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Jagd nach den fortschrittlichsten Strategien gegen onkologische Erkrankungen des Gehirns

Montag, 26. Dezember 2022 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana
Gianfranco Pesce (links), klinischer Leiter des Zentrums für Neuroonkologie der italienischen Schweiz, mit Stefano Leva, leitender Strahlentherapietechniker am Krankenhaus San Giovanni in Bellinzona (Foto von Loreta Daulte)
Gianfranco Pesce (links), klinischer Leiter des Zentrums für Neuroonkologie der italienischen Schweiz, mit Stefano Leva, leitender Strahlentherapietechniker am Krankenhaus San Giovanni in Bellinzona (Foto von Loreta Daulte)

Immuntherapie, innovative Medikamente, „chirurgische“ Strahlentherapie: Der schwere Kampf gegen Hirntumore wird um neue Werkzeuge bereichert. Es spricht Gianfranco Pesce (Zentrum für Neuroonkologie der italienischen Schweiz)
von Agnese Codignola

Auf dem Gebiet der Onkologie gibt es im Tessin einen Bereich, der eine sehr wichtige spezifische Nische einnimmt: Der der Hirntumore, besonders komplexe Pathologien, für die immer ein multidisziplinärer Ansatz erforderlich ist, da das Gehirn das meist geschützte Organ des menschlichen Körpers ist und gleichzeitig grundlegende lebenswichtige Funktionen hat. Aus diesen Gründen sind die Tumore, die es betreffen, schwieriger zu heilen. 
Das zuständige Zentrum ist das für
Neuroonkologie der italienischen Schweiz des Ente Ospedaliero Cantonale unter der klinischen Leitung von Gianfranco Angelo Pesce, Strahlentherapeut und Förderer im klinischen Bereich der kontinuierlichen Verbesserungen, die sich nach und nach aus der Forschung ergeben, mit dem Ziel, den Patienten eine zunehmend adäquate Versorgung zu bieten. 

In den letzten Wochen war Pesce auch Gastgeber eines Kongresses, der nach zwei Jahren rein virtueller Sitzungen, endlich in Präsenz in Lugano stattfand: Das Swiss Italian Neuro-oncology meeting 2022. «Dieser Kongress – erklärt Pesce Ticino Scienza – ist mittlerweile Tradition und wird jedes Mal in verschiedenen Gebieten der Eidgenossenschaft abgehalten. Je nach Austragungsort werden die Kollegen der umliegenden Gegenden (dieses Mal Italien) eingeladen, um den Informationsaustausch über die letzten Neuigkeiten und Ideen in allen Bereichen der Neuroonkologie zu fördern: Von der Neurologie bis zur Neurochirurgie, von der Strahlentherapie über die Grundlagenforschung bis hin zu Versorgungsmodellen».
Dieses Jahr war das Treffen besonders fruchtbar, weil es eine seit einigen Jahren vorgeschlagene Idee bestätigte, die ein allgemeines Überdenken der Auffassung von Hirntumoren an sich beinhaltet. Tatsächlich erklärt Pesce: «Es wird immer deutlicher, dass die herkömmliche Klassifizierung anhand der histologischen Eigenschaften des Tumors (das heisst, denen, die sich aus der mikroskopischen Untersuchung der Krebszellen ergeben, Anm. d. Red.) und seiner Lokalisierung dem heutigen Wissensstand nicht mehr entspricht, was sogar die Weltgesundheitsorganisation (OMS) offen erklärt hat. Heute wissen wir – so Pesce – dass für therapeutische Zwecke die biomolekularen Eigenschaften von Bedeutung sind, die es ermöglichen, eine genauere Prognose zu erstellen oder das Ansprechen auf eine bestimmte Art von Therapie genauer vorherzusagen, sei es Chemo- oder Strahlentherapie. Insbesondere die Eigenschaften der DNA-Methylierung (wie es in der Fachsprache heisst) haben sich als entscheidend erwiesen, also die Kopplungen kleiner chemischer Gruppen an ein einzelnes Kohlenstoffatom, insbesondere wenn sie an Genen vorhanden sind, die die Reaktion auf Medikamente oder die Resistenz dagegen regulieren (wie im Fall eines spezifischen Gens des letzteren Typs namens MGMT). Mit anderen Worten, je nach Menge und Variation dieser kleinen chemischen Gruppen an der DNA gewisser Gene, kann die Reaktion mehr oder weniger effektiv sein». 

Aber bei dem Treffen in Lugano wurden auch andere Aspekte deutlich, die den Patienten direkt zugutekommen könnten. Pesce fährt fort: «In den letzten Jahren wurden die Untersuchungen, die mit bildgebenden Techniken, wie Resonanzen, PET, CT und deren Kombinationen durchgeführt werden können, dank neuer fluoreszierender oder radioaktiver Tracer und Computern, die zunehmend in der Lage sind, das Erkannte zu interpretieren, äusserst anspruchsvoll und zuverlässig, so dass sie mittlerweile sogar im Operationssaal unverzichtbare Instrumente sind, wo sie Bilder in Echtzeit liefern und den Chirurgen ermöglichen, mit maximaler Präzision zu operieren und das gesunde Gewebe so weit wie möglich zu schonen». 

Mit demselben Ansatz, der auf Präzision basiert, ist nun auch die Strahlentherapie in der Lage, „chirurgisch“ zu sein, dank stereotaktischer Techniken, die eben auf einer extrem spezifischen Lokalisierung des Bereichs basieren, in den mit den Strahlen eingegriffen werden muss.

Darüber hinaus könnte die Zukunft aus pharmakologischer Sicht Überraschungen bereithalten, wie wirksamere Therapien im Vergleich zu den bisherigen, die aufgrund der Besonderheiten des Gehirns nie entscheidend waren.

Nach den teilweisen Enttäuschungen der Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren (so werden sie genannt), die im Gehirn nicht dieselbe Wirksamkeit zeigt wie in vielen anderen Bereichen des Organismus, ist die Zeit für eine Therapie gekommen, die auf modifizierten Lymphozyten basiert, die als CAR-T bekannt sind, und der Impfstoffen. Pesce erklärt: «Dank Organoiden, dreidimensionale Agglomerate von im Labor gezüchteten Nervenzellen, die einen bestimmten Hirnbereich vollständiger und realistisch nachbilden, werden grosse Fortschritte gemacht, die auch in diesem Bereich zu einem tatsächlich wirksamen Immuntherapieansatz führen könnten». Aber das ist noch nicht alles. Tatsächlich betont der Experte: «Einige Moleküle, die einer neuen Klasse von Medikamenten angehören, die IDH-Inhibitoren, haben bereits die ersten Stadien der Studie an Patienten (1 und 2) erreicht und werden für Tumore untersucht, die weniger auf herkömmliche Ansätze ansprechen». Es handelt sich um Medikamente, die auf ein Enzym, Isocitrat-Dehydroigenase (daher das Akronym), einwirken, die bereits bei einigen Blutkrebsarten und auch bei anderen Formen wie denen der Gallenwege verwendet und untersucht werden, die neue Anwendungen direkt bei Hirntumoren finden könnten. In den folgenden Monaten wird man verstehen, ob die den Onkologen und den Patienten zur Verfügung stehende therapeutische Ausrüstung reicher wird, vielleicht auch dank einiger sogenannter kleiner Moleküle (Medikamente, die gegen einzelne Mutationen der DNA von Krebszellen gerichtet sind), die ebenfalls getestet werden.

Schliesslich wurden beim Kongress auch Daten zu einer ganz anderen Strategie vorgestellt, die auf der Verabreichung gezielter Mikrowellenstrahlen vor Ort durch ein spezielles Instrument basiert, das in die Stelle des Eingriffs eingesetzt wird: Eine Technologie, die sich als sehr hilfreich erweisen könnte, und ausserordentlich interessant ist, da sie auf physikalischen und nicht auf pharmakologischen Prinzipien basiert; diese Geräte könnten die ersten eines völlig neuen Ansatzes sein.

Über den Kongress hinaus zählt für die Kranken heute jedoch der Alltag. Eine Routine, die im von Pesce geleiteten Zentrum auf Multidisziplinarität und Zusammenarbeit ausgerichtet ist, um die Kranken in jedem Moment ihres schwierigen Weges durch die Behandlung zu begleiten. «Was wir versuchen – schliesst Pesce ab – ist, den für jede einzelne Situation am besten geeignete Weg zu definieren, basierend auf klinischen, aber auch auf molekularen, und danach rehabilitativen und sogar sozialen Bewertungen, in enger Zusammenarbeit mit der Region und den spezialisierten Einrichtungen, wobei auch umgehend eine intensive Zusammenarbeit mit dem Hospiz für Patienten, die es brauchen, aufgebaut wird».

Eine Diagnose eines Hirntumors ist für jeden ein kritischer Moment, auch für die Familienangehörigen und die Personen, die Patienten in verschiedener Form betreuen, aber sie ist keine unwiderrufliche Verurteilung mehr für alle Kranken, wie es bis von einigen Jahren noch der Fall war. Heute gibt es für viele konkrete Hoffnung. Dabei ist es jedoch wichtig, sich auf fachkundige Hände zu verlassen. 

 

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