die Meinung

Neugier ist die stärkste Waffe im Kampf gegen Fake News

Sara Rubinelli
Dienstag, 17. Oktober 2023 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

von Sara Rubinelli
Professor für Gesundheitskommunikation an der Universität Luzern

Wir leben in einem Zeitalter, das durch eine noch nie dagewesene globale und digitale Vernetzung gekennzeichnet ist, und sehen uns ständig mit einer Flut an Falschinformationen konfrontiert: der Desinformation. Dieser Begriff, der angesichts seiner tatsächlichen Tragweite beinahe zu simpel klingt, bezeichnet ein komplexes und allgegenwärtiges Phänomen. Desinformation ist ein gewaltiges Meer aus falschen, trügerischen oder einfach irreführenden Informationen, die entweder absichtlich oder unabsichtlich erstellt und verbreitet werden können. Es gibt beunruhigende Belege dafür, dass die sich in unser Leben einschleichende Desinformation von Personen verbreitet wird, die von der Richtigkeit dieser Fehlinformationen überzeugt sind und auf den Wahrheitsgehalt des Gelesenen, Gesehenen oder Gehörten vertrauen.

Die Gesundheit, ein gleichermassen wichtiger wie heikler Bereich unseres Lebens, ist besonders stark Desinformationsangriffen ausgesetzt. Während der COVID-19-Pandemie erlebte die gesamte Weltbevölkerung die zerstörerische Kraft der Desinformation: Sie erzeugte Panik, schürte das Misstrauen gegenüber Institutionen, manipulierte das Verhalten der Massen und stellte somit eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Wenn eine Person aufgrund von Fehlinformationen falsche Gesundheitstipps befolgt, kann das schwerwiegende oder sogar tödliche Folgen haben. Verschwörungstheorien und Falschmeldungen haben eine Relevanz, die über den rhetorischen Diskurs hinausgeht, da sie direkte und konkrete Auswirkungen auf das reale Leben der Menschen haben können.

Der Kampf gegen Desinformation ist eine anspruchsvolle Herausforderung, wenn nicht sogar eine der schwierigsten unserer Zeit. Unser Denkprozess ist voller Tücken und kognitiver Fallen, die unser Urteilsvermögen trüben und unsere Wahrnehmung der Realität verändern. Wir sehen uns gern als präzise und objektive Denker, neigen jedoch in Wirklichkeit dazu, unsere Meinungen überzubewerten und nach einer Bestätigung dessen zu suchen, was wir bereits für wahr halten. Diese psychologische Tendenz, auch „Confirmation Bias“ bzw. „Bestätigungsfehler“ genannt, führt dazu, dass wir Informationen so ermitteln, interpretieren und auswählen, dass unsere bestehenden Überzeugungen oder Annahmen bestätigen.

Ein weiterer verbreiteter Denkfehler ist der sogenannte „Authority Bias“ bzw. die „Autoritätsgläubigkeit“: Wir neigen dazu, den Meinungen derjenigen mehr Gewicht zu geben, die wir als Experten oder Autorität wahrnehmen. Dieses Phänomen trat während der Pandemie besonders deutlich zutage: Viele Menschen hörten auf die Meinungen und Ratschläge bekannter oder einflussreicher Persönlichkeiten, egal, ob diese tatsächlich über medizinische bzw. wissenschaftliche Kenntnisse verfügten.

Gesundheit und Wohlbefinden erfordern ständige, intensive Bemühungen: Es ist ein steiniger Weg der Selbstdisziplin, des Bewusstwerdens und der Änderung des Lebensstils. Mit dem Rauchen aufzuhören, sich ausgewogen zu ernähren, regelmässig Sport zu treiben: all diese Schritte erfordern Engagement und Hingabe. In einer schnelllebigen Welt, in der es eine Sehnsucht nach sofortigen Lösungen gibt, lassen wir uns leicht von denen verführen, die schnelle und einfache Lösungen versprechen. Während der COVID-19-Pandemie zum Beispiel suchten viele nach Rechtfertigungen, um das Tragen von Masken zu vermeiden, ungeachtet des Wahrheitsgehalts oder der Relevanz solcher Argumentationen.

Ein weiterer beunruhigender Aspekt der Desinformation ist die Tatsache, dass sie die Illusion einer Rebellion gegen die sogenannten „vorherrschenden Narrative“ vermitteln kann. Falschmeldungen wirken manchmal wie verborgene Wahrheiten, die einer aufgeklärten Minderheit vorbehalten sind, die sich dem vorherrschenden Denken widersetzt, welchem man vorwirft, Ideen zu vereinfachen und die Wahrheit zu verschleiern. Falschmeldungen stellen also eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar, da sie das Vertrauen in die Institutionen untergraben und Polarisierung sowie Konflikte fördern.

Um sich in der Flut an Gesundheitsinformationen zu orientieren, ist es unerlässlich, nicht nur über ein solides Verständnis der wissenschaftlichen Methode zu verfügen, sondern auch zu verstehen, wie Gesundheitseinrichtungen funktionieren und wie die Leitlinien für die öffentliche Gesundheit zustande kommen. Die wissenschaftliche Forschung ist eine rigorose und systematische Untersuchung, die darauf abzielt, neue Fakten und Prinzipien zu entdecken oder eine bestehende Theorie zu überprüfen. Die daraus resultierenden Erkenntnisse und Empfehlungen sind das Ergebnis einer sorgfältigen Analyse und einer Begutachtung durch Experten auf diesem Gebiet.

Gesundheitseinrichtungen sind keine autoritären Instanzen, die uns vorschreiben, was wir denken oder tun sollen. Vielmehr sind sie Informationsquellen, die auf wissenschaftlichen Studien und Untersuchungen beruhen und unentbehrliche Hilfsmittel für unsere gesundheitlichen Entscheidungen darstellen. Ihr Hauptziel ist der Schutz und die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit durch Bereitstellung evidenzbasierter Leitlinien und Empfehlungen.

Kurz gesagt, jedes Mal, wenn wir unser Smartphone benutzen, auf einen Link klicken oder eine Nachricht teilen, treffen wir eine Entscheidung. Eine Entscheidung, die nicht nur unser eigenes Leben, sondern auch das anderer Menschen beeinflussen kann. Der Kampf gegen Desinformation beginnt also bei uns selbst: mit unserer Neugier und unserer Bereitschaft, Informationen zu hinterfragen, anstatt uns mit Vereinfachungen zufriedenzugeben. Wir sollten immer daran denken, dass jede Information, die uns erreicht, durch den Filter unseres Wissens, unserer Vorurteile und unserer Erfahrungen läuft. Der Schlüssel, um in der Flut der Desinformation nicht zu ertrinken, ist die unstillbare Neugier, das kontinuierliche Hinterfragen der Informationen sowie die unermüdliche Suche nach der Wahrheit hinter den Fassaden des Scheins.