Lugano

Ausgebuchter Lymphom-Kongress: 4.000 Anmeldungen und die Ankündigung neuer Therapien

Freitag, 23. Juni 2023 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana
Franco Cavalli, Organisator des Kongresses (Foto: Eugenio Celesti)
Franco Cavalli, Organisator des Kongresses (Foto: Eugenio Celesti)

Nach der Corona-bedingten reinen Online-Ausgabe von vor zwei Jahren findet die International Conference on Malignant Lymphoma, die wichtigste wissenschaftliche Veranstaltung im Tessin, mit 4.000 Teilnehmenden wieder im gewohnten Format statt
von Paolo Rossi Castelli

Der internationale Kongress zum Thema maligne Lymphome (International Conference on Malignant Lymphoma – ICML) findet nach der Ausgabe 2021, die aufgrund der Anti-Corona-Regeln ausschliesslich online abgehalten wurde, wieder „in Präsenz“ in Lugano statt (der Kongress, der als die wichtigste wissenschaftliche Veranstaltung im Kanton Tessin gilt, wird im Zwei-Jahres-Rhythmus veranstaltet). In diesem Jahr wird die Veranstaltung, die nun schon zum 17. Mal stattfindet, im traditionellen Format abgehalten und nach dem gewohnten Schema ablaufen. Es werden etwa viertausend leibhaftig anwesende Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen fünf Kontinenten sowie mindestens weitere tausend bis zweitausend Begleitpersonen und Angehörige erwartet: eine gewaltige Menschenmenge für eine Stadt wie Lugano, die 68.000 Einwohnerinnen und Einwohnern zählt. Und in der Tat tummeln sich rund um das Kongresszentrum, in dem sich der Hauptsitz des ICML befindet, Scharen von Männern und Frauen mit um den Hals baumelnden Kongressausweisen. Ausserdem ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, ein Hotelzimmer oder eine „Airbnb“-Unterkunft zu finden, deren Preise sich angesichts der grossen Nachfrage in vielen Fällen erheblich erhöht und zum Teil sogar verdoppelt haben, wie man leider feststellen muss. Einige Kongressteilnehmer konnten dank der neuen Schnellzugverbindungen in Hotels in Locarno untergebracht werden.

DIE „ÜBERSICHTSKARTE“ – Der ICML-Kongress ist auf sieben verschiedene Veranstaltungsorte in Lugano verteilt: drei rund um das Kongresszentrum (Villa Ciani, die Zeltstrukturen im Park und der ehemalige Kindergarten „Asilo Ciani“), das Kino Corso, das Auditorium des Campus West der Università della Svizzera italiana und der Mehrzwecksaal des Campus Ost. Im Stadtzentrum wurden für die Kongressteilnehmer, die sich vom 14. bis 17. Juni in Lugano aufhalten werden, zahlreiche Tafeln mit einer hilfreichen Übersichtskarte aufgestellt. Die ersten Symposien sind jedoch bereits für den 13. Juni geplant. Diese werden von Pharmaunternehmen organisiert, um die neuesten Ergebnisse ihrer Studien mit innovativen Molekülen zu präsentieren. Ebenfalls am 13. Juni werden sich rund hundert internationale Expertinnen und Experten zu einem „Closed Workshop“ (einer Sitzung hinter verschlossenen Türen) treffen, um – wie bei jedem ICML-Kongress – ein besonders wichtiges und aktuelles Thema zu besprechen. Dieses Jahr werden die Onkologinnen und Onkologen über die sogenannte „Lugano-Klassifikation“ diskutieren, die in der gleichnamigen Tessiner Stadt im Rahmen des Closed Workshops 2011 entwickelt wurde und bis heute weltweit zur Einteilung der Krankheitsstadien bei Patientinnen und Patienten mit Tumoren des lymphatischen Systems (bzw. Lymphomen) eingesetzt wird.

QUALITATIV HOCHWERTIGE FORSCHUNG – Dass sich das Tessin zu einem internationalen Bezugspunkt für diese Krebsart entwickelt hat, ist der Arbeit von Franco Cavalli und anderen Forschenden wie Emanuele Zucca zu verdanken, die sich seit den 90er Jahren mit dieser Krankheit befasst haben. Zusammen mit hochkarätigen Teams, die im Laufe der Zeit erweitert wurden, ist es ihnen gelungen, hervorragende Ergebnisse zu erzielen, Publikationen in den wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen und immer mehr Fördermittel zu akquirieren. Derzeit investieren das Onkologische Institut der italienischen Schweiz IOSI (Istituto Oncologico della Svizzera italiana, eine Einrichtung des Tessiner Spitalverbunds Ente Ospedaliero Cantonale) und das Onkologische Forschungsinstitut IOR (Istituto Oncologico di Ricerca) viel Energie in die Erforschung von Lymphomen, bei denen es sich einigen Schätzungen zufolge um die weltweit siebthäufigste Krebsart handelt.
«Auf dem diesjährigen ICML-Kongress – erklärt Franco Cavalli, der Organisator des Kongresses, gegenüber Ticino Scienza – werden mehrere interessante Daten präsentiert. Von besonderer Bedeutung sind die Ergebnisse von zwei Studien zum Hodgkin-Lymphom (eine der beiden grossen Lymphom-Untergruppen, Anm. d. Red.): Sie zeigen nämlich, dass die Kombination von Immun- und Chemotherapie es ermöglicht, noch höhere Heilungsraten zu erzielen und, sofern der Tumor frühzeitig diagnostiziert wird, sogar den bereits sehr guten aktuellen Wert von 80 % zu übertreffen. Diesen Studien zufolge können sogar noch weitere Fortschritte erreicht werden».
Wesentlich komplexer verhält es sich mit den sogenannten Non-Hodgkin-Lymphomen, einer heterogenen Gruppe mit einer Vielzahl an Untertypen, die jeweils unterschiedliche Merkmale aufweisen und unterschiedlich auf die Behandlung ansprechen. «Allerdings werden auch für diese Gruppe von Lymphomen neue Therapien getestet, die vielversprechend sind», so Cavalli weiter. «Eine davon sieht den Einsatz sogenannter bispezifischer Antikörper vor: Hierbei handelt es sich um monoklonale Antikörper, d. h. um Antikörper, die zwar denen ähneln, die vom menschlichen Körper produziert werden, aber mithilfe der Gentechnik erzeugt und so modifiziert werden, dass sie nicht nur die Aktivität der veränderten B-Lymphozyten (die die Krankheit verursachen) hemmen, sondern gleichzeitig auch andere „gute“ Zellen des Immunsystems dazu anregen, das Wachstum der Tumorzellen zu bremsen».

CAR-T-ZELLEN – Dann gibt es noch das grosse Kapitel der Therapien auf Basis von CAR-T-Zellen, d. h. von Lymphozyten (Schlüsselzellen des körpereigenen Abwehrsystems), die dem Patienten entnommen und im Labor so modifiziert werden, dass sie den Tumor wirksamer bekämpfen, um anschliessend wieder in den Blutkreislauf des Patienten eingebracht zu werden. «Der Einsatz von CAR-T-Zellen wurde nun auch auf Kinder ausgeweitet», so Cavalli. «Es werden bereits entsprechende Versuche durchgeführt.» Dieses Verfahren, das in bestimmten Fällen – insbesondere bei den am schwierigsten zu behandelnden Non-Hodgkin-Lymphomen – bessere Ergebnisse zeigt als die klassischen Therapien, zählt ebenfalls zu den Themen des Kongresses. 
Bereits in der ersten Plenarsitzung wird unter anderem von den technischen (und nicht nur klinischen) Fortschritten in der nicht unkomplizierten Herstellung von CAR-T-Zellen berichtet. Bislang sind weltweit nur wenige hochspezialisierte Unternehmen in der Lage, diese Zellen zu produzieren. Die Spitäler müssen daher die Zellen der Patienten an diese Unternehmen schicken, darauf warten, dass sie modifiziert und per Kurier zurückgeschickt werden, um sie schliesslich bei den Patienten einzusetzen. Diese Prozedur ist mit sehr hohen Kosten verbunden. «Einige Spitäler, unter anderem in der Schweiz, versuchen jedoch, CAR-T-Zellen „im eigenen Haus“ herzustellen», so Cavalli abschliessend. «Am Universitätsspital Lausanne hat man zum Beispiel beschlossen, 30 Millionen Schweizer Franken in diesen Bereich zu investieren. Das ist kein leichtes Unterfangen. Doch wenn es gelingt, diese Zellen vor Ort herzustellen, werden alle davon profitieren».

Schau in die Galerie Schau in die Galerie Foto di Chiara Micci/Garbani Schau in die Galerie (17 foto)