onkologie

Vom IOR an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, um die «gealterten» und gefährlichen Tumorzellen zu untersuchen

Dienstag, 5. Januar 2021 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

Nach fünf Jahren in Bellinzona im Labor von Andrea Alimonti hat die junge Biologin Ilaria Guccini den «grossen Sprung» an die ETH geschafft und als erste Verfasserin eine Studie in der Zeitschrift Cancer Cell veröffentlicht
von Elisa Buson

«Es stimmt schon, dass wir Frauen uns schwerer tun als Männer, uns in der Forschung zu behaupten, häufig werden wir nicht ausreichend unterstützt und wertgeschätzt, aber davon dürfen wir uns nicht entmutigen lassen. Mit Stärke und Zielstrebigkeit können wir hervorragende Ergebnisse erreichen». Das möchte Ilaria Guccini am Ende unseres Telefonats präzisieren. Ilaria, Jahrgang 1980, gebürtige Italienerin und begeisterte Biologin, hat die Schweiz zu ihrer zweiten Heimat gemacht. Nach einem Studium der Biologie und einem Doktorat an der Università di Roma Tor Vergata kam sie 2012 mit 32 Jahren in den Tessin ans Istituto Oncologico di Ricerca (das onkologische Forschungsinstitut IOR, Zweigestelle der Università della Svizzera italiana), um schliesslich den grossen Sprung an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) zu machen. 

Bereits als Kind ahnte sie, dass die Forschung ihre Zukunft sein könnte. Und das Mikroskop, das sie mit 10 Jahren geschenkt bekam, tat ein Übriges. «Als Mädchen begeisterte ich mich für Pflanzen und Tiere, aber mit den Jahren hat sich mein Interesse für Biomedizin herauskristallisiert – erzählt Ilaria. – Ich wollte etwas Nützliches und Konkretes für die Anderen tun, eine Überzeugung, in der sie eine Tumorerkrankung in der Familie noch bestärkte». Das Interesse für die Krebsforschung wurde mit dem Doktorat in Rom zur praktischen Realität und führte sie 2012 ins Ausland. «Auf Naturejobs hatte ich gesehen, dass es die Möglichkeit, am IOR im Labor von Andrea Alimonti zu arbeiten: Damals wusste ich nicht einmal genau, wo Bellinzona war, – erinnert sie sich lächelnd – aber ich habe meine Bewerbung als Postdoc bei seinem soeben gegründeten Labor eingereicht. Ich sah mit Alimontis Profil an und erfuhr, dass er ein junger Wissenschaftlicher mit einem exzellenten Lebenslauf war: Er kam von Harvard und hatte den begehrten ERC Starting Grant erhalten, um an der Seneszenz und dem Prostatakrebs zu arbeiten. Durch ein Stipendium der Fondazione Umberto Veronesi erhielt ich einem Mitarbeitervertrag. Ich dachte, für ein Jahr zu bleiben, und dann bin ich gar nicht mehr fortgegangen».

Schau in die Galerie Schau in die Galerie Ilaria Guccini, Forscherin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Schau in die Galerie (4 foto)

Der Unterschied zu Italien war offensichtlich: «Die Schweiz bietet exzellente Arbeitsbedingungen und man bekommt einfacher und schneller einen Posten als Forscher mit einem richtigen Vertrag, auch wenn er befristet ist. Schliesslich handelt es sich immer um eine projektbezogene Arbeit – betont Ilaria. – Ausserdem fand ich am IOR ein familiäres, ansprechendes Ambiente, wo man im Team und in engem Kontakt mit anderen Gruppen arbeitet. In Alimontis Labor waren wir zunächst zu sechst, jeder mit seinem eigenen Projekt, aber dennoch mit der Möglichkeit, auch zur Arbeit der anderen beizutragen. Es waren fünf Jahre intensiver Arbeit, in denen wir die Gruppe vergrössert haben und durchschnittlich eine Arbeit pro Jahr in namhaften wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichten».
Die in chronologischer Reihenfolge Letzte ist in Cancer Cell erschienen und Ilaria hat sie als erste Verfasserin veröffentlicht. Eine Studie, die anhand von tierischen Modellen die Möglichkeit nachweist, bei Prostatakrebs die Bildung von Metastasen zu blockieren. Eine Hoffnung, die zur Entwicklung neuer Medikamente in Begleitung der Chemotherapie führen könnte, um die Progression der Krankheit zu stoppen. «Die Chemo kann die Präsenz im Tumor seneszenter Zellen, also sich nicht mehr wuchernder Zellen erhöhen – erklärt die Biologin. – Wir wissen seit langem, dass sie wichtig sind, da sie das Wachstum des Tumors unterbinden können, aber sie können auch das Gegenteil bewirken und das Fortschreiten der Krankheit durch die Bildung von Metastasen begünstigen. Bisher aber hatte niemand den Mechanismus verstanden». Durch Experimente an genmanipulierten Mäusen konnte die Schlüsselrolle eines Gens namens TIMP1, das als Bremse dient, entdeckt werden. «Geht dieses Gen verloren oder wird es inaktiviert, – erklärt Ilaria Guccini – beginnen die seneszenten Zellen Faktoren zu entwickeln, welche das Wachstum der anderen, wuchernden Tumorzellen anregen und die Krankheit somit aggressiver und invasiver machen». Zum Glücke haben die Forscher aber entdeckt, dass die Anti-Aging-Medikamente, welche in der Lage sind, die gealterten Zellen abzutöten (und daher «Senolytika» genannt werden), diese Entwicklung stoppen können. Es ist noch früh, um über mögliche Anwendungen am Menschen zu sprechen, aber die ersten präklinischen Ergebnisse scheinen den Weg für eine immer individuellere Krebstherapie basierend auf dem genetischen Profil des Patienten aufzuzeigen. 

«Diese Studie könnte neben dem Prostatakrebs auch Auswirkungen auf die anderen Tumorarten haben», präzisiert die Forscherin, die sie am IOR geleitet und dann an der ETH fortgesetzt hat, auch in Kooperation mit den Ärzten des Universitätsspitals Zürich und der Johns Hopkins University in den Vereinigten Staaten.

«In Alimontis Labor – so Ilaria weiter – habe ich sehr viel über die präklinische Krebsforschung gelernt, aber nach fünf Jahren dachte ich, es sei an der Zeit, etwas anderes zu sehen: Die Chance kam durch Professor Krek der ETH, der mir angeboten hatte, am Verhältnis zwischen Ernährung, Metabolismus und Tumor zu arbeiten». Bei ihrer Ankunft in Zürich 2017 fand Ilaria eine andere Wirklichkeit als in Bellinzona vor. «Die ETH – erklärt sie – ist ein grosses Institut, das sehr unterschiedliche Kompetenzen umfasst und vor allem auf die Entwicklung neuer Grenztechnologien abzielt. Hat man eine Vorstellung, kann man sie in verschiedene Richtungen entwickeln, durch die Kooperation von Professoren mit unterschiedlichem Background, verschiedene Einrichtungen, Finanzmittel des Bundes und das Wirtschaftsnetz der deutschen Schweiz, das auch die Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen erleichtert». Das perfekte «Nest» für einen Forscher, der hoch hinaus will. «Ich werde ein weiteres Jahr an der ETH bleiben und beginnen, die Grundlagen zu schaffen, um etwas Unabhängiges zu machen, stets mit dem Fokus auf der präklinischen Krebsforschung – verrät Ilaria. – Ich weiss nicht, ob ich in der deutschen Schweiz bleibe, ob ich zurück ins Tessin oder nach Italien gehe: Ich sehe meine Zukunft an einem Ort, an dem ich etwas Grosses und Wertvolles, vor allem für die Krebskranken, verwirklichen kann».


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