materialien und technologien

Koordinieren? Es ist nicht immer
eine gute Idee. Innovation
muss auch etwas „Chaos“ sein

Dienstag, 1. März 2022 ca. 7 Minuten lesen In lingua italiana

Es spricht Lorenzo Ambrosini, Direktor der Stiftung Agire. Die Kultur des Unternehmensrisikos muss in der Gesellschaft wachsen. «Innovation ist ein Glaube: Entweder du glaubst daran oder du glaubst nicht daran...»  
von Paolo Rossi Castelli

Neun festangestellte Mitarbeiter und ein sehr breites Netzwerk von Beratern und Coaches, sowie die Verbindungen mit Innosuisse, Switzerland Innovation Park und anderen Schweizer Netzwerken, die sich dem technologischen und kommerziellen Fortschritt verschrieben haben: Der vom Kanton gewünschte Antrieb der Stiftung Agire zur Förderung der Innovation im Tessin, wurde hier aus den „räumlichen“ Atmosphären des Suglio Business Center in Manno ins Leben gerufen, das gegründet wurde, um eine Bank (die UBS) zu beherbergen, aber seit einiger Zeit auch der Sitz des „Innovationsmotors“ ist. Dieser Name, Agire, ist die Abkürzung für Agenzia per l’Innovazione Regionale (Regionale Innovationsagentur). «Aber in Wahrheit ist „agire“ (handeln) genau das Wort, das uns am besten repräsentiert - so Lorenzo Ambrosini, seit 2017 Direktor - zusammen mit einem anderen Wort: Orientieren».

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Was kann also eine Innovationsagentur tun? Wie bewegt sie sich?

«Sie kann viel tun - antwortet Ambrosini. - Vor allem kann sie die wissenschaftliche und technologische Realität im Tessin besser darstellen, die sehr wichtig, aber in der breiten Öffentlichkeit noch wenig bekannt ist. Vergessen wir nicht, dass ein Bericht der Europäischen Kommission (Regional Innovation Scoreboard) letztes Jahr das Tessin - in der Kategorie Innovation Leader - auf Platz acht in Europa unter den innovativsten Regionen platziert hat, nur hinter Zürich in der Schweiz und auf jeden Fall vor St. Gallen, Lausanne und Basel. Wir haben diesen Reichtum, aber viele Menschen, die im Tessin leben, und noch mehr ausserhalb, wissen es nicht».

Wäre es nicht sinnvoll, die Kräfte zu vereinen und eine Art „kantonales Marketing“ zu schaffen, eine einzige Koordinationszentrale, um die verschiedenen wissenschaftlichen Institute (USI, SUSPI, IRB, IOR, IOSI, IDSIA und viele andere) miteinander zu verbinden und die Exzellenzen der Tessiner Forschung weltweit bekannt zu machen, wie man es bereits beispielsweise mit den Exzellenzen des Tourismus tut?

«Nein, „koordinieren“ ist in unserer Branche nicht immer eine gute Idee... Innovation beinhaltet (muss beinhalten) sozusagen auch eine Komponente des Chaos. Wenn diese Komponente gezügelt wird, kommt alles zum Erliegen. Kurzum: Innovation lässt sich nicht kontrollieren. Sie geschieht. Auch aus diesem Grund ist sie schwer mitzuteilen».

Was kann man also tun, um sie zu fördern?

«Auf internationaler Ebene und auch in der italienischen Schweiz wird viel Wert auf die sogenannten Ökosysteme der Innovation gelegt (nicht auf Zentralisierung). Diese Ökosysteme umfassen verschiedene Komponenten: Universitäten und Forschungsinstitute, den Staat (mit Unterstützungen und Vergünstigungen), Kapitalgeber, die in der Lage sind, Kapital einzubringen, und natürlich Menschen mit innovativen Ideen. Unsere Aufgabe besteht darin, diesen „Seelen“ der Innovation zu helfen, sich zusammenzuschliessen und ihnen Orientierung, Unterstützung und Triage zu geben».

Dann gibt es noch die Schweizer Netzwerke, mit denen Sie verbunden sind...

«Ja, die Beteiligung am Switzerland Innovation Park, ein Projekt, das entstanden ist, um die Innovation in der Schweiz zu unterstützen und exzellente Unternehmen aus dem Ausland anzuziehen, wird uns sehr helfen. Wir wurden 2021 nach einer zweijährigen Prozedur aufgenommen und befinden uns nun in der Umsetzungsphase. Wir mussten eine lange Reihe von Dossiers entwickeln und sie einer von der Stiftung, die den Switzerland Innovation Park landesweit verwaltet, eingesetzten Jury vorlegen. Die Bewertungen waren sehr sorgfältig und konzentrierten sich auf die Exzellenzparameter im Tessin (welche Institutionen gibt es, wie funktioniert das Tessiner Ökosystem, wie viele Finanzierungen stehen zur Verfügung, usw.). Am Ende gab es grünes Licht und der Switzerland Innovation Park Tessin wurde gegründet, der direkt mit dem in Zürich verbunden ist (aber natürlich auch mit den in anderen Schweizer Städten vorhandenen „Parks“). Wir werden dieses wichtige Projekt durch thematische Kompetenzzentren entwickeln, die auf den Exzellenzen des Gebiets basieren: Drohnen, Life Sciences, Lifestyle-tech und andere».

Es wird seit Monaten darüber gesprochen, aber ich gebe zu, dass mir die „Natur“ dieser Kompetenzzentren nicht klar ist

«Sie sollen der Treffpunkt für im Tessin entstehende Initiativen werden, die internationale Exzellenzen darstellen. Die Stiftung Agire wird eine aktive Rolle spielen und den Unternehmen, den Kompetenzzentren beitreten, dabei helfen, die besten Partner in der Welt zu finden, wenn nötig auch in Japan oder Südkorea, um diese Tessiner „Highlights“ zu fördern. Kurz gesagt, wir werden als „Schlepper“ für die Unternehmen fungieren, die sich diesen Zentren anschliessen, und der Kanton wir auch mit nicht rückzahlbaren Finanzmitteln eingreifen, jedoch unter zwei Bedingungen: Die Unternehmen müssen auch eigene Geldmittel einbringen und sich verpflichten, in unserem Gebiet zu bleiben».

Sie wollen also eine Art Club der Exzellenzen gründen...

«In mancher Hinsicht ja. Wir möchten eine Reihe von Unternehmen und Strukturen mit einer sehr hohen Innovationskraft ins Leben rufen, die das Projekt wachsen lassen und sich gegenseitig nähren. Jedes Zentrum wird auch als „offene Wissenschaft“ (open innovation) konzipiert: Das ist zumindest unsere Absicht. Jedes Unternehmen wird also seine Wachstums- und Gewinnziele beibehalten, jedoch mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten, die gemeinsame Werte haben. Und die Summe liefert im Allgemeinen bessere Ergebnisse als einzelne Elemente. Andererseits sind auch andere Städte oder Regionen, die am Switzerland Innovation Park beteiligt sind in dieser Richtung tätig oder versuchen es. Und auch in der nahe gelegenen Lombardei folgt der MIND Milano Innovation District auf dem Gelände der Expo 2015, dieser Philosophie, wenn auch in anderen Formen».

Werden Ihnen im neuen Innovationsquartier, das auf dem Gelände der ehemaligen SBB-Werkstätten in Bellinzona entstehen wird, auch eine Reihe von „physischen“ Räumen zur Verfügung stehen?

«Ja, wir werden eine eigene Struktur mit Versammlungsräumen und Labors haben, die wir an innovative Unternehmen vermieten können. Über ihre Nutzung werden wir in den nächsten Jahren entscheiden, wenn das Projekt der ehemaligen SBB-Werkstätten in die Betriebsphase geht. Allerdings gibt es bereits eine Strategie».

Bieten Sie den Startups vorerst Ihre Räumlichkeiten im Technologiepark (im Suglio Business Center) an?

«Selbstverständlich, wir haben einen gut ausgestatteten Sitz, um die von uns ausgewählten Startups zu begleiten und aufzunehmen (jedes Jahr erreichen uns mehr als 200 Projekte). Im Portfolio haben wir ungefähr 100. Wir bieten eine breite Palette von Beratungsdienstleistungen an, um ihnen den Start zu erleichtern und auch (jedoch gegen Gebühr) ein Büro: Einen Sitz, der dem Unternehmen Wert verleiht, denn im Technologiepark aufgenommen zu werden, bedeutet, von der Stiftung Agire positiv bewertet worden zu sein. Dies alles gibt den Startups einen zusätzlichen Mehrwert».

Dann gibt es noch Boldbrain, immer bei Ihnen...

«Boldbrain ist ein Beschleuniger und ermöglicht daher einem Startup, den Weg in wenigen Monaten zu absolvieren, der normalerweise Jahre erfordert. Jedes Jahr werden 20 Projekte zugelassen und jedem davon bieten wir 30 Stunden Coaching, 5 Workshops, Treffen mit potentiellen Investoren, aber auch ein direkt von uns geleitetes Coaching. Die Gewinner im Finale des Wettbewerbs erhalten Preise von insgesamt 200’000 Franken, zwischen Bargeld und Dienstleistungen, und erhalten den rechtlichen „Status“, der allen Investoren in ihr Unternehmen, Steuervorteile ermöglicht».

Aber Sie beschäftigen sich in Wahrheit nicht nur mit Startups

«Das stimmt, wir helfen auch bereits etablierten Unternehmen (und das ist für uns ein sehr wichtiger Bereich) auf ihrem Weg zu immer innovativeren Modellen, und zwar auf verschiedene Weise: Indem wir Unternehmern bei der Patentrecherche unterstützen, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum in Bern oder indem wir sie auf dem erforderlichen Weg zur Beantragung von Fördergeldern bei Innosuisse begleiten.
Aber was uns sehr am Herzen liegt, ist die Verbreitung der Kultur der Innovation nicht nur in den Unternehmen sondern auch in der Gesellschaft (Familien, Schulen, Institutionen, bis hoch zur Politik). Jenseits des Technologieparks und anderer Instrumente muss sich in der gesamten Allgemeinheit ein Wachstum dieser Werte entwickeln: Die Kultur des Risikos (die Idee, dass nicht alle Investitionen erfolgreich sein können) muss mehr akzeptiert werden. Andernfalls wird es für die Unternehmer immer schwieriger, sich in einer Gesellschaft zu behaupten, die zu viele Garantien will. Innovation ist ein Glaube: Entweder du glaubst daran oder du glaubst nicht daran...»