künstliche intelligenz

Innovative Therapien mit den Super-Algorithmen, auch gegen den Krebs

Dienstag, 14. April 2020 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

Die Zeitschrift Nature Methods hat einem neuen, von Bruno Correia (Technische Hochschule Lausanne) gemeinsam mit Michael Bronstein (USI) entwickelten System für die Vorhersage des «Verhaltens» der Proteine das Titelblatt gewidmet
von Elisa Buson

Niemals nach dem Äusseren urteilen. Nicht die Kleidung macht den Mönch, wie ein Sprichwort besagt. Aber dennoch steckt in manchen Fällen die Substanz auch in der Form, wie in der mikroskopischen Welt der Proteine. An ihrem Aussehen kann man nämlich vorhersagen, wie sie sich verhalten werden: Das zeigt ein neues System künstlicher Intelligenz namens MaSIF (Molecular Surface Interaction Fingerprinting), das die Oberflächenstruktur dieser «Bausteine» des Lebens untersucht, sie als Art Fingerabdruck erkennt und nutzt, um ihre Interaktion mit den anderen biologischen Molekülen vorherzusehen.

Das System, das bei der Entwicklung neuer Arzneimittel und sogar künstlicher Zellen helfen wird, wurde von einer internationalen Forschungsgruppe unter der Koordination von Bruno Correia der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) gemeinsam mit Michael Bronstein, Professor für Informatik an der Università della Svizzera italiana und am Imperial College in London sowie Forschungschef für Graph Learning bei Twitter, in der Zeitschrift Nature Methods veröffentlicht (und ziert sogar ihr Titelblatt).

«Die Proteine können sich mit anderen Molekülen verbinden, beispielsweise mit den Rezeptoren der Zellen, wie ein Schlüssel mit einem Schloss: Auf diese Weise führen sie eine ganze Kaskade an Signalen herbei, die eine biologische Aktivität in der Zelle aktiviert, stoppt oder moduliert», erläutert Bronstein. So wie wir lernen, den die Haustür öffnenden Schlüssel an der Form zu erkennen, so haben die Forscher der künstlichen Intelligenz beigebracht, die geometrischen und chemischen Merkmale der Proteine mit ihren Fähigkeiten der Interaktion zu verknüpfen.

Nach der Lernphase war der Algorithmus in der Lage, Milliarden Proteinoberflächen pro Sekunden zu analysieren. «Jetzt können wir auch mehrfache Interaktionen zwischen Proteinen untersuchen, indem wir einen ganzen Schlüsselbund mit zahlreichen Schlössern abgleichen: Es ist wie ein 3D-Puzzle, das man jetzt verglichen mit früher mit der 10.000-fachen Geschwindigkeit lösen kann», betont der Experte.

Diese Technik hilft uns zu verstehen, wie die rund 20.000 Proteine im menschlichen Körper interagieren, aber nicht nur. Sie wird uns auch helfen, neue Krebsmedikamente zu entwickeln, beispielsweise «Moleküle, die in der Lage sind, den Proteinkomplex PD-1/PD-L1, der die Tumorzellen für das Immunsystem unsichtbar macht, zu binden und zu hemmen», erklärt Bronstein. Aber die Anwendungen könnten weit über die Medizin hinausgehen: Man könnte auch Proteine gestalten, die man als chemische Sensoren oder Katalysatoren einsetzen kann, um die Reaktionen in Industrieprozessen zu beschleunigen.

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Möglich wurde dieser Fortschritt durch eine besondere, von der künstlichen Intelligenz angewandte Methode, das sogenannte «geometric deep learning», das sich in den letzten fünf Jahren immer weiter verbreitet. Das Neue daran ist, die Algorithmen, welche die neuralen Netzwerke des Gehirns simulieren, auf Daten geometrischer Natur angewandt werden, die in Form von Graphen strukturiert werden können, also in Form von Netzwerken, die sich aus Punkten (Knoten genannt) zusammensetzen, die wiederum mit Linien (die Seiten oder Eckpunkte des Graphen) miteinander verbunden sind. Ein paar praktische Beispiele? «Neben der Untersuchung der Oberfläche der Proteine kann das geometric deep learning auf die Computergraphik angewendet werden, um die Bewegungen eines Akteurs in 3D zu erfassen, oder auf die Technik der Gesichtserkennung und das Informationsmanagement in den sozialen Netzwerken», bestätigt Bronstein. Nehmen wir beispielsweise Facebook: Die Plattform basiert auf einem sozialen Graphen, wobei die Nutzer die Knoten des Netzwerks sind, ihre Freundschaftsverhältnisse sind die Verbindungsstellen.

Oder nehmen wir Twitter, wo die Interaktion zwischen Nutzern und Inhalten (ausgedrückt durch die berühmten «Likes») die Auswahl der Tweets bestimmt, die basierend auf den persönlichen Vorlieben auf der Timeline erscheinen. Durch das geometric deep learning ist es sogar möglich, Jagd zu machen auf die Enten, die im Netz im Umlauf sind, wie derselbe Bronstein 2017 erkannte. «Ich verbrachte mein Sabbatical in Harvard und zur damaligen Zeit sprach man viel über Fake News und wie sie im Wesentlichen anders zirkulieren als wahre Fakten», erinnert sich der Experte. «Die ersten Patente über das geometric deep learning hielten wir bereits in den Händen und ich dachte, dass wir es kommerziell nutzen könnten, um die künstliche Intelligenz darauf zu trainieren, wahre und falsche Fakten anhand der Art und Weise, wie sie in Umlauf gelangen, zu erkennen.» So entstand 2018 das Start-up FABULA AI, das von Anfang an das Interesse von Twitter weckte, um schliesslich binnen eines Jahres von dem Koloss aus San Francisco übernommen zu werden. «Meiner Meinung nach steckt in der Universität eine Menge Talent und Potential, aber die Distanz zwischen der Veröffentlichung eines guten Artikels, der Entwicklung einer guten Technologie und dem Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens ist enorm», kommentiert Bronstein. «Jeder dieser Schritte hat einen höheren Schwierigkeitsgrad als der vorherige und erfordert einen anderen Denkansatz. Eine der Schwierigkeiten, die akademische Forschung auf den Markt zu bringen, liegt darin, dass wir an der Uni auf unsere Studien fokussiert sind und erst danach überlegen, wie man sie anwenden kann: Als hätte man eine Lösung, die das zu lösende Problem sucht. Um ein erfolgreiches Unternehmen zu sein, muss man die Dinge von der anderen Seite auch betrachten.»

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