onkologie

Gentechnisch veränderte Bakterien sollen Tumoren «sabotieren»
und die Immuntherapie verbessern

Dienstag, 15. Februar 2022 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

In “Nature” wurden die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, die vom Team um Roger Geiger am IRB in Bellinzona durchgeführt wurde. Es kamen Mikroorganismen, die in krebsartige Zellen eindringen können, zum Einsatz
von Elisa Buson

Bei der Tumorbekämpfung haben wir neue, wahrhaft ungeahnte Verbündete: Bakterien. Normalerweise unterscheiden wir zwischen «guten» und «schlechten» Bakterien, je nachdem, wie sie sich auf unsere Gesundheit auswirken. Dank der synthetischen Biologie beginnt sich mittlerweile jedoch eine dritte Kategorie abzuzeichnen: nämlich die der «intelligenten» Bakterien. Dabei handelt es sich um Mikroorganismen, die für den Menschen völlig harmlos sind und gentechnisch so verändert werden, dass sie sich in regelrechte Saboteure von Tumoren verwandeln, die in der Lage sind, in kranke Zellen einzudringen und deren Abfallprodukte in Treibstoff für das Immunsystem umzuwandeln. Diese raffinierte Strategie wurde am Forschungsinstitut für Biomedizin (IRB, einer Zweigstelle der Università della Svizzera italiana) im Labor unter der Leitung von Roger Geiger, der dank seiner wissenschaftlichen Leistungen kürzlich in das «Young Investigator»-Programm der European Molecular Biology Organization (EMBO) aufgenommen wurde, erfolgreich erprobt. Die bislang an Tiermodellen durchgeführte Studie wurde in der renommierten Zeitschrift Nature veröffentlicht und deutet auf wichtige Entwicklungen in der Krebsbehandlung hin.

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Ziel ist es, die Wirkung der Immuntherapie, die das Immunsystem aktivieren soll, zu verstärken: Diese hat sich zwar gegen verschiedene Tumorarten als wirksam erwiesen, funktioniert aber leider nicht bei allen Patienten. Dies ist oft darauf zurückzuführen, dass die Wächter des Immunsystems – die sogenannten T-Zellen – unter sehr schwierigen Bedingungen und ohne ausreichende Versorgung kämpfen müssen. Deshalb kam man auf die Idee, sich die Fähigkeit bestimmter Bakterien, Tumoren zu «besiedeln», zunutze zu machen, um die T-Zellen mit Proviant zu versorgen. Zwischen kranken Zellen bildet sich nämlich ein sauerstoffarmes Milieu, das bestimmten unter anaeroben Bedingungen lebenden Mikroorganismen eine ideale Nische bietet. Es ist kein Zufall, dass «sich das Mikrobiom von Tumoren von dem gesunder Organe unterscheidet», erklärt Geiger. «Ebendiese sich in Tumoren ansiedelnden Bakterien können als gentechnisch veränderbare Plattformen genutzt werden, um die Tumorumgebung zu beeinflussen und auf diese Weise eine therapeutische Wirkung zu erzielen.»

Die Idee, Bakterien als Mittel zur Krebsbekämpfung einzusetzen, stammt aus dem späten 19. Jahrhundert, als der US-amerikanische Arzt und Chirurg William Coley als Erster die vollständige Eradikation eines Zervixsarkoms nach einer akuten Streptokokkeninfektion beobachtete. Ausgehend von dieser Entdeckung entwickelte er eine Mischung aus bakteriellen Toxinen, um das Immunsystem gegen den Tumor zu aktivieren. «Obwohl sich diese Therapie als unwirksam und ziemlich schädlich herausstellte, zeigten Coleys erste Beobachtungen, dass Bakterien in der Lage sind, in Tumoren zu leben und eine Immunantwort gegen diese auszulösen», betont der Experte des IRB. «Wir wissen heute, dass sich bestimmte Bakterien – sowohl pathogene als auch apathogene – bevorzugt in Tumoren ansammeln und eine antitumorale Wirkung entfalten können: Dazu zählen beispielsweise Salmonellen, Listerien, Clostridien und Streptokokken. Da die Verabreichung pathogener Bakterien inakzeptable toxische Wirkungen zur Folge hat, basieren die meisten der heutigen Strategien zur Krebsbekämpfung auf apathogenen Bakterien.»

In Zusammenarbeit mit dem in Cambridge (USA) ansässigen Unternehmen Synlogic konzentrierten sich die Forscher des IRB auf den Stamm Escherichia coli Nissle 1917 (EcN), der völlig harmlos ist und seit geraumer Zeit zur Herstellung von Medikamenten und Impfstoffen verwendet wird. Die Bakterien wurden im Labor gentechnisch verändert, sodass sie in der Lage waren, ein Abfallprodukt der Tumorzellen (Ammoniak) in einen immunmodulatorischen Metaboliten (L-Arginin), der die tumorhemmenden Funktionen der T-Zellen verstärkt, umzuwandeln. Die in Mäuse injizierten Bakterien besiedelten sofort den Tumor, förderten so die T-Zell-Infiltration und verbesserten in der Folge die Wirksamkeit der Immuntherapie (die in diesem Fall auf der Verabreichung von Antikörpern basierte, die das Protein PD-L1 hemmen).

Diese Strategie erwies sich bei den sogenannten «heissen» Tumoren – d. h. bei Tumoren, die aufgrund einer bereits vorhandenen T-Zell-Antwort Entzündungszeichen aufweisen – als wirksam. Bei «kalten» Tumoren, die keine Immunreaktion auslösen, scheint sie hingegen nicht zu funktionieren. «Als wir versuchten, bei kalten Tumoren mittels Injektion spezifischer T-Zellen eine Immunantwort hervorzurufen – so Geiger –, stellten wir fest, dass die Bakterientherapie wieder Wirkung zeigte und die allgemeine Immunantwort verstärkte. Angesichts dieser präklinischen Ergebnisse könnten Patienten mit heissen oder immunogenen Tumoren (wie dem Melanom, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs und Darmkrebs mit Mikrosatelliteninstabilität) möglicherweise auf die Bakterientherapie ansprechen.»

Bevor die Therapie jedoch am Menschen geprüft werden kann, gilt es, insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit noch einige Probleme zu lösen. Bislang hat sich gezeigt, dass die Injektion der Bakterien in den Tumor gut vertragen wird. Über die potenziellen Risiken einer systemischen Verabreichung, die erforderlich ist, um die Krankheit in den verschiedenen Teilen des Körpers zu erreichen, ist allerdings noch wenig bekannt. «Aus präklinischen Studien an Mäusen wissen wir, dass die intravenöse Verabreichung von E. coli Nissle mit einer gewissen Toxizität verbunden ist, woraus zu schliessen ist, dass die Bakterien weiter gentechnisch verändert werden müssen, um den Tumor mit verbesserter Zielsicherheit zu erreichen. «Dies – so Geiger weiter – würde es uns ermöglichen, weniger Bakterien in den Blutkreislauf zu injizieren und so die systemische Entzündung zu reduzieren. Verschiedene Labore, darunter auch mein eigenes, erproben derzeit unterschiedliche Strategien, um dieses Ziel zu erreichen.» Der nächste Schritt wird darin bestehen, die Bakterien so zu modifizieren, dass sie Multitasking-Fähigkeiten besitzen beziehungsweise imstande sind, nicht nur L-Arginin, sondern auch andere nützliche Moleküle zu produzieren. Dies würde «eine bessere therapeutische Wirkung und eine breitere Anwendung bei Krebspatienten» ermöglichen.