Künstliche Intelligenz, der Umgang mit der Gegenwart in Erwartung des "grossen Sprungs"
Action Day 2024 im Palazzo dei Congressi in Lugano, um Unternehmen dabei zu helfen, zunehmend in die digitale Welt einzusteigen, in Erwartung einer „Artificial General Intelligence“ mit menschenähnlichen kognitiven Fähigkeitenvon Paolo Rossi Castelli
Wie lange dauert es noch bis zum “grossen Sprung” in Richtung Artificial General Intelligence (AGI), d. h. in Richtung Künstliche Intelligenz, die menschenähnliche kognitive Fähigkeiten haben wird? Im Vergleich zu den derzeitigen - bereits sehr leistungsfähigen - Versionen von ChatGPT (das stattdessen zu einer anderen “Kategorie” der künstlichen Intelligenz gehört: der generativen) wird dies ein grosser Schritt nach vorn sein. «Vieles wird sich ändern, wenn die AGI kommt», erklärte der Digital Coach Andrea Barni während des ”Action Day 2024”, der am 17. September im Palazzo dei Congressi in Lugano von der Stiftung Fondazione Agire organisiert wurde. «Sie wird die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, verändern, denn die AGI wird über Kreativität, abstraktes Denken, Verständnis für Ursache und Wirkung und übertragbares Lernen verfügen. Noch kann niemand genau vorhersagen, was passieren wird, aber es wird sicherlich eine absolute Revolution sein, die wir beherrschen lernen müssen, ohne das Wissen über diese neue Welt nur den Technikern zu überlassen».
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Die Zukunft der künstlichen Intelligenz (KI) stand im Mittelpunkt der Redebeiträge der zahlreichen Teilnehmer des Action Day, an dem fast 300 Personen vor allem aus kleinen und mittleren Unternehmen teilnahmen. Ziel der Initiative war es, über die aktuellen technologischen Trends zu informieren und den Unternehmern zu helfen, wettbewerbsfähiger zu werden, ohne sich dabei einer rasanten Zukunftsentwicklung auszuliefern, die die Arbeitsorganisation zunehmend verändern wird (es gibt bereits Sektoren wie das Bankwesen, in denen die Automatisierung in Verbindung mit künstlicher Intelligenz 50 % der Arbeitsstunden beeinflusst). Dabei ist nicht nur der technische Aspekt zu berücksichtigen, sondern auch der menschliche Faktor, d. h. die Auswirkungen dieser ständigen Veränderungen auf den Menschen.
«Wir sind alle zu sehr mit der Suche nach Kunden, Followern beschäftigt, .... », so Barni. «Wir sind so sehr mit unseren eigenen Dingen beschäftigt, dass wir dazu neigen, nicht an die Zukunft zu denken, die wie ein heranrasender Zug auf uns zurollt. Zwar hat jede Generation das Gefühl, sich in einer Übergangsperiode der Geschichte zu befinden, aber heute geht alles viel schneller als in der Vergangenheit. Wenn man sich die Diagramme der letzten beiden Jahrhunderte ansieht, wird sofort klar, dass die bahnbrechenden Momente der Technologie im Durchschnitt alle 50-70 Jahre auftraten. Doch mit dem Aufkommen der Informationstechnologie und der künstlichen Intelligenz ist der Zeitraum zwischen den “Spitzen” auf nur wenige Jahre geschrumpft. Und es ist in der Tat eine grosse Herausforderung, diese stürmische Entwicklung zu verfolgen».
Aber wann wird die Revolution der Artificial General Intelligence beginnen? Mit anderen Worten: Wann wird die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz überholen? «Es ist schwierig, Vorhersagen zu machen», bekräftigt Barni, «aber eine konkrete Tatsache, die für alle sichtbar ist, ist das Ausmass der enormen Investitionen, die in den letzten Jahren für dieses Ziel getätigt wurden, insbesondere von grossen Privatunternehmen. Laut einer Umfrage, die 2018 unter 812 Experten durchgeführt wurde, wird die AGI auf jeden Fall vor 2060 kommen. Eine spätere Umfrage, die im Herbst 2023 unter 2.778 Insidern durchgeführt wurde, hat diesen Termin jedoch auf 2047 vorverlegt. Und es gibt Leute, die wie Elon Musk glauben, dass AGI sogar schon 2026, also in nur zwei Jahren, verfügbar sein könnte. Andererseits, so einige Microsoft-Forscher, enthält ChatGPT 4 bereits “Funken” von AGI...».
Es gibt aber auch noch andere Aspekte, die zu berücksichtigen sind, wie Lorenzo Ambrosini, Direktor der Stiftung Agire, hervorhebt: «Die Geschichte lehrt uns, dass im Laufe der Jahrhunderte das Aufkommen neuer Technologien immer schneller war als das Bewusstsein der Menschen für ihre Auswirkungen. Diesmal wollen wir angesichts des rasanten Wachstums der künstlichen Intelligenz ihre Auswirkungen antizipieren und nicht hinnehmen, indem wir im Rahmen des so genannten digitalen Humanismus den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wir können die technischen Aspekte nicht von den Veränderungen trennen, die sie im sozialen Leben (insbesondere in der Arbeitswelt) mit sich bringen werden. Dies ist eine Debatte, die schon jetzt geführt werden sollte. Stattdessen beschränkt sich die Herangehensweise an künftige Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und die “Macht” derer, die sie verwalten werden, leider immer noch sehr auf das Geschäftsmodell und die eher technischen Aspekte, ohne ausreichende Überlegungen zur Gesellschaft anzustellen».
Wir sprachen über die grosse Geschwindigkeit... «Künstliche Intelligenz», erklärte Alessandro Maserati, KI-Stratege bei der Logol AG, während des Action Day, «wächst jedes Jahr um den Faktor 10, d.h. sie wird zehnmal leistungsfähiger. Es gibt keinen anderen Sektor mit einem so starken “Trend”. Seit Alan Turing in den 1950er Jahren sprechen wir über künstliche Intelligenz, aber erst seit dem Jahr 2000 wird sie von den Unternehmen dank der Techniken des machine learning (maschinelles Lernen) in grossem Massstab eingesetzt. Im Jahr 2012 folgten deep learning (tiefghendes Lernen) und neuronale Netze. Im Jahr 2022 schliesslich kam die generative künstliche Intelligenz mit ChatGPT». Was bedeutet generativ? Lassen wir ChatGPT selbst antworten: «Es handelt sich um einen Zweig der künstlichen Intelligenz, der sich darauf konzentriert, aus vorhandenen Daten neue und originelle Inhalte wie Texte, Bilder, Videos, Musik oder sogar dreidimensionale Modelle zu erstellen». Und nun wartet man, wie gesagt, auf die Allgemeine Künstliche Intelligenz.
«Wir dürfen nicht zu defensiv werden», sagt Andrea Abbatelli, Partner bei Kiai Consulting, «sondern müssen lernen, neue Chancen zu ergreifen. Und wir müssen uns auch mehr Gedanken über ein besorgniserregendes Phänomen machen (das durch die Debatte über künstliche Intelligenz teilweise verdrängt wurde), das in unserer Gesellschaft immer häufiger auftritt: die verringerte Fähigkeit vieler junger Menschen, zu lernen und in die Tiefe zu gehen, da sie alle Informationen auf Knopfdruck zur Verfügung haben und das Denken und die Argumentation nicht mehr gefördert werden. Es ist wirklich dringend notwendig, einen Weg zu finden, um die Lernfähigkeit unserer jungen Menschen wiederherzustellen».