wissenschaftliche veröffentlichung

Wie berichtet man über die Wissenschaft? Regel Nummer 1: Es gibt keine Gewissheit

Montag, 13. April 2020 ca. 7 Minuten lesen In lingua italiana

Zu Zeiten der Pandemie sind die Kommunikation «technischer», biomedizinischer Nachrichten und ihre Übersetzung wichtiger denn je. Ein grundlegender, aber mit vielen Hürden gespickter Weg. Darüber haben wir mit dem wissenschaftlichen Autor Fabio Meliciani gesprochen
von Agnese Codignola

Unter all den Forschern und Dozenten gibt es an der Università della Svizzera italiana auch Raum für jemanden, der beruflich kein Wissenschaftler ist, sondern über sie berichtet und eine spezielle Ausbildung zwischen diesen nur scheinbar weit voneinander entfernten Welten genossen hat. Die Rede ist von Fabio Meliciani, ein Philosoph, der sich nach seinem Studium der Logik und Philosophie an der Universität Florenz an der Scuola Internazionale di Studi Avanzati (SISSA) in Triest auf Wissenschaftskommunikation spezialisiert hat und nach verschiedenen Erfahrungen in Museen und auf wissenschaftlichen Festivals vor rund zehn Jahren im Tessin gelandet ist.

Seither hat Meliciani in allen Sparten der Wissenschaftskommunikation gearbeitet: Von Tageszeitungen über Verlagshäuser bis hin zu Festivals und TV- und Radio Sendungen, und schliesslich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ideatorio. Die Wissenschaft kommunizieren bedeutet vor allem, den Forschern zu helfen, die Türen zu jenem Elfenbeinturm zu öffnen, in dem sie häufig verbarrikadiert bleiben, um gemeinsam mit ihnen den bestmöglichen Weg zu finden, um der Gemeinschaft den Sinn einer Tätigkeit zu vermitteln, der insbesondere im Fall der Grundlagenforschung für die breite Öffentlichkeit nicht auf Anhieb verständlich ist. Dabei ist es gerade so wichtig, ihre wesentlichen Elemente zu erklären und zu verstehen. Schliesslich sind Forschung und Wissenschaft nicht losgelöst von der Gesellschaft, sondern Teil ihres Fundaments. Das führen uns Ereignisse wie die Coronapandemie oder andere Themen der vergangenen Jahre (wie z.B. die Diskussionen um Impfungen oder GVO) tagtäglich vor Augen.

Mit der Zeit hat sich die Sensibilität sowohl der wissenschaftlichen Gemeinschaft als auch der Gesellschaft im Allgemeinen geändert und beide bemühen sich heute im Vergleich zu noch vor wenigen Jahren, dieselbe Sprache zu sprechen und auch neue Mittel zu nutzen, die zuvor von der institutionellen Kommunikation, beispielsweise der Universitäten, als weit voneinander entfernt betrachtet wurden. Meliciani erläutert: «Zu Beginn meiner Arbeit an der USI herrschte hier (wie in den meisten akademischen Umfeldern) noch kein besonderes Bewusstsein darüber, wie wichtig es ist, der Gesellschaft das eigene Tun auf korrekte Weise zu kommunizieren. Man war der Ansicht, dass allein die wissenschaftlichen Publikationen ein angemessenes Mittel seien, um über die eigenen Fortschritte zu berichten, mit einem eigenen Code, den die Beteiligten ohne den Bedarf weiterer Mediation verstehen. Aber die Dinge haben sich geändert: Der Kontext und die Art der Kommunikation haben sich weiterentwickelt – so Meliciani weiter – und man hat nach und nach verstanden, dass es zu gefährlichen Missverständnissen, auf falschen Informationen und folglich oft nur auf ideologischen Überzeugungen basierenden Stellungnahmen kommen kann, wenn die Gesellschaft nicht genau versteht, was in den Laboren vor sich geht. In extremen Fällen kann dies zu einer Kontraposition oder gar zu einer wahrhaftigen Feindseligkeit führen. Die Forscher selbst tragen heute zur Kommunikation bei, vor allem über die sozialen Medien. Das birgt aber auch Risiken, denn meistens gibt es keine Mittelsmänner, und häufig sind sich die Forscher der Konsequenzen ihrer Kommunikation nicht bewusst. Alles in allem also eine recht komplexe Welt, ein Universum, das sich laufend weiterentwickelt. Fakt ist und bleibt letztlich, dass die Gesellschaft die Forschung finanziert und somit das Recht hat, darüber informiert zu werden.»

Schau in die Galerie Schau in die Galerie Fabio Meliciani, wissenschaftlicher Autor und Mitarbeiter am Ideatorio-USI Schau in die Galerie (2 foto)

In der Schweiz haben die Forscher auch dank Einrichtungen wie Science et Cité in den letzten Jahren begonnen, sich aktiver an Initiativen zu beteiligen, die sich an die Öffentlichkeit richten, und sich auf die Beratung durch Kommunikationsfachleute einzulassen, die zumindest in rudimentären Ansätzen häufig notwendig ist, um die Grundsätze der wissenschaftlichen Verbreitung, die ganz anders funktioniert als unter Gleichgesinnten, zu erlernen.

Auf diesem Weg, der dem Dialog und dem Teilen zwischen wissenschaftlicher Gemeinschaft und Gesellschaft immer mehr Raum geben möchte, wird Meliciani und seinen Kollegen immer mehr in die Rolle wahrer kultureller Mediatoren zu Teil. Die Wissenschaft ist allem voran Kultur und kann folglich im Vergleich zu den traditionellen Ansätzen auch mit ganz anders erzählt werden, mitreissender, fesselnder. «Es genügt nicht, dass die Wissenschaftler ihre Arbeit vorstellen – erläutert Meliciani weiter. – Es braucht Ansätze, die vermehrt auf Dialog und gemeinsamer Teilung basieren; Es braucht Brücken und Verknüpfung von Wissen. Ausserdem ist es wichtig, dass wir alle mit der Wissenschaft vertraut sind, dass wir sie nicht als etwas betrachten, vor dem wir uns fürchten müssen, sondern dem wir vertrauen können und deren positiven Aspekte wir sehen, wie z.B. das laufende Wecken unserer Neugier, die grossen Fragen, das Staunen angesichts der Entdeckungen, und so weiter.»

In der jetzigen Krisen- und Pandemiezeit erkennt man gut, wie wichtig es ist, die Grundsätze eines wissenschaftlichen Themas zu verstehen (zum Beispiel zu wissen, was ein Virus ist) und Zugang zu zuverlässigen Informationsquellen zu haben: Zum Thema Corona gibt es laufend Fake News, die nichts damit zu tun haben, was man über diesen gefährlichen Mikroorganismus weiss und dazulernt.

Meliciani erläutert: «In diesen Wochen haben wir so viele Meinungen von Experten aller Art gehört, dass sich schliesslich das Gefühl einer riesigen und unnützen Verwirrung breit macht, aus der sich die wenigen essentiellen Informationen, die wir wissen müssen und wollen, nur sehr mühsam herauspicken lassen. Ich möchte nur Folgendes raten: Schweigen, unterbrochen allein und ohne zu übertreiben durch Meldungen aus verlässlichen Quellen und all das bleiben zu lassen, was nur absurde Vorstellungen, Verschwörungen und seltsame Theorien nährt, die letztlich zu schweren Gesundheitsschäden führen können.» Aber es gibt eine weitere Lektion, die wir aus diesen vollkommen neuen Zeiten, die wir momentan erleben (und welche die Wissenschaft auch aus dieser Hinsicht höchstwahrscheinlich noch jahrelang beschäftigen werden), lernen können. «Wir alle erleben tagtäglich, wie sich die Informationen über Covid-19 ändern – erläutert der Kommunikator. – Beispielsweise, wie lange sie auf Oberflächen überleben, über die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffe in der Erprobung, über die Rolle der asymptomatisch Infizierten, usw. Diese Ungewissheit liegt daran, dass der Mensch bisher niemals damit in Berührung gekommen ist und die Informationen, die uns vorliegen, sind unvollständig, fehlerhaft und basieren auf ähnlichen Fällen in der Vergangenheit sowie auf statistischen Auswertungen. Gleichzeitig zeugt all das auf makroskopische Weise die wahre Natur der Wissenschaft, ihr wahres Wesen: Die Imperfektion und die Perfektionierbarkeit. In der Wissenschaft gibt aus kaum Gewissheit, denn was man heute für gewiss hält, kann morgen schon wieder in Frage gestellt werden. Wir müssen lernen, in einem Ozean der Ungewissheiten zu navigieren, wie bereits vor zwanzig Jahren der grosse französische Soziologe Edgar Morin sagte. Wir nehmen das Staunen, das ein Sternenhimmel in uns hervorruft, um die Komplexität dieser Welt zu erfassen, um dieses Gefühl der Ungewissheit anzugehen, das uns ein bisschen Angst macht, mit dem wir leben müssen, indem wir Wissen soweit wie möglich defragmentieren, das wir immer weiter aufschlüsseln und teilen. Das sind die Schlüssel, die uns tagtäglich die Pforten unserer Arbeit als Kommunikatoren öffnen, um die Wissenschaft und schliesslich auch uns selbst zu begreifen. Deshalb wird die Wissenschaft nichts von ihrer Faszination einbüssen, denn sie erzählt von uns und von der Welt, in der wir leben. Sie wird uns immer aufs Neue erstaunen und uns helfen, uns weiterzuentwickeln, besser zu leben, aber nur, wenn wir sie mit dem richtigen Blick betrachten.»

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