Lingua Madre

Untersuchung der Sprache als Ausweg aus dem Labyrinth der Coronakrise

Samstag, 13. März 2021 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

von Paolo Rossi Castelli

Wie entsteht die Sprache in unserem Kopf? Wie entwickelt sie sich? Wie wird sie manipuliert? Fragen, die sich die Initiatoren des Projekts «Lingua Madre - capsule per il futuro» (zu Deutsch «Muttersprache - Kapseln für die Zukunft», ein Projekt höchst innovativer Inhalte des LAC in Lugano zu verschiedenen Themen) in dieser Zeit der grossen Ungewissheit und Zweifel gestellt haben. Also haben sie beschlossen, in dem umfangreichen Kalender (oder besser Programm) von «Lingua Madre» auch einen Zyklus aus vier Konferenzen aufzunehmen, um das Problem der Sprache unter verschiedenen Gesichtspunkten zu beleuchten. Die Konferenzen (oder besser gesagt Lektionen) werden in Kooperation mit Ticino Scienza ausgetragen. Sie beginnen am 27. März online auf der Webseite des LAC und gehen bis Ende Mai.
Der erste Termin ist mit dem Neurobiologen Andrea Moro. Darauf folgt eine Lektion von Luca Gambardella, Experte für Künstliche Intelligenz (20. April). Dann der Philosoph Mario De Caro (22. Mai). Und zum Schluss ein von den einzelnen Individuen getrennter Blick auf das Thema der Sprache in der Gesellschaft mit Francesco Morace (25. Mai). Es handelt sich dabei nicht um Live-Events online, sondern aufgezeichnete Veranstaltungen, denen man frei beiwohnen kann.

«Es sind vier unterschiedliche „Ansätze“ zur Behandlung des Themas Sprache, die jedoch laufend aufeinander verweisen – erklärt Isabella Lenzo, Leiterin der kulturellen Mediation des LAC und Kuratorin dieses Konferenzzyklus. – Es handelt sich sicherlich um keine leichten Themen, aber wir möchten die Menschen gerne neugierig machen und ihnen neue Dankanstösse liefern. Schliesslich lautet unsere Mission: Zur Entdeckung, Erneuerung, Reflexion und auch zum Widerspruch anregen». Eine enorme Herausforderung in einen so historischen Moment, wo die schnelle Sprache der sozialen Medien und kurzen Texte regiert.

«Lingua Madre» hingegen beruht genau auf der Notwendigkeit, in der digitalen Welt alternative Weisen des Erzählens und des «Kulturschaffens» zu finden. In der Zeit des Lockdowns mit geschlossenen Theatern, Kinos, Konferenzräumen, Museen und Stadien hat dieses Bedürfnis noch zugenommen, aber es funktioniert nicht richtig, wenn man für die «Präsenz» gedachte Aufführungen einfach online überträgt. «Lingua Madre ist ein komplexes kulturelles Projekt, ein wahres Forschungsprojekt – so Luigi Di Corato, Direktor des Kulturamts der Stadt Lugano. – Seit dem Beginn der Pandemie wurde das Web häufig als Ersatzbühne für das klassische Schauspiel verwendet. Wir möchten jetzt aber einen anderen Raum suchen, parallel zum realen Raum, mit einer eigenen Sprache. Eine neue Art des Kulturschaffens, die sich mit der Zeit entwickeln wird. Eine andere Art zu leben».

«Lingua Madre» erscheint nach fünf Monaten Planung und erstreckt sich über drei Hauptthemenbereiche: Körper, Ritus und Sprache. «Das Thema des Körpers, – liest man in der Präsentationsmappe – der während der Pandemiekrise und der daraus folgenden erzwungenen Isolation so hart gebeutelt ist, wird in seinem Ausdruckspotential und in seiner Abwesenheit analysiert. Die Abwesenheit wiederum suggeriert eine Vertiefung über Riten und Ritualität, die sich ebenfalls in einer Krise befindet». Und schliesslich untersuchen die 18 Projekte des «Lingua Madre» Konzepts auch die Rolle und die Macht des Wortes, «sowohl durch die logische Analyse als auch in der Beziehung zum Körper, in der Gestik und mehr».

«Jedes Projekt wurde eingehend studiert und kuratiert – so Carmelo Rifici, künstlerischer Leiter des LAC und, gemeinsam mit Paola Tripoli, Initiator von «Lingua Madre». – Unsere Reise brauchte Regeln, um sich im digitalen Labyrinth zu bewegen. Aber wir wollten nicht nur ein Programm füllen. Das hatten wir nicht nötig. Wir wollten uns innerhalb für uns wesentlicher Fragen bewegen».

Daraus ist die Idee für vier Konferenzen über die Sprache entstanden, von denen jede mit einer besonderen künstlerischen Produktion verbunden und in der Lage ist, deren Inhalte aufzugreifen. Den Auftakt macht, wie gesagt, Andrea Moro, Dozent für allgemeine Sprachwissenschaft an der Scuola Universitaria Superiore IUSS in Pavia. Titel: «I confini di Babele. Lingue impossibili, logica e cervello» (zu Deutsch «Grenzen von Babel. Unmögliche Sprachen, Logik und Gehirn»). Professor Moro wird uns die Physiologie der menschlichen Sprache erläutern und die Art und Weise, auf welche die Worte im Geist Form annehmen (die sogenannte Neurolinguistik).

Weiter geht es mit den Errungenschaften der Künstlichen Intelligenz mit Luca Gambardella, ordentlicher Professor an der Fakultät für Informatik der Università della Svizzera italiana. Das Thema der Konferenz-Lektion bezieht sich auf den Titel eines von einem Computer mit starken Systemen künstlicher Intelligenz geschriebenen Leitartikels, der 2020 in der englischen Tageszeitung The Guardian veröffentlicht wurde: «Umani, noi non vi distruggeremo» (zu Deutsch «Menschen, wir werden euch nicht zerstören»). 

Danach ist Mario De Caro, Professor für Moralphilosophie an der Università Roma Tre, mit Reflexionen über «Mente, linguaggio e libertà nell’età delle scienze cognitive» (zu Deutsch «Geist, Sprache und Freiheit im Zeitalter der kognitiven Wissenschaften») an der Reihe.

Und schliesslich, wie gesagt, ein weiterer Blick auf die Sprache und die Gesellschaft: «La lingua è il bello del mondo» (zu Deutsch «Das Schöne an der Welt ist die Sprache») mit Francesco Morace, Soziologe und Essayist, Gründer des Future Concept Lab.