Finanzierung in Höhe von mehreren Millionen zur Verfügung stellen, wie Staatsrat Christian Vitta auf der Pressekonferenz des Vereins Bios+ betonte. «Allerdings werden auch die Unternehmen, die sich an dem Projekt beteiligen und mit uns in Bellinzona zusammenarbeiten werden, Investitionen tätigen müssen», so Ambrosini abschliessend.