EXPERIMENTE

(Manchmal) wirksamere Krebsimmuntherapie dank Darmbakterien

Dienstag, 19. April 2022 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana

Forschungen des von Fabio Grassi am IRB geleiteten Teams. Auf diesen Forschungszweig hat sich auch die MV BioTherapeutics, Spin-off des Instituts von Bellinzona, konzentriert. Starke Wechselwirkungen zwischen dem Mikrobiom und unserem Abwehrsystem
von Michela Perrone

Es ist seit langem bekannt, dass der Darm eine grundlegende Rolle in unserer Existenz spielt, sodass er sogar als unser zweites Gehirn definiert wird. Zu seiner Berühmtheit trägt das Mikrobiom bei, die Gesamtheit von Bakterien und Mikroorganismen, die dieses Organ besiedeln und unsere Gesundheit beeinflussen. Je vielfältiger unsere Darmflora ist, desto besser geht es uns.

Darüber hinaus entwickelt sich das Darm-Mikrobiom von Geburt an zusammen mit dem Immunsystem. Die Bakterien produzieren nämlich Substanzen, die das Immunsystem anregen und in Übung halten. Aus diesem Grund ist ihr Gleichgewicht im Darm von grundlegender Bedeutung, um Krankheiten zu vermeiden. 

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Die Garanten dieses Gleichgewichts sind die sekretorischen Immunoglobuline A (IgA): Wir können sie uns wie Polizisten vorstellen, die ein Stadtviertel bewachen und verhindern, dass Banden die Macht übernehmen. Es gibt mehrere Forschungsgruppen, die sich damit befassen, zu verstehen, wie dieses Gleichgewicht aufrechterhalten und gegebenenfalls eingegriffen werden kann. Eines davon - unter der Leitung von Fabio Grassi - befindet sich im Tessin: Es ist das Labor für Mukosale Immunologie des Instituts für Biomedizinische Forschung (IRB) in Bellinzona, Zweigstelle der Università della Svizzera italiana. 

DIE ROLLE DER BAKTERIEN - Seit etwa zehn Jahren befasst sich das Team von Grassi insbesondere mit ATP, einem energiereichen Molekül, das sowohl Sportlern als auch den Fachleuten bekannt ist. In der Tat handelt es sich um einen „Treibstoff“ für die Zelle: Es ist das Molekül, das den Muskeln die Energie garantiert, die beispielsweise für einen Wettlauf benötigt wird. In diesem Fall befindet sich das ATP innerhalb der Zelle. Es kann sich jedoch auch ausserhalb befinden. Und genau das ist der Fall, mit dem sich die Gruppe von Grassi befasst. «Insbesondere - erklärt der Experte - untersuchen wir die Reaktionsfähigkeit der T-Lymphozyten auf extrazelluläres ATP». Wir erinnern daran, dass T-Lymphozyten eine Art weisser Blutkörperchen sind, die sich im Thymus entwickeln, einem Organ, das sich auf der Höhe des Brustbeins befindet. Unter normalen Bedingungen befindet sich das ATP nur innerhalb der Zellen. In den Geweben des Organismus signalisiert sein Austreten das Vorhandensein eines Gewebeschadens: Von etwas, das in unserem Körper nicht richtig funktioniert und eine Reihe von Schutzreaktionen auslöst, die darauf abzielen, die Unversehrtheit der Organe aufrecht zu erhalten.

Im Darm hingegen geht das extrazelluläre ATP auf das Mikrobiom zurück und stellt ein wichtiges Element der Kommunikation zwischen Bakterien und Lymphozyten dar. Man kann sich vorstellen, dass die T-Lymphozyten (oder besser gesagt ein Untertyp, Follikuläre T-Helferzellen oder Tfh-Zellen) Antennen haben, die das von Baktieren stammende ATP erfassen können. Wenn dies geschieht, wird die Produktion von IgA gehemmt, die Polizisten, die wie gesagt, die Vermehrung von Baktieren unter Kontrolle halten müssen. Dadurch können letztere (insbesondere die als gut definierten) ungestört wachsen. Wenn jedoch ein bestimmtes Bakterium die Oberhand gewinnt und damit die Vielfalt des Mikrobioms gefährdet, hört die Antenne der T-Lymphozyten auf, das ATP zu erfassen, wodurch die Produktion von IgA ermöglicht wird, die die Darmveränderungen kontrollieren und die Ordnung zwischen den verschiedenen Bakterienarten wiederherstellen. Die Kommunikation zwischen Bakterien und Lymphozyten durch ATP dient also als „Waage“, weil sie das Gleichgewicht des Mikrobioms selbst reguliert.

«Dies ist in Wahrheit eine vereinfachte Version des Mechanismus, der bei gesunden Menschen auftritt - betont Grassi. - In einer Krankheitssituation haben wir Bakterien, die sehr schnell wachsen und dieser Kontrollmechanismus kann defekt sein. Die erste Lösung, die wir zu entwickeln versuchten, um Einhalt zu gebieten, war die eines Impfstoffs, der das ATP im Darm reduzieren sollte. Auf diese Weise wäre das Molekül schwieriger von den T-Lymphozyten zu erfassen gewesen und folglich hätten die IgA die Baktieren in Schach halten können».
Der Weg schien so vielversprechend, dass das IRB die Entdeckung patentieren liess und das Team von Grassi dazu drängte, ein Spin-off zu gründen: «Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften sind wichtig, aber unser oberstes Ziel ist es, Menschen zu heilen - erinnert der Immunologe. - Mit MV BioTherapeutics hätten wir also unsere Entdeckung testen und den gesamten vorklinischen Teil durchführen sollen: Erst zu diesem Zeitpunkt hätte ein Interesse der Industrie hervorgehen können». In der Zwischenzeit hat sich jedoch ein noch vielversprechenderer Forschungszweig herauskristallisiert: «Es wurde entdeckt - erklärt Grassi - dass das Mikrobiom auch in der Krebsimmuntherapie von grundlegender Bedeutung ist: Insbesondere ist es entscheidend für die Reaktion auf biologische Medikamente bei Melanom, Lungen- oder Nierenkrebs».

DIE NEUEN STRATEGIEN - Die Immuntherapie besteht darin, unser Immunsystem zu stärken, anstatt direkt den Tumor anzugreifen. Die derzeit verfügbaren Medikamente für die Immuntherapie sind jedoch in weniger als der Hälfte der Fälle wirksam. Mehrere Studien haben es ermöglicht, festzustellen, dass einige Bakterienkonsortien wichtig sein können, um die Wirksamkeit der Therapie bei soliden Tumoren zu verbessern. Da die Bakterien das Immunsystem in Übung halten, sorgt ihre Anwesenheit dafür, dass es reaktiver wird. Einige Bakterienkonsortien können sich also mit der Immuntherapie verbünden und ihre Wirkung verstärken.
«Wir haben versucht, Mäuse mit einem Enzym zu behandeln, das ATP reduziert - erklärt Grassi. - Auf diese Weise produziert das lokale Immunsystem mehr sekretorische IgA, die eine positive Funktion bei der Anpassung des Mikrobioms haben. Was wir gesehen haben, ist, dass diese Mäuse wesentlich besser auf die Krebsimmuntherapie ansprechen».

Das Ziel ist dasselbe wie bei einem Impfstoff: Das ATP zu treffen, um den IgA-„Polizisten“ zu ermöglichen, zu wachsen und die Vermehrung von Bakterien unter Kontrolle zu halten. Die Ergebnisse erwiesen sich als sehr wirksam: Der Prozentsatz der Mäuse, die gut auf die Therapie ansprachen, stieg von 30 auf 70 %. «Das ist jetzt unsere Priorität mit dem Spin-off!» - so Grassi abschliessend.
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(Oben auf dem Foto, von der Agentur Shutterstock, eine Computerrekonstruktion der Darmzotten und Bakterien, die als „Gäste“ im Verdauungssystem leben)


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