Wissenschaftliche Ausbildung

Herz, Biologie, Mathematik: Neue IT-Verknüpfungen im Namen des grossen Euler

Sonntag, 29. August 2021 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

Dem grossen Schweizer Mathematiker ist ein neues Institut der USI unter der Leitung von Rolf Krause gewidmet, das zu einem "Knotenpunkt" zwischen verschiedenen Fachbereichen werden möchte
von Michela Perrone

Bei einem nach Euler benanntem Institut steht selbstverständlich die Mathematik im Mittelpunkt (der 1707 in Basel geborene und 1783 in Sankt Petersburg verstorbene Euler war einer der bedeutendsten Mathematiker Europas). Das Ziel des vor wenigen Monaten in Lugano eröffneten Zentrums ist aber noch ehrgeiziger, es möchte die Methoden des wissenschaftlichen Rechnens auf die Biowissenschaften, die Sozial-, Natur- und Umweltwissenschaften sowie auf Wirtschaft und Ingenieurwesen anwenden. «Wir beabsichtigen die Einrichtung eines interdisziplinären Zentrums, an dem IT-Techniker, Mediziner, Biologen, Mathematiker und so weiter zusammenarbeiten können – erläutert der Leiter des neuen Instituts Rolf Krause. – Kernpunkt ist die Kooperation zwischen den verschiedenen Fachgebieten: Menschen mit unterschiedlichem Background zusammenzubringen, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten, die auf Datenanalyse und künstlicher Intelligenz basieren».

Das Euler Institut ist Teil der USI, der Università della Svizzera italiana, die über nationale und internationale Partner verfügt: «Wir möchten, dass die Kollegen unsere Rechenkapazitäten und unsere Kompetenzen nutzen können, um ihre Projekte bestmöglich voran zu bringen - so Krause weiter. - Vor zwölf Jahren haben wir das Institut für Computational Science eingerichtet, das sich im Laufe der Jahre enorm vergrössert hat. Wir haben bemerkt, dass sich manche Forscher mehr für die mathematische und naturwissenschaftliche Komponente unserer Arbeit interessierten, andere mehr für die IT-Aspekte. Und genau das ist die Grundidee des Euler Instituts, die Erweiterung der möglichen Fachbereiche unter Einbezug der biomedizinischen Wissenschaften im Sinne einer Zusammenarbeit». Für den aus Deutschland stammenden Krause ist das «Tessin ein hervorragender Standort für die Forschung. Dennoch ist das sehr reiche Panorama mitunter etwas fragmentiert. Mit dem Euler Institut haben wir versucht, die Voraussetzungen zur Reduzierung dieser Dispersion zu schaffen».
In einem derartigen Babel der Zuständigkeiten, «ist die interdisziplinäre Kommunikation die grösste Herausforderung – räumt Krause ein. – Jeder Fachmann muss sich mit den anderen austauschen können. Das ist nicht immer leicht, aber unserer Meinung nach genau der Mehrwert unseres Instituts».
Das Euler Institut ermöglicht auch die Kofinanzierung multidisziplinärer Projekte und Doktoratsstipendien: «Ein Teil des Budgets - präzisiert Krause - ist dafür bestimmt (ein normalerweise für Universitäten kompliziert zu organisierender Vorgang)».

DIE VIRTUELLEN HERZEN - Simone Pezzuto arbeitet am Zentrum für rechnergestützte Kardiologie, das heute zum Euler Institut gehört: «Wir befassen uns - erklärt er - mit dem Erstellen mathematischer Modelle zur Anwendung für die Erforschung des Herzens, insbesondere seiner elektrischen Eigenschaften». Diesbezüglich gibt es zwei grundlegende Herausforderungen: «Zum einen - so Pezzuto - geht es um das Erstellen mathematischer Modelle: Das Herz ist höchst komplex und lässt sich nicht so einfach nachbilden. Der andere Aspekt hingegen ist von klinischem Interesse und hat mit der Präzisionsmedizin zu tun: nicht alle Herzen sind gleich, und sobald der Arzt eine virtuelle Darstellung des Herzmuskels des Patienten vor sich hat, muss er sich die am besten geeignete Therapie ableiten».
Pezzuto und seine Kollegen erschaffen nämlich virtuelle Herzen, die dann von den klinischen Medizinern herangezogen werden: Dabei handelt es sich um Algorithmen, Software, die basierend beispielsweise auf den Bildern der Magnetresonanz oder des CTs eines Patienten erstellt werden. «Wir bilden die Erkrankung oder zumindest die Merkmale jenes Herzens nach, das in der Regel auf die Standardtherapie nicht gut anspricht. Danach untersucht der klinische Arzt die verschiedenen unterbreiteten Szenarien». Auf internationaler Ebene sind viele Gruppen in dieser Richtung tätig: «In den USA hat man beispielsweise Herzen von Patienten mit Vorhofflimmern (eine besondere Art der Herzrhythmusstörung) nachgebildet, die operiert werden sollten - so Pezzuto weiter. - Der Algorithmus war in der Lage, zu bestimmen, an welchem Punkt das Gewebe am besten verödet werden sollte, um etwaige Rezidive zu minimieren. Das ist die wahre Herausforderung für die Zukunft: die Software so gut zu trainieren, dass sie präzise und personalisierte Antworten liefert».
Für Pezzuto bringt die Einbindung in das Euler Institut zahlreiche Vorteile mit sich: «Vor allem vereinfacht sie uns die Öffnung gegenüber anderen Welten sowie die Zusammenarbeit mit der Fakultät für biomedizinische Wissenschaften der USI. Ausserdem ermöglicht sie uns die Kofinanzierung interdisziplinärer Doktoratsstipendien und legt schliesslich auch die Vorrangstellung der Mathematik gegenüber der Informatik fest... Die Informatik hat in den 90er und 2000er Jahren den Höhepunkt ihres Ruhms erlebt, aber heute ist klar, dass für die Anwendung fortschrittlicher Methoden künstlicher Intelligenz und neuronaler Netze vor allem Mathematik gefragt ist». Vielleicht sehen das die Informatiker etwas anders. Aber dieser Disput ist so "alt" wie die Informatik selbst (ist Informatik überhaupt alt?) und wird sich auch nur schwer beilegen lassen...

(Auf dem Foto oben von Marian Duven der Campus est in Viganello, auf dem sich das Euler Institut befindet)