Prävention

Die Tollwut wurde dank
der Impfstoffe für Füchse ausgerottet, aber man bleibt wachsam

Freitag, 9. Juni 2023 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana
(Foto Shutterstock)
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Es spricht der ursprünglich aus der italienischen Schweiz stammende und seit Jahren am Berner Institut für Virologie tätige Virologe Reto Zanoni. Die letzten Spuren im Kanton Bern, aber an den Ostgrenzen der Europäischen Union sind die Infektionen immer noch präsent
von Valeria Camia

Vielleicht erinnert sich jemand an die Schlagzeile. Es war 2010 und auch im Kanton Tessin kursierten im Februar desselben Jahres Zeitungsartikel, die von Tollwutfällen (bei Haustieren) berichteten, die in einigen Regionen Norditaliens entdeckt worden waren. Nichts Besorgniserregendes, laut der Behörden, aber in ausreichender Zahl, um die Menschen, die in der Nähe der italienischen Grenze lebten, zu beunruhigen, zumal die letzten Fälle von Tollwut bei einheimischen Tieren in der Schweiz im Jahr 1996 beobachtet wurden. Seitdem ist die durch ein Virus übertragene Krankheit nur gelegentlich aufgetreten, zum Beispiel im Jahr 2017 in Neuchâtel bei einer seltenen Fledermausart (die nicht in bewohnten Gebieten vorkommt), und danach erneut 2022 im Kanton Bern. Die Schweiz gilt seit 1999 offiziell als frei von Tollwut bei wildlebenden Tieren. Aber ist das definitiv? Und was ist angesichts der grenzüberschreitenden Übertragung des Virus von Tier zu Tier in der Schweiz und anderswo zu tun, um diese Tierkrankheit, die in einigen Fällen auch für Menschen sehr gefährlich werden kann, unter Kontrolle zu halten und auszurotten?

«In den letzten zehn Jahren hat sich in der Forschung viel getan, mit zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen erklärt Reto Zanoni, bis vor wenigen Monaten Leiter des Tollwutzentrums des
Instituts für Virologie und Immunologie in Bern (Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen). Gleichwohl sollte man sich nun mehr auf Präventionsprogramme konzentrieren, die die lokale Bevölkerung aktiv einbeziehen (zum Beispiel durch aktive Nachverfolgung der Kontakte). Kurz gesagt, das erworbene und aus der biomedizinischen Wissenschaft stammende Wissen sollte in die Analyse der Bedingungen vor Ort integriert werden, die die Übertragung und das Vorhandensein von Tollwut ermöglichen».

Die Familie von Zanoni stammt ursprünglich aus der italienischen Schweiz (genauer gesagt aus Brusio im Puschlav), der Virologe hat jedoch seine Jugend in Samedan im Engadin verbracht und ist später nach Zürich gezogen, um dort an der Universität zu studieren. Seit Ende der 80er Jahr beteiligt sich Zanoni am Projekt zur Ausrottung der Fuchstollwut durch orale Immunisierung dieser Tiere, unter Verwendung spezieller Impfstoffe. Die Schweiz kann auf diesem Gebiet eine wichtige Bestleistung verzeichnen: Tatsächlich gehen die weltweit ersten Anwendungen der oralen Immunisierung von Füchsen Ende der 70er Jahre auf den Virologen Franz Steck und die Zoologen Alexander Wandeler und Andreas Kappeler zurück. Worum handelt es sich? «1978 so Zanoni wurden im Wallis zum ersten Mal Hühnerkopfköder verwendet, die einen abgeschwächten Lebendimpfstoff für Füchse enthielten. Davor hatte es andere amerikanische Studien zum Nutzen des Schluckimpfstoffs gegeben, dieser wurde aber immer nur an Füchse in Käfigen verabreicht». 

STRATEGIE AUF DREI EBENEN Es ist spannend, „die Geschichte“ zu hören, wie die Schweiz dazu kam, die Tollwut auszurotten. «In unserem Land erklärt Zanoni wurde auf mehreren Ebenen gearbeitet: Die Suche nach geeigneten Strategien, um die Tiere zu erreichen und den Impfstatus zu überprüfen, die Entwicklung eines geografisch-epidemiologischen Konzepts für die Umsetzung von Impfstrategien und die Verwirklichung präziser politischer Entscheidungen».
Die in der Schweiz gestartete Immunisierung „in der Natur“ hat in der Tat gute Ergebnisse erzielt, auch weil man in den 90er Jahren (dank der Intuition und angewandten Forschung des Zoologen Urs Breitenmoser) dazu überging, jungen Füchsen im Sommer eine weitere Impfdosis zu verabreichen, zusätzlich zu den gewöhnlichen Impfstoffen, die im Frühjahr und im Herbst verteilt wurden. Über einen Zeitraum von dreissig Jahren, zwischen Mitte der 1970er und Mitte der 1990er Jahre, wurden in den Schweizer Kantonen insgesamt rund 2,8 Millionen Köder mit einem lebenden abgeschwächten Tollwutvirus überwiegend manuell verteilt. Die Arbeit der Veterinäre und Wissenschaftler endete nicht „bei der Verteilung“, sondern «erforderte auch präzisiert Zanoni einen grossen Aufwand an direkter Überwachung, der in der Suche nach Rückständen von Tetracyclin (ein Antibiotikum, das speziell in die Köder eingesetzt und als „Tracer“ verwendet wurde, Anm. d. Red.) in dünnen Knochenschichten erlegter Füchse bestand oder in der Überprüfung, ob die Tiere den Köder gebissen hatten, durch Analyse der Zahnabdrücke auf den Bissen mit dem Impfstoff».

DIFFERENZIERTE MASSNAHMEN Zudem stellte das Schweizer Tollwutzentrum anlässlich der „Informationskonferenz über künftige Strategien zur Kontrolle von Tierkrankheiten“, die 1990 in Steckborn stattfand, das „Zonenkonzept“ vor, das die Aufteilung des Gebiets in vier verschiedene Zonen vorsieht, in denen je nach Stand der Tollwut und der Impfung differenzierte Massnahmen ergriffen werden. Der Kanton Tessin liegt in der Nähe der „Überwachungszone“, einem 50 km langen Streifen um die Schweiz. Hier ist die Seuchenüberwachung in den Nachbarländern nicht nur für die Festlegung der Bekämpfungsmassnahmen, sondern auch bei der Entscheidung über die Anforderungen an die Überwachung in der Schweiz sowie die zu treffenden Impfmassnahmen bei der Einfuhr von Tieren aus dem Ausland massgebend.

AUFMERKSAMKEIT AUF DIE ÖSTLICHE EU-GRENZE Heute ist, wie wir geschrieben haben, die „terrestrische“ Tollwut (d. h. übertragen von Säugetieren wie Hunde und Füchse) in der Schweiz ausgerottet, auch wenn weiterhin endemische und sporadische Fälle von Tollwut bei Fledermäusen auftreten, die auch den Kanton Tessin betreffen. Leider gibt es unweit der Schweizer Grenze immer noch Tollwut bei wildlebenden Tieren, betont Zanoni und fährt fort: «In den Ländern an der Ostgrenze der Europäischen Union kann die Fuchstollwut immer noch auf Haustiere übertragen werden. Aus diesem Grund finanziert die EU seit Jahren die orale Immunisierung von Füchsen bis zu einer Entfernung von 100 Kilometern innerhalb der Länder an der Ostgrenze der Union».

PROBLEME IN AFRIKA UND ASIEN Es sollte auch daran erinnert werden, dass die Tollwut in einigen Teilen der Welt bei Hunden noch immer weit verbreitet ist und immer noch zu viele Todesfälle verursacht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist sich dessen bewusst und hat auch ein Datum 2030 als Frist festgelegt, bis zu dem diese Krankheit in der Hundepopulation, die in ganz Afrika und Asien, in einigen Teilen Südamerikas und der Türkei weit verbreitet ist, ausgerottet werden soll.
Die Impfung von Tieren gegen Tollwut kann in diesen Teilen der Welt, aufgrund der spezifischen sozio-ökonomischen und politischen Bedingungen der Gebiete, in denen man tätig werden muss, eine Herausforderung darstellen. Die von Hunden übertragene Tollwut ist die gefährlichste Form für den Menschen und verursacht jährlich bis zu 59.000 Todesfälle (in 95 % der Fälle in Afrika und Asien).

Die Prinzipien der Seuchenbekämpfung sind gut bekannt: Impfung für Haushunde und sofortige Verfügbarkeit von Behandlungen für exponierte Personen. «Aber um wirksam zu sein so Zanoni abschliessend müssen diese Strategien an die verschiedenen lokalen Gemeinschaften angepasst werden, wobei das Verwaltungssystem der Hundepopulation und die unterschiedlichen sozialen und kulturellen Dynamiken (vom Ausmass der Armut bis zur Verbreitung traditioneller medizinischer Modelle, die den Einsatz von Impfstoffen nicht kennen) zu berücksichtigen sind. Dort wo Kultur und Religion die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen mit Hunden umgehen, müssen diese Faktoren im Programm zur Tollwutbekämpfung berücksichtigt werden, damit es Erfolg hat».