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Der Appell eines «Raumfahrt-Elektrikers»: Lasst die Leidenschaft siegen!

Montag, 18. November 2019 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

Grosser Andrang am LAC Lugano beim Treffen mit dem Astronauten Paolo Nespoli, der sich selbst als «Arbeiter auf einer Raumstation» definiert. Grosses Engagement, Risikobereitschaft, kein Alibi: Hier ist sein Rezept.
von Paolo Rossi Castelli

«Die Leidenschaft! Denkt daran: Hegt einen Traum und versucht euer Leben lang, ihn zu verwirklichen, mit voller Energie, ohne euch von Schwierigkeiten beirren zu lassen, ohne schon zu Beginn aufzugeben, weil es zu schwierig scheint: Lasst die Leidenschaft siegen!» Der Appell des 62 Jahre alten Astronauten Paolo Nespoli, der den europäischen Rekord über den längsten Aufenthalt im All trägt (313 Tage, 2 Stunden und 36 Minuten), fand im Theatersaal des LAC in Lugano am 16. November ein starkes und ansteckendes Echo. Zunächst hatte der Veranstalter des Treffens IBSA an eine intimere «Location» gedacht, aber als klar war, dass viele Menschen kommen würden, wurden die Türen des Theaters geöffnet, das mit 600 Plätzen normalerweise Bühne für berühmte Musiker oder Schauspieler ist. Und Nespoli hat sich in der Tat nicht nur als Mann der Wissenschaft mit einem beeindruckenden Lebenslauf, sondern auch als fesselnder Erzähler erwiesen. Während seiner ersten Mission auf der Internationalen Raumstation 2007 hatte er ein Schild aufgestellt: «Blickt nach vorne und setzt euch hohe Ziele: Die Sterne sind gar nicht so weit entfernt!» Hat diese Botschaft, vor allem für die Jüngeren, immer noch Gültigkeit? «Ja, sicher – antwortet Nespoli gegenüber Ticino Scienza. – Wir sind die Gestalter unserer Zukunft und wir müssen sie selbst in die Hand nehmen. Es ist wichtig, dass wir das den Kindern sagen. Häufig sind wir uns dieser Möglichkeit gar nicht bewusst und glauben, dass wir uns immer an etwas festhalten müssen. Für unseren Misserfolg, unsere Bewegungslosigkeit suchen wir die Schuld bei „externen Elementen“. Dabei muss alles von uns ausgehen ... Im Laufe der Jahre habe ich dieses Schild tatsächlich mehrmals verändert. Heute schlage ich vor: „Die Zukunft gehört euch. Träumt von unmöglichen Dingen!“ Denn von etwas zu träumen, das es bereits gibt, scheint mir unnütz ...»

Kann die Schule diese Art der Botschaft vermitteln?

«Leider nicht immer ... Ich habe den Eindruck, dass das Schulsystem häufig versucht, die didaktischen Abläufe eher für sich selbst als für die Schüler zu optimieren. Dabei sollte sich der Unterricht immer mehr den Bedürfnissen und den Talenten der einzelnen Kinder anpassen. Und vor allem wir, die Lehrkräfte und Eltern, sollten uns vermehrt bemühen, eine Botschaft zu entkräften, die allzu häufig über die Medien vermittelt wird: Die Botschaft, dass man auch mit banalen Dingen schnell reich und berühmt werden kann. Und genau das ist für viele Kinder der wichtigste Aspekt des Lebens: Die Suche nach dem Bedeutungslosen (im Internet, mit dem Smartphone oder im Fernsehen), das Erfolg bringt. Dabei steckt auch hinter den Erfolgen eines Fussballers wie Ronaldo ein Riesentalent und ein ganzer Haufen Arbeit. Wenn die Medien aber über Ronaldo berichten, dann geht es fast immer nur um Yachten, Feiern, Freundinnen.»

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Und wie kommentieren die Kinder Ihren anstrengenden Weg als Astronaut?

«Wenn ich unsere Jüngsten treffe und ihnen erzähle, dass ich dreissig Jahre gebraucht habe, um Erfolg zu haben, und dass ich mehrmals von vorne anfangen musste, dann glauben sie das nicht und sagen: „Ein so langer Weg zum Erfolg? Quatsch ... Ich bin mit 25 schon Millionär ...“ Offensichtlich haben diese Kinder (und nicht alle sind gleich!) eine recht fragile Fähigkeit, Konzepte zu erfassen, und verfügen über keine starke Basis persönlicher Vorstellungen, um etwas Neues hervorzubringen. Wir alle sind gefragt, sie in diese Richtung gehend zu unterstützen. Und die Schule muss die Lunte zünden ...»

Wie ist der Dialog mit Ihren Kindern?

«Ich habe zwei, sie sind 10 und 5. Ich möchte sie mit möglichst vielen Ideen konfrontieren, damit sie verstehen, was sie wirklich möchten und was nicht; was ihnen gefällt und was nicht; damit sie eines Tages aus ihrer Leidenschaft eine (selbstverständlich vergütete!) Arbeit machen können.»

Würden Sie den Kindern auch so schwierige Fächer beibringen wie das, in dem Sie sich bewegen, die Astrophysik?

«Sie ist komplex, das stimmt, aber wenn ich den Kindern von den Sternen erzähle, hören sie fast alle interessiert zu. Klar, sie sehen vor allem den „glänzenden“ Teil meiner Arbeit und sagen: „Ich möchte auch Astronaut werden!“. Auf jeden Fall ist die Astrophysik eines der Themen, das den Kindern „gezeigt“ werden sollte. Dann gehen sie von selbst auf Wikipedia und erfahren mehr. Gar nicht so schlecht, Wikipedia ... Im Gegenteil, eine wichtige Informationsquelle. Gut, dass es sie gibt!»

Sie definieren sich selbst als «Raumfahrt-Elektriker» oder auch Klempner ...

«In vielerlei Hinsicht ist der Astronaut wirklich ein Facharbeiter. Auf der Internationalen Raumstation wird alles bis ins kleinste Detail geplant und die Verantwortlichen der Mission (auf der Erde) verlangen, dass die Personen an Bord das Programm bestmöglich ausführen. In dieser Situation müssen die Astronauten alles Mögliche erledigen, auch Dinge, die eigentlich weit über ihre Kenntnisse hinausgehen. Ich beispielsweise musste zahlreiche genetische und medizinische Experimente (die nicht gerade mein Spezialgebiet sind) durchführen, war aber auch Lastenschlepper und Kranführer im All ... Man muss also kein Nobelpreisträger und kein Einstein sein, um Astronaut zu werden. Auf alle Fälle braucht man ja nach einer langen und komplexen Ausbildung handwerkliches Geschick.»

Was ist der Unterschied zu den Astronauten der Apollo-Missionen?

«Damals mussten die Astronauten etwas verwirklichen, was zuvor noch keinem gelungen war, und legten die Latte immer höher: Zum Mond zu fliegen war wirklich ein gewagter Schritt, auch deshalb gab es so viele Probleme. Unser Auftrag heute ist ein ganz anderer. Wir sind zwei vollkommen unterschiedliche Arten Astronauten. Es ist, als würde man einen 400-Meter-Läufer mit einem Triathleten vergleichen: Zwei Sportarten, die unterschiedlicher kaum sein könnten ... Ich hatte im Lauf der Jahre die Gelegenheit, einige Kollegen zu treffen, die an den Apollo-Missionen beteiligt waren. Angesichts der Vorstellung, dass ich 313 Tage im All verbracht hatte, betrachteten sie mich wie einen Verrückten. Ich antwortete ihren Blicken mit den Worten: „Aber ihr seid zum Mond geflogen!“ Wer zum Mars fliegt, wird diese beiden Merkmale miteinander vereinen müssen: Wie ein 400-Meter-Lauf nach einem Triathlon ... Eine unglaubliche Herausforderung.»

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