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Das Gehirn von Musikern? Ein perfektes natürliches Labor ...neuroscienze

Donnerstag, 24. Oktober 2019 ca. 4 Minuten lesen In lingua italiana

Tagung am Konservatorium Lugano über die unterschiedlichen Aspekte der musikalischen Aktivität, die als Quelle von Emotionen und Ästhetik, aber auch von Stress für die verschiedenen Hirnareale gilt, die sich ständig neu formen müssen
von Paolo Rossi Castelli

«Neurobiologie und musikalische Praxis»: Eine Kombination, an die man nicht sofort denkt, wenn man Musik vor allem als Quelle von Emotionen, Freude und Anregung zum Tanzen sieht ... Allerdings bietet dieses Thema, das am Freitag, den 11. Oktober, im Konservatorium Lugano (grosser Saal, Via Soldino 9) diskutiert wird, in Wirklichkeit einige interessante Aspekte der Reflexion. Ab 16 Uhr treten folgende Referenten auf: Alain Kaelin, medizinischer und wissenschaftlicher Leiter des Neurocentro della Svizzera Italiana; Lutz Jäncke, Leiter der Abteilung für Psychologie und Neuropsychologie der Universität Zürich; Claudio Bassetti, Direktor der Klinik für Neurologie am Inselspital Bern; Eckard Altenmüller, Leiter des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover; Anna Modesti und Christoph Brenner, Professoren und Forscher am Konservatorium; Violinistin Virginia Ceri.

Doch warum ist die «Biologie der Musik» so wichtig? Wir haben Professor Kaelin gefragt, der am Freitag auf der vom Neurocentro della Svizzera Italiana, den Stiftungen Fondazione Neuroscienze Ticino und Fondazione Eccles sowie vom Konservatorium organisierten Tagung die Gäste begrüssen wird.

«Musiker (vor allem professionelle Konzertmusiker) – erklärt Kaelin – sind eine Art natürliches Labor, das einen wichtigen Beitrag dazu leistet, die Plastizität des Gehirns zu untersuchen, also wie es sich verändert, um sich an neue Aufgaben anzupassen. Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie und anderer fortschrittlicher Geräte können wir (seit einigen Jahren) „live“ mitverfolgen, welche Veränderungen – mitunter auch tiefgreifende – das Gehirn durchläuft. Das war früher nicht möglich, da es diese Maschinen noch nicht gab und diese Aktivitäten – im Gegensatz zu fast allen anderen Vorgängen – nicht an Labortieren untersucht werden können. Musik ist bekanntlich eine dem Menschen vorbehaltene Eigenschaft.»

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«Die Kapazität des Musikergehirns (z. B. eines Geigenvirtuosen) wird vollkommen ausgeschöpft, was die Bewegungssteuerung, aber auch den Seh- und Tastsinn sowie das Gedächtnis anbelangt ... Alles muss einwandfrei funktionieren. Studien von Lutz Jäncke und anderen Forschern haben nun bewiesen, dass im Gehirn dieser Menschen wichtige Veränderungen auftreten: vor allem in der motorischen Grosshirnrinde, die die Handmuskeln steuert, aber auch im auditorischen System und im Corpus callosum (dem Bereich, der die beiden Hemisphären verbindet). Aber das ist noch nicht alles: Man hat entdeckt, dass in einigen Bereichen die Dichte und das Volumen der grauen Substanz sowie der Kapillaren (die das Blut transportieren) und der Gliazellen, die die Neuronen nähren und unterstützen, zunimmt. Darüber hinaus verändert sich auch das Netzwerk der Synapsen (Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen). All dies ist, wie schon gesagt, sehr wichtig, um zu verstehen, wie sich die Plastizität des Gehirns von Musikern, aber nicht nur, äussert.»

«Ja, Musiker sind ein sehr wichtiger und einzigartiger „Prototyp“ (Veränderungen, die bei Menschen anderer Berufskategorien auftreten, sind wesentlich schwieriger zu untersuchen ...). In Wirklichkeit stellen Musiker jedoch leider nicht nur ein Idealmodell dar, sondern leiden in vielen Fällen sogar aufgrund der Musik. Ein klassisches Problem sind Dystonien: falsche, meist zu starke Impulse, die die Muskeln der Extremitäten erreichen und unwillkürliche Muskelkontraktionen, Krämpfe oder sogar eine Art Blockade auslösen. Lange Zeit ging man davon aus, es handle sich um ein Problem des motorischen Systems des Gehirns, doch haben neuere Studien den Horizont erweitert: Bei Dystonien ist auch das somatosensorische System betroffen, insbesondere das des Tastsinns, das nach einer Überstimulation, wie sie bei Musikern vorkommt, falsche Signale an den motorischen Kortex sendet, der wiederum falsche Informationen an Muskeln und Gelenke weiterleitet. Ein Grossteil der Berufsmusiker leidet unter diesen Beschwerden, auch wenn viele von ihnen aus Angst vor beruflichen Konsequenzen versuchen, sie zu verbergen.» 

«Es gibt sogenannte „Retuning“-Therapien zur Rehabilitation des sensorischen Systems: zum Beispiel mithilfe von Übungen, die darauf abzielen, die Position der Hand zu verändern. Sie sind jedoch nicht immer wirksam. In einigen Fällen wird auch Botulinumtoxin gegen übermässige Kontraktionen eingesetzt. Auch in der Ambulanz des Neurocentro wenden wir diese Verfahren an Musikern an.»

«Insbesondere hilft die Musik (und vor allem der Tango) Patienten mit motorischen Erkrankungen, wie z. B. Parkinson, den Bewegungsrhythmus wiederzuerlangen, auch wenn noch unklar ist, warum. Doch auch im Bereich der Psychotherapie kann die Musik ein wichtiges Hilfsmittel darstellen. In diesem Fall hilft sie, Emotionen zu steuern.»

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