IMMUNOLOGIE

Das Leben eines Forschers: interessant, aufregend, ein wenig anstrengend ...

Sonntag, 22. September 2019 ca. 7 Minuten lesen In lingua italiana

Zuerst das Studium, dann weitere drei Jahre für das Doktorat und schliesslich eine prekäre Zeit als Postdoc. Mit 40 sind viele jedoch gezwungen, den Beruf zu wechseln. Interview mit Maurizio Molinari, Laborleiter am IRB
von Paolo Rossi Castelli

Wie kann man sich das Leben eines Forschers vorstellen? In welcher Umgebung und zu welchen Zeiten arbeiten sie (im Vergleich zu «normalen» Arbeitsbedingungen)? Und wie sieht es mit der Unternehmensdynamik und dem Konkurrenzkampf aus? Es wird viel über die Forschung gesprochen, und in der kollektiven Vorstellung werden grosse Hoffnungen auf die Tätigkeit derjenigen gesetzt, die ihren Alltag auf der Jagd nach krankheitsverursachenden biologischen Mechanismen und möglichen Heilmitteln in einem Labor verbringen. Doch abgesehen von den Experten kennt kaum jemand den Horizont dieser Welt. Mit all diesen Fragen haben wir uns an Maurizio Molinari gewandt, den Leiter des Labors „Steuerung der Proteinproduktion“ am Forschungsinstitut für Biomedizin (Istituto di Ricerca in Biomedicina, IRB) in Bellinzona und erfahrenen und hervorragenden Wissenschaftler.

«Manche Forscher arbeiten, genau wie im Büro, von 9 bis 17 Uhr und nehmen eine durchschnittliche Anzahl an Urlaubstagen in Anspruch», antwortet Molinari in seinem mit Büchern und Zeitschriften vollgestopften Büro, das aber auch mit Zeichnungen seiner Kinder geschmückt ist. - «Eigentlich beträgt die vorgesehene Arbeitszeit 42 Stunden pro Woche ... Die Arbeit eines Forschers kann jedoch aus mehreren Gründen nicht mit einer normalen Bürotätigkeit verglichen werden, und bei uns am IRB gibt es Leute, die viel mehr Arbeitsstunden leisten (natürlich ohne bis zum Exzess zu arbeiten, wie beispielsweise Forscher in den Vereinigten Staaten, die manchmal sogar die Nacht im Labor verbringen!) Viele von uns sind z. B. oft auch sonntags im Institut, um die für Montag geplanten Experimente vorzubereiten. Im Übrigen darf man sich als Forscher keine festen Arbeitszeiten erwarten und muss bereit sein, Zeit und Urlaub zu opfern.»

Mit welchem Wort würden Sie die Forschungstätigkeit zusammenfassend beschreiben?

«Zweifellos mit Konkurrenzfähigkeit. Auf internationaler Ebene herrscht enorme Konkurrenz, und nur die besten Forscher haben die Möglichkeit, Forschungsprojekte durchzuführen (und in den renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften zu publizieren). In manchen Fällen (zum Glück nicht am IRB) konkurrieren nicht nur verschiedene Labors miteinander, sondern sogar die Forscher ein und desselben Labors. In der Praxis vertrauen manche Leiter zwei Forschern dasselbe Projekt an, um in möglichst kurzer Zeit die besten Ergebnisse zu erzielen. Wenn die Studie schliesslich veröffentlicht wird, werden sie beide als Autoren angeführt ... Unter diesen Arbeitsbedingungen wird die Forschungstätigkeit jedoch unweigerlich besonders stressig.»

Schau in die Galerie Schau in die Galerie Ein Tag am IRB in Bellinzona
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Streben Forscher nach Reichtum und Berühmtheit?

«Nein, die Tätigkeit des Forschers ist, was das Gehalt anbelangt, keinesfalls so «gewinnbringend» wie die eines Arztes (zumindest potenziell). Wer den Weg ins Labor einschlägt, strebt nicht unbedingt nach Geld. Zu den Gründen für eine derartige Entscheidung zählen meist eine unersättliche Neugier und der Wunsch, die Welt zu verstehen; Vorstellungsvermögen und die Lust, neue Wege zu gehen sowie schliesslich die Fähigkeit, ausserhalb des vorgegebenen Rahmens zu denken, was meine amerikanischen Freunde als „Thinking outside the box“ bezeichnen ... Nur im Bereich der Patente kann man wirklich gut verdienen. Es handelt sich jedoch um vereinzelte Fälle.»

Wie kamen Sie dazu, sich der Forschung zu widmen?

«Als Junge wollte ich eigentlich Formel-1-Fahrer werden: Ich wohnte in der Nähe von Clay Regazzoni, der mich mit seiner Leidenschaft «ansteckte» ... Während meiner Gymnasialzeit war ich ein grosser Fan der Fernsehserie «Quincy», die vom Leben eines pathologischen Anatomen handelte, und wollte folglich auch selbst diesen Beruf ausüben. Durch zwei Freunde kam ich dann doch auf die Biochemie. Und von da an entwickelte ich allmählich meine Leidenschaft für die Forschung. Ich liebe meine Arbeit und gehe völlig in ihr auf ... Zu Beginn meiner Karriere verspürte ich jedoch zugegebenermassen nicht den Drang, „die Welt zu retten“ (genauso wie es meiner Meinung nach bei vielen der heutigen jungen Forscher der Fall ist). Ich beginne erst jetzt, allmählich dieses Bedürfnis zu verspüren!»

Wie sieht der klassische Ausbildungsweg junger Forscher aus?

«Nach dem Studium folgt ein Doktorat (am IRB gibt es zahlreiche Doktoranden), das in der Regel 3 Jahre dauert. Im Anschluss daran beginnt die sogenannte Postdoc-Phase (in der Regel 2 bis 7 Jahre) in einem oder mehreren Labors, wenn möglich in mindestens zwei verschiedenen Ländern. Während den Doktoranden ein Gehalt zusteht, müssen Postdocs, obwohl sie manchmal eine feste Vergütung erhalten, darum „kämpfen“, vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung oder anderen Schweizer oder internationalen Einrichtungen Fördermittel (sogenannte „Grants“) zu erhalten. Selbstverständlich ist die Veröffentlichung der eigenen Forschungsergebnisse in wichtigen wissenschaftlichen Zeitschriften, wie schon gesagt, von grundlegender Bedeutung. Andernfalls werden die Gelder entweder gar nicht oder nur tröpfchenweise bereitgestellt, und für Postdocs wird es schwieriger, Labors zu finden, die bereit sind, sie aufzunehmen. Natürlich wird alles einfacher, wenn man es schafft oder mitunter das Glück hat, sich Gruppen anzuschliessen, die von namhaften Wissenschaftlern (und zugleich guten Lehrern) geleitet werden. In jedem Fall ist das ultimative Ziel eines Postdocs, ein eigenes Labor zu besitzen und andere Leute zu koordinieren – kurz gesagt: Laborleiter zu werden. Es gibt keinen genauen Zeitplan dafür, jedoch zeigt die Erfahrung, dass es wichtig wäre, dieses Ziel bis zum Alter von 35 Jahren zu erreichen. Viele der aufstrebenden Forscher, denen dies nicht gelingt (es ist nämlich gar nicht so einfach, denn die Anzahl der Stellen für Laborleiter ist begrenzt und in jedem Fall deutlich geringer als die für Doktoranden und Postdocs), entscheiden sich dann um die 40, ihre Karriere aufzugeben (man kann schliesslich nicht ein Leben lang Postdoc sein ...) und sich anderem zuzuwenden: Einige von ihnen arbeiten dann zum Beispiel als Labortechniker an der Universität oder für Pharmaunternehmen. Es ist ein bitteres Schicksal ... Nach vielen Jahren des Studiums und der Anstrengung, alles aufgeben zu müssen.»

Wie verändert sich denn das Schicksal derer, die es hingegen schaffen, Laborleiter zu werden?

«Laborleiter müssen während ihrer langen Ausbildungszeit einen Lebenslauf „aufgebaut“ haben, der ihnen nationale und internationale Glaubwürdigkeit verleiht und es ihnen ermöglicht, für das eigene Team Geldmittel aufzubringen. Nur wenige wissen, dass ein Grossteil der Arbeit eines Laborleiters in Wirklichkeit in der Beschaffung des zur Bezahlung der Mitarbeiter erforderlichen Geldes besteht! Selbstverständlich müssen wir auch Ideen finden, die wir unseren Mitarbeitern vorschlagen können, und nicht zuletzt schreiben und publizieren.»

Nun aber zurück zu den Doktoranden und Postdocs: Kommen sie in einer so komplexen Arbeitsumgebung wie den Labors gut miteinander aus?

«Ja, natürlich – vor allem an einem Ort wie dem IRB, in einer Stadt mit einer geringen Anzahl an Studenten (z. B. im Gegensatz zu Zürich). Eine gewisse Form der Isolation, wie wir sie erleben, und auch das Zusammentreffen unterschiedlichster Nationalitäten innerhalb der Forschungsinstitute führen dazu, dass sich Gruppen bilden, die gemeinsam ausgehen oder in Urlaub fahren. Oft entstehen sogar Liebes- und Ehepaare. Auch ich habe meine Frau im Labor kennengelernt ...»

Wie stellen Sie sich die Zukunft der Forschung vor?

«Ich sehe die Forschung als eine atomisierte, pulverisierte Menge von Fortschritten. Es gibt nur äusserst selten die „entscheidende“ Entdeckung bzw. eine einzige Studie, die eine radikale Veränderung der Dinge bewirkt. Das dürfen wir uns nicht erwarten. Die Forschung schreitet voran und verzeichnet dank einer wirklich grossen Anzahl von Verbesserungen durch Forschungsgruppen aus aller Welt erhebliche Fortschritte. Dies erfordert eine enorme Menge an Geduld und Arbeit. Der Fortschritt besteht aus vielen Gliedern, die erst dann zu Wissen führen, wenn sie sich schliessen ...»

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