FORTSCHRITTLICHE TECHNOLOGIEN

Von einer Blitzmission in den Weltraum eine detaillierte Karte der Magnetfelder der Sonne

Montag, 12. April 2021 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana

Das Institut für Sonnenforschung IRSOL in Locarno, eine Zweigniederlassung der USI, hat gemeinsam mit so namhaften Partnern wie der NASA und der Universität Stanford an einer bedeutenden internationalen Studie teilgenommen. Die Ergebnisse im Magazin Science Advances
von Elisa Buson

Ein aussergewöhnlicher Sprung zur Sonne auf Erkundung des «Motors», der ihre äussersten Schichten erwärmt und faszinierende physikalische Prozesse bedingt, deren Auswirkungen wir selbst auf der Erde spüren können, indem Kommunikation und Stromleitungen gestört werden: Dies alles wird von dem Erstellen der ersten Karte ermöglicht, welche das Magnetfeld der Sonne in seiner Längskomponente beschreibt, von der Photosphäre, der untersten Schicht der Sonnenatmosphäre, bis hin zur Korona, der äussersten Schicht. Das Ergebnis, das im Magazin Science Advances veröffentlicht wurde, stammt von einer Blitzmission in den Weltraum, die durch eine grossartige internationale Kooperation durchgeführt wurde. An vorderster Front auch das Institut für Sonnenforschung in Locarno (IRSOL) neben so namhaften Partnern wie der NASA, der Universität Stanford, dem National Astronomical Observatory of Japan und anderen. Das Tessiner Institut ist als Zweigstelle der Università della Svizzera Italiana (USI) ein Zentrum weltweiter Exzellenz für die Erforschung der Sonnenphysik, insbesondere für die Untersuchung des Magnetismus der Sonne durch die Spektropolarimetrie, welche die Schwingungseigenschaften des Lichts bei der Ausdehnung untersucht. Ein Fachgebiet, welches das IRSOL im Laufe seiner langen (und mitunter schwierigen) Geschichte aufgebaut hat. 

Alles begann mit dem Sonnenobservatorium Specola Solare Ticinese, das 1957 von der Technischen Hochschule Zürich gebaut wurde. «In Locarno herrschten und herrschen bis heute gute Voraussetzungen für die Beobachtung der Sonne», so Michele Bianda, Direktor des IRSOL. Das war auch den deutschen Forschern an der Universität Göttingen zu Ohren gekommen, die schliesslich ein Observatorium in Locarno errichten liessen und es 1960 einweihten. «1984 – so Bianda weiter – wurde der Betrieb des Observatoriums sowie ein Grossteil der Ausstattung auf die Kanarischen Inseln, auf Teneriffa, verlagert. Das Observatorium stand vor der Schliessung, aber glücklicherweise übernahmen zunächst der Verband AIRSOL (Verband des Sonnenforschungsinstituts Locarno) und dann die Stiftung FIRSOL (Stiftung des Sonnenforschungsinstituts Locarno) das Ruder». 

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In den Neunziger Jahren wurde die Ausstattung erneuert und die Forschungstätigkeit de facto wieder aufgenommen, diesmal aufgewertet durch bedeutende Kooperationen mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, der Hochschule RheinMain und der SUPSI (Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana). Ein gewinnbringender Austausch fand auch mit dem Institut für Astrophysik der Kanarischen Inseln (IAC) auf Teneriffa statt, wo vor rund zehn Jahren die Idee für das erste Experiment CLASP1 (Chromospheric Lyman-Alpha Spectro-Polarimeter) zur Untersuchung der Magnetfelder in den äussersten Schichten der Sonnenatmosphäre geboren wurde. «Es gibt wohl konsolidierte Techniken zur Untersuchung der Magnetfelder der Sonnenoberfläche, aber wir haben nur theoretische Erkenntnisse über das, was in den höheren und weniger bekannten Schichten der Atmosphäre dieses Sterns vor sich geht – erklärt Luca Belluzzi, wissenschaftlicher Leiter am IRSOL. – Die Informationen, die wir mit CLASP suchen, sind in der Polarisierung des Lichts verschlüsselt, aber nicht im sichtbaren Spektrum, das wir von der Erde aus untersuchen können, sondern im fernen Ultraviolett: Diese Strahlung wird von der Erdatmosphäre absorbiert und folglich müssen wir uns in eine Höhe von über 100 km begeben, um sie untersuchen zu können». 

Die Forscher haben also beschlossen, auf das «Sounding Rocket Program» der NASA zurückzugreifen, ein Höhenraketenprogramm, das den Wissenschaftlern die Möglichkeit gibt, neue Ideen und Methoden schneller und mit geringeren Kosten zu testen als bei der Entsendung von Geräten auf die Umlaufbahn mit Satelliten. «Es sind Raketen – betont Belluzzi – die über die Atmosphäre hinaus bis auf eine Höhe von ca. 300 km geschossen werden: Dort verweilen sie ca. fünf Minuten lang, Zeit genug für die Durchführung der erforderlichen Messungen, und kehren dann mit einer Fülle wissenschaftlicher Daten im Gepäck zurück zur Erde». Nach dem Erfolg des ersten CLASP1 Experiments 2015 wurde eine zweite Mission organisiert, CLASP2 (Chromospheric Layer Spectro-Polarimeter), die am 11. April 2019 startete. «Hier konnten wir nie zuvor gemessene Daten sammeln, von denen der Grossteil noch ausgewertet und interpretiert werden muss – erklärt der Experte. – Am IRSOL entwickeln wir theoretische und mathematische Methoden, die speziell auf die Entschlüsselung der in diesen Daten enthaltenen Informationen abzielen und, gemeinsam mit Professor Krause der USI und Professor Trujillo Bueno des IAC (dem „Vater“ dieser Experimente) befassen wir uns auch mit dem Erstellen von 3D-Modellen dieser Informationen. Ein sehr ehrgeiziges Projekt».

Insbesondere hat die erst kürzlich in Science Advances veröffentlichte Studie die Rekonstruktion der Längskomponente des Magnetfelds über einer aktiven Region der Sonne ermöglicht und zwar durch eine «Zeichnung», die es in der Polarisierung des UV-Lichts hinterlässt. Die von CLASP2 erfassten, hochdefinierten Daten haben die Bestimmung des Magnetfelds in der Chromosphäre (der dünnen Schicht der Sonnenatmosphäre zwischen Photosphäre und Korona) ermöglicht, während die zeitgleich vom japanischen Satelliten Hinode erfassten Daten Informationen über das Magnetfeld der darunterliegenden Photosphäre geliefert haben. Durch das Zusammenfügen der einzelnen Mosaiksteinchen hat man gelernt, dass sich das auf der Ebene der Photosphäre hoch strukturierte Magnetfeld mit zunehmender Höhe ausdehnt und sich vor dem Erreichen der Basis der Korona horizontal in der Chromosphäre vermischt und ausbreitet. «Das bringt uns Erkenntnisse darüber, wie die verschiedenen Schichten der Sonnenatmosphäre durch das Magnetfeld miteinander verbunden sind und hilft uns beispielsweise bei der Klärung, welche Mechanismen für den Temperaturanstieg von wenigen Tausend Grad in der Photosphäre auf über eine Million Grad in der Korona verantwortlich sind», so Belluzzi weiter. 

Vor kurzem hat die NASA dem Antrag der Forscher auf Fortsetzung dieser Studien mit einem neuen Experiment, CLASP2.1, stattgegeben, das 2022 startet und die Messungen auf systematische Weise an einem grösseren Bereich der Sonne wiederholt. Eine Mission, an die wir hohe Erwartungen haben, wie weitere neue Projekte, die das IRSOL für die Zukunft plant.

«Wir besprechen bereits mit der Abteilung für Innovative Technologien der SUPSI mögliche Weiterentwicklungen unseres Polarimeters ZIMPOL (Zurich Imaging POLarimeter) mit neuen und innovativen digitalen Sensoren – so Renzo Ramelli, der stellvertretende Leiter des IRSOL – auch im Hinblick auf das Projekt EST, das auf den Bau des grössten europäischen Teleskops zur Untersuchung der Sonne abzielt». Das Gerät wird auf den Kanarischen Inseln gebaut, wird einen vier Meter grossen Hauptspiegel sowie eine optische Gestaltung und optimierte Geräte für spektropolarimetrische Messungen aufweisen, die sich hervorragend zur Untersuchung der Magnetfelder auf der Sonnenoberfläche eignen. «Das IRSOL – so Ramelli abschliessend – ist Teil des Konsortiums, welches das Projekt fördert und auch an der Vorbereitungsphase beteiligt ist».

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