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Im Rahmen des Swiss Biotech Day in Basel wurde das Tessiner Unternehmen Humabs für seine „Erfolgsgeschichte“ ausgezeichnet

Freitag, 9. Juni 2023 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana
Filippo Riva, Managing Director des Unternehmens Humabs BioMed aus Bellinzona, das von der US-amerikanischen Unternehmensgruppe Vir Biotechnology übernommen wurde (Foto: Marian Duven)
Filippo Riva, Managing Director des Unternehmens Humabs BioMed aus Bellinzona, das von der US-amerikanischen Unternehmensgruppe Vir Biotechnology übernommen wurde (Foto: Marian Duven)

Die Auszeichnung wurde im Rahmen der wichtigsten Jahrestagung des Verbandes der Schweizer Biotech-Unternehmen verliehen. Es wurden auch die Branchenzahlen veröffentlicht, die auf nationaler Ebene sehr positiv ausfielen
von Simone Pengue

Zwischen einer Visitenkarte und der Unterzeichnung eines Vertrags sind Reagenzgläser, Zellen und Proteine zu sehen. Das ist kein Wunder, denn am Swiss Biotech Day 2023, der in Basel abgehaltenen Tagung der Biotech-Unternehmen, tummelten sich ebenso viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Unternehmerinnen und Unternehmer. Im Rahmen der international ausgerichteten Diskussionen kommt auch die Stimme des Tessins zu Wort, die sich durch die grosse Resonanz auf den Preis „Swiss Biotech Success Story“, der an das Bellinzoneser Unternehmen Humabs BioMed ging, auch am Rheinufer Gehör verschafft hat. Mit dieser Auszeichnung würdigte der Verband der Schweizer Biotech-Unternehmen Swiss Biotech Association, der zusammen mit der BIOCOM AG die Veranstaltung organisierte, die fast 20-jährige Geschichte des Unternehmens Humabs BioMed, das damit zu einem Vorbild für die gesamte Branche wurde.

Das 2004 gegründete Unternehmen wurde 2017 von der US-amerikanischen Unternehmensgruppe Vir Biotechnology übernommen, der es heute als Tochtergesellschaft angehört. Im Laufe der Jahre hat das Start-up Verträge mit Giganten wie Novartis und MedImmune (AstraZeneca-Gruppe) unterzeichnet und beschäftigt derzeit rund fünfzig fest angestellte Mitarbeitende, darunter zahlreiche Forscherinnen und Forscher.
Humabs BioMed ist das konkrete Ergebnis der Forschungen über das Immunsystem, die Anfang der 2000er Jahre von Professor Antonio Lanzavecchia am Forschungsinstitut für Biomedizin (IRB – Istituto di Ricerca in Biomedica), aus dem das Unternehmen Humabs als Spin-off hervorgegangen ist, durchgeführt wurden. Das Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, Medikamente zur Bekämpfung von viral oder bakteriell bedingten Erkrankungen mithilfe monoklonaler Antikörper zu entwickeln: Es handelt sich um Proteine, die denen ähneln, die vom menschlichen Körper produziert werden (jedoch im Labor modifiziert und verbessert werden). Monoklonale Antikörper identifizieren Krankheitserreger und binden stark an sie an. In der Folge erkennen die anderen Akteure des Immunsystems die Gefahr und können zum Gegenangriff übergehen (auch die Antikörper selbst können den „Feind“ neutralisieren). Eines der eklatantesten Beispiele ist sicherlich SARS-CoV-2, ein berüchtigtes Virus, das für Menschen mit einem besonders schwachen Immunsystem immer noch tödlich ist: Zur Bekämpfung dieses Virus hat Humabs BioMed einen der wenigen weltweit existierenden monoklonalen Antikörper zur Behandlung von Covid-19-Patienten entwickelt. Mehr als zweieinhalb Millionen Dosen dieses Antikörpers wurden bereits geliefert.

Die in Basel abgehaltene Tagung bot ausserdem den passenden Rahmen für die Präsentation des Swiss Biotech Report 2023, des jährlichen Berichts über die Schweizer Biotech-Industrie, der von der Swiss Biotech Association in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen erarbeitet wird. Die Biotechnologie, die neben der Spitzenmedizin beispielsweise auch Produkte für die Landwirtschaft und den Umweltschutz umfasst, erreichte 2022 einen neuen Rekordumsatz von 6,8 Milliarden Schweizer Franken, was einer Steigerung von 7,9 % gegenüber dem Vor-Pandemie-Niveau von 2019 entspricht. Ganze 20 % der europäischen Biotech-Unternehmen haben die Schweiz als Hauptsitz gewählt. Ausschlaggebend dafür waren Faktoren wie die Lage des Landes im Herzen des Kontinents sowie dessen moderne Infrastruktur, das unternehmensfreundliche Umfeld und der breit gefächerte Pool an Talenten.
Der Schweizer Biotech-Markt ist hauptsächlich auf den Export ausgerichtet, wie der Anstieg der Exporte biotechnologischer Produkte um 255 % in den letzten 20 Jahren bezeugt. Das Geheimnis dieses Erfolgs ist neben der sprichwörtlichen Schweizer Präzision die enge Synergie zwischen Wissenschaft und Industrie. Hochschulforschung, die nicht an die Buchführung gebunden ist, stellt eine ergiebige Quelle innovativer Ideen dar. Wenn akademischen Forschenden die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, führt ihre Kreativität oft zu unvorhersehbaren Lösungen für die scheinbar unlösbaren Probleme der Gesellschaft. Mit der richtigen Infrastruktur, umfangreichen finanziellen Mitteln und vor allem einer gehörigen Portion Geduld können diese Ideen dann in marktfähige Produkte umgesetzt werden. Der Weg vom Labortisch einer Hochschule bis zum Ladentisch kann mehrere Jahre dauern und bei Medizinprodukten ohne Weiteres Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die aktuellen Zahlen sind also das Ergebnis einer weitsichtigen öffentlichen Politik, mutiger Investitionen und unermüdlicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, und bestätigen somit die grosse – unter anderem wirtschaftliche – Bedeutung der wissenschaftlichen Grundlagenforschung. 

Trotz des Erfolgs des Unternehmens Humabs hat der Swiss Biotech Day jedoch gezeigt, dass das Tessin noch viel Arbeit vor sich hat, um die Augenhöhe mit den deutschsprachigen Kantonen zu erreichen. Die Präsenz des Tessins auf der Veranstaltung war zwar sehr beeindruckend, beschränkte sich jedoch leider auf einige kurze Höhepunkte. Die geringe Zahl der vertretenen Unternehmen reichte nämlich nicht aus, um während der zweitägigen Veranstaltung jenseits des Gotthardpasses die Wachstumsambitionen des Kantons zu vermitteln. Auch die Beteiligung des Tessins am Swiss Biotech Report 2023 war eher bescheiden, da die regionalen Daten der italienischen Schweiz mit denen von Zürich zusammengeführt wurden, weshalb die Ergebnisse der jüngsten politischen, wirtschaftlichen und akademischen Bemühungen zwischen Airolo und Chiasso nicht klar ersichtlich sind. Auf die Anfragen von Ticino Scienza hin hat sich der Lenkungsausschuss des Swiss Biotech Report öffentlich dazu verpflichtet, die Tessiner Daten im Jahr 2024 separat zu publizieren. Die Präsenz auf Papier soll den Tessiner Unternehmen Mut machen und dem Rest des Landes ein Zeichen der Stärke senden.