Testreihe

Ein Hightech-Helm, um Krebsschmerzen zu lindern: Auch im Tessin starten die Tests

Sonntag, 12. März 2023 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana
(Zeichnung von Marco Galli)
(Zeichnung von Marco Galli)

Mehr als 70 Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium werden in unserem Kanton für das wichtige europäische Projekt PAINLESS „rekrutiert“, an dem das EOC über das Neurocentro und das IOSI beteiligt ist
von Elisa Buson

Krebsschmerzen lindern dank eines Hightech-Helms, der bequem zu Hause getragen werden kann: Dieser anspruchsvollen Herausforderung stellt sich das neue internationale Forschungsprojekt PAINLESS, das mit knapp sechs Millionen Euro in fünf Jahren im Rahmen des Programms Horizon Europe der EU gefördert wird. Die Initiative, die nach dem offiziellen Start im vergangenen Juli ihre ersten Schritte unternimmt, wird von den Spaniern der Universität Santiago de Compostela geleitet und beteiligt ein Konsortium von über 20 Organisationen und Instituten aus Frankreich, Deutschland, Spanien, Portugal, Belgien, Tschechien, Israel, Rumänien und der Schweiz. Auch das Tessin steht mit dem Ente Ospedaliero Cantonale (EOC) in erster Linie, insbesondere mit dem Neurocentro della Svizzera Italiana (NSI) und dem Onkologischen Institut der italienischen Schweiz (IOSI), Gewinner eines europäischen Grants von über 500.000 Euro, das es ermöglicht, mehr als 70 Krebspatienten in die Testreihe einzubeziehen.

«Der Schmerz ist das meist gefürchtete Symptom der Patienten und eines derer, die die Lebensqualität am meisten beeinträchtigen», erklärt Maria Teresa Carillo de la Pena, Verantwortliche des Projekts an der Universität Santiago de Compostela. «Man schätzt, dass 59 % der Patienten, die einer Krebsbehandlung unterzogen werden, 64 % der Patienten mit einem Tumor im fortschrittlichen Stadium und 33 % der Genesenen unter Schmerzen leiden». In 8 von 10 Fällen kann das Problem durch eine medikamentöse Therapie wirksam kontrolliert werden, aber es gibt immer noch 20 % der Patienten, die nur schlecht auf die Medikamente ansprechen oder aufgrund von Nebenwirkungen sogar gezwungen sind, diese abzusetzen. Daher ist es notwendig zu verstehen, welche Gehirnmechanismen sich hinter diesem Misserfolg verstecken und welche nicht-medikamentösen Methoden dazu beitragen können, den Kranken Linderung zu verschaffen.

Das Projekt PAINLESS setzt auf die Möglichkeit, die Gehirnverbindungen, die den Schmerz auslösen, durch eine nicht-invasive Methode der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) zu modulieren, die darin besteht, über kleine an der Kopfhaut aufgelegte Elektroden schwache und harmlose elektrische Ströme anzuwenden: Die so erzeugten Magnetfelder verändern die elektrische Aktivität der Neuronen, indem sie je nach der Häufigkeit und Dauer der Stimulation die Aktivität anregen oder dämpfen. «In den letzten Jahren wurde die tDCS für verschiedene Arten von chronischen Schmerzen untersucht, wie Krebsschmerzen, Multiple Sklerose, diabetische Neuropathie und Fibromyalgie», erklärt Dr. Eva Koetsier, Fachärztin für Anästhesie und Schmerztherapie, die am Zentrum für Schmerztherapie NSI-EOC arbeitet und Leiterin der Anästhesiologie des Regionalspitals Lugano ist. «Bisher sind die Erkenntnisse über die schmerzlindernden Wirkungen der tDCS jedoch aufgrund mehrerer Faktoren noch nicht solide genug: Die klinischen Studien wurden an sehr kleinen Patientengruppen durchgeführt, sie hatten keine standardisierten Protokolle und die Behandlung war oft nicht lange genug. Trotzdem deutet eine grosse Zahl positiver Ergebnisse auf das schmerzlindernde Potential der tDCS bei mehreren Arten von chronischem Schmerz hin, einschliesslich chronischer Krebsschmerzen, und ohne Nebenwirkungen zu verursachen».

Um die tatsächliche Wirksamkeit zu bewerten, haben die Forscher des Konsortiums PAINLESS ein Versuchsprotokoll erarbeitet, das die Verwendung eines Hightech-Helms zur transkraniellen Gleichstromstimulation zu Hause unter Fernüberwachung beinhaltet. «Es handelt sich um ein einfach zu benutzendes drahtloses System», bemerkt Koetsier. «Die Daten und Symptome werden an das Smartphone übertragen und von dort aus an eine Cloud-Plattform zur Fernverwaltung und Überwachung der Behandlung». An der Testreihe werden mehr als 2.000 Patienten teilnehmen, davon 75 im Tessin, erklärt Claudia Gamondi, Palliativ-Onkologin und Chefärztin an der Klinik für palliative und unterstützende Pflege des IOSI. «Die Auswahl beginnt im Frühjahr: Wir werden 75 Freiwillige mit Tumoren im fortgeschrittenen Stadium rekrutieren. Aus diesen wählen wir per Zufallsprinzip 45 aus, die den Helm für insgesamt zwei Wochen dreimal täglich für 15 Minuten zu Hause benutzen werden. Am Ende werden wir die Wirksamkeit auf den Schmerz, die Zufriedenheit der Patienten und die Verträglichkeit der Behandlung auswerten und die Ergebnisse mit denen der Kontrollgruppe vergleichen». 

Der wesentliche Parameter, der überwacht werden wird, ist «die Schmerzintensität – fügt Koetsier hinzu – aber es gibt verschiedene andere Variablen, die wir auswerten werden, wie zum Beispiel die Einnahme von Schmerzmitteln, den Grad der Müdigkeit, die Wirkung der Behandlung auf die Stimmung und die Schlafqualität». Darüber hinaus werden Empfindlichkeitsuntersuchungen und ein Elektroenzephalogramm durchgeführt, um „Signale“ (Biomarker) für den Schmerz zu identifizieren, die eine bessere individuelle Therapie ermöglichen.

«Unser Ziel ist es, die Möglichkeit zu untersuchen, den Einsatz von Medikamenten bei der Schmerzbehandlung zu reduzieren, um das Wohlbefinden der Krebspatienten im fortschrittlichen Stadium zu verbessern», bestätigt Koetsier. «Zudem beabsichtigen wir zu untersuchen, ob sich diese Behandlung als praktischer erweisen könnte als die herkömmliche Behandlung von Krebsschmerzen durch Medikamente, diagnostische Tests, Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte».

Das Projekt PAINLESS stellt eine Chance für Krebspatienten dar, «die mit überwältigender Grosszügigkeit und Selbstlosigkeit oft gerne bereit sind, an Testreihen teilzunehmen, in der Hoffnung, dass ihre Erfahrung auch anderen Patienten zu Gute kommt», so Gamondi. Aber das Projekt ist auch eine grossartige Gelegenheit für das EOC. Der Gewinn des europäischen Grants «auch dank des Engagements von Maria Montilla des Akademischen Ausbildungs-, Forschungs- und Innovationsbereichs (AFRI - Area Formazione Accademica, Ricerca e Innovazione) des EOC, wird uns die Teilnahme an einem grossen internationalen Netzwerk mit neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit ermöglichen: Ein wichtiger Schritt insbesondere für unsere Klinik für Palliativpflege, die mit mehr als 70 Fachkräften, darunter Ärzte, Krankenpfleger, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten und viele andere mehr, über 4.000 Beratungen pro Jahr leistet», schliesst Gamondi ab.

(Dieser Artikel wurde für die Rubrik Ticino Scienza geschrieben, die in der Tageszeitung LaRegione di Bellinzona veröffentlicht wird)