Als Herr Dalle Molle im seidenen Anzug und mit handgefertigter Fliege erschien…
Die Feierlichkeiten zum 35-jährigen Bestehen des IDSIA fanden im Multifunktionssaal des Campus Ost statt. Eine Erfolgsgeschichte, die in Lugano durch den Weitblick und die fortschrittlichen und "visionären" Ideen des italienischen Unternehmers ihren Anfang nahmvon Paolo Rossi Castelli
«Er war ein Visionär, ein faszinierender Mann, fähig, die Zukunft vorauszusehen, mutig. Manchmal, das muss man zugeben, auch schwer zu verstehen, selbst für uns als Familie... Wir bewunderten ihn sehr, aber manchmal schaute er wirklich zu weit voraus». So war - nach den Worten seines Neffen Antonio - der italienische Unternehmer Angelo Dalle Molle, der 1988 beschloss, in Lugano ein Zentrum für das Studium der künstlichen Intelligenz, das IDSIA, zu gründen, als die Informatik für die meisten Menschen noch ein rätselhaftes Phänomen war.
Seit 1988 sind 35 Jahre vergangen, und es wurden zahlreiche Erfolge erzielt (1994 wurde das Institut von der Zeitschrift Business Week als eines der 10 weltweit wichtigsten Zentren für das Studium der künstlichen Intelligenz genannt). Ein langer Weg, der am 26. September von der SUPSI und der USI, die heute das IDSIA verwalten, in der Multifunktionshalle des Campus Ost in Lugano mit einer feierlichen, aber auch informellen und spontanen Zeremonie in Anwesenheit zahlreicher Protagonisten dieses Abenteuers und Antonio Dalle Molle, der sehr bewegt und emotional war, gefeiert wurde. «Wie war Angelo so? Das haben wir uns auch unser ganzes Leben lang gefragt.... », erinnert er sich. «Mit ihm zu reden war aufregend. Er hat einen buchstäblich überrumpelt. Manche Ideen waren vielleicht zu fortschrittlich für die damalige Zeit, und seine Brüder hielten sozusagen die Zügel fest in der Hand. Aber dann unterstützten sie ihn und befürworteten seine Projekte. Man darf nicht vergessen, dass Angelo auch ein Vorreiter des Elektroautos (er hatte mehrere Prototypen gebaut) und der Idee des Carsharings war. Einige dieser Initiativen wurden damals stark kritisiert. Jetzt aber sind sie Realität. Trotz der "Zensur" hatte Angelo beschlossen, umfangreiche Summen in seine Ideen zu investieren, und er vermittelte denjenigen, die mit ihm zusammenarbeiteten, stets Begeisterung».
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Der 1908 in Venedig geborene Angelo Dalle Molle schuf 1952 zusammen mit seinen Brüdern Amedeo und Mario den berühmten Aperitif Cynar. Die Familie (die in der italienischen Unternehmerwelt eine wichtige Rolle spielte) eroberte den nationalen Markt dann auch mit dem VOV und dem Biancosarti sowie mit vielen anderen Produkten. Angelo war ein Mann von ausserordentlicher Kultur, der nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs einen Beitrag zur Wiederbelebung von Wirtschaft und Gesellschaft leisten wollte. Er war davon überzeugt, dass die Wissenschaft den Menschen helfen müsse, besser zu leben, zu kommunizieren und sich effizienter fortzubewegen, und zwar in einer für die Umwelt vertretbaren Weise. Seiner Meinung nach konnte die Informatik bei all dem eine Schlüsselrolle spielen.
Das IDSIA hatte seinen ersten Sitz in dem Gebäude, in dem heute die Bibliothek der USI untergebracht ist, und einer der ersten Mitarbeiter war ein vielversprechender junger Mann, der gerade seinen Abschluss an der Fakultät für Informatik der Universität Pisa (damals eine der wenigen in Europa) gemacht hatte: Luca Gambardella, der später viele Jahre lang das Institut leitete und heute Vizerektor für Innovation der USI ist. «Angelo Dalle Molle besass einen ungeheueren Charme», erzählt Gambardella. «Er trug Seidenanzüge mit handgefertigter Fliege: ein echter Edelmann. Er kam oft in unsere Büros. Er unterhielt sich mit uns, erkundigte sich, fragte vorsichtig, ob das, was wir taten, für alle von Nutzen sei».
1993 arbeiteten am IDSIA nur sieben Forscher, darunter neben Gambardella auch Carlo Lepori und Jürgen Schmidhuber, doch schon bald erlangte das Institut dank einer Reihe erfolgreicher, von biologischen Systemen inspirierter Studien (wie Gambardellas Algorithmen zur maximalen "Optimierung", die sich am Verhalten von Ameisen orientierten) eine internationale Dimension. Schmidhuber schuf seinerseits Algorithmen, die sich als grundlegend für die Entwicklung von tiefen neuronalen Netzen (deep neural networks) erwiesen, und die heute Anwendungen wie Siri, Alexa und Google Voice ermöglichen.
Aus dem IDSIA ging aber auch Marcus Hutter hervor, der zusammen mit seinem Doktoranden Shane Legg wichtige Teile der Theorie, die der so genannten allgemeinen künstlichen Intelligenz zugrunde liegt, entwickelte. Einige Jahre später gründete Legg DeepMind, ein Start-up, das von Google für 500 Millionen Dollar übernommen wurde und als eines der innovativsten Unternehmen in diesem Bereich gilt.
Tatsächlich lief nicht immer alles glatt am IDSIA, das auch mit organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Doch dank der soliden Unterstützung des Bundes, der von Anfang an dabei war, und des Kantons konnten die Probleme gelöst werden. 1999 wurde das IDSIA dann in die neue SUPSI integriert, die zwei Jahre zuvor gegründet worden war. Später wurde es ein gemeinsames Institut mit der USI.
Das Wachstum war beachtlich: «Gegenwärtig», so Franco Gervasoni, Generaldirektor der SUPSI, «arbeiten bei IDSIA insgesamt 130 Personen an 60 Projekten in verschiedenen Tätigkeitsbereichen».
Luisa Lambertini, Rektorin der USI, fügt hinzu: «Alle waren sich einig, dass das IDSIA ein Juwel war und dass der beste Weg gefunden werden musste, um es gemeinsam zu führen. Der Weg wurde gefunden, und es ist der Weg, der auch andere Bereiche kennzeichnet, in denen sich die Tessiner Hochschulwelt bewegt: die Grundlagenforschung an der USI und die angewandte Forschung an der SUPSI. Angelo Dalle Molle hat das Potenzial der künstlichen Intelligenz vorausgesehen, lange bevor sie "Mainstream" wurde. Auch ich bewundere diese vorausschauenden Menschen, die eine Idee haben und sich entschliessen, einen beträchtlichen Teil ihrer Ressourcen zu spenden, um sie zu verwirklichen».