SCHULUNG

Von den Hörsälen in die neuen Start-ups, die Universität «lehrt» auch BioMed-Unternehmer

Dienstag, 29. Juni 2021 ca. 11 Minuten lesen In lingua italiana

Erfolg für das «Center of Advanced Studies on Entrepreneurship in BioMedicine» der USI unter der Leitung von Heidrun Flaadt, einer der 16 innovativsten Schweizer Frauen in Führungspositionen der Branche, nach Meinung der Universität Basel
von Valeria Camia

Vielleicht wissen nicht alle, dass es im Kanton Tessin, genauer gesagt innerhalb der Università della Svizzera italiana, ein Zentrum gibt, das ein Aushängeschild der ganzen Schweiz ist, ein Zentrum speziell für den technology transfer, das sich also mit dem Wissenstransfer von der Welt der Akademie und der medizinischen Forschung zum Markt befasst, um der Gesellschaft die Technologie, Kompetenzen und Herstellungsmethoden zugänglich zu machen. Es trägt den Namen CASE BioMed, Center of Advanced Studies on Entrepreneurship in BioMedicine und wird von Heidrun Flaadt Cervini geleitet, die von der Universität Basel zur Gruppe der 16 innovativsten Schweizer Frauen in Führungspositionen der Gesundheitsbranche für das Jahr 2021 gezählt wurde (16 Women in Healthcare Innovation 2021). Ihr Werdegang ist gesäumt von zahlreichen bedeutenden Stellen mit zunehmender Verantwortung (auch in renommierten Forschungszentren, darunter die École Normale Supérieure in Paris) und mündet schliesslich im Jahr 2008 mit der Berufung an die USI und der Gründung von CASE BioMed, einem heutigen Spitzenzentrum, das hochwertige kompakte Kurse (von 5-tägiger Dauer) anbietet, die vor allem für die gegenüber der technologischen Innovation offenen Industriesparten interessant sind. Unter den Unterstützern der Programmvorschläge finden wir Namen wie Innosuisse, Fondazione Leonardo, UBS Group, IBSA Foundation, Onelife Advisors SA, Helsinn Group, Congenius, Farma Industria Ticino und Life Science Recht.

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Doktor Flaadt, fangen wir von Anfang an. Wie ist CASE BioMed entstanden und welche Ziele verfolgt es?

«2008 – so Heidrun Flaadt – wurde ich vom damaligen Präsidenten der USI, Prof. Dr. Piero Martinoli, kontaktiert. Er bot mir an, eine neue Plattform für die Schulung von Führungskräften zu schaffen und erteilte mir den Auftrag, die Bedürfnisse und Nischen des modernen Bildungsmarkts zu untersuchen. Dabei erkannte ich, dass die Lehrinhalte der Life Sciences an den schweizerischen und europäischen Universitäten rein technisch begrenzt waren (und es in vielen akademischen Umfeldern immer noch sind); Was fehlte, war das erforderliche unternehmerische Wissen, um im Bereich der Life Sciences neue Unternehmen gründen und weiterentwickeln zu können. Um diese Lücke zu schliessen, habe ich die Schulungskonzepte entwickelt, welche die Grundlage der Programme von CASE BioMed bilden. Heute ist CASE BioMed neben der medizinischen Praxis und der wissenschaftlichen Forschung die dritte Säule (biomedizinische Innovation) der Fakultät für biomedizinische Wissenschaften der USI. In diesem Szenario liegt der Mehrwert von CASE BioMed im Angebot eines dritten Karrierewegs, und zwar des akademischen Unternehmertums, bei dem es sich um den Transfer von Wissen und Technologien aus der Forschung auf den Markt handelt.»

Welche Programme werden von CASE BioMed genau angeboten? 

«Derzeit gibt es drei Schulungsprogramme: „BioBusiness“, „MedTech Business“ und „eHealth Business“. Das seit 2010 bestehende „BioBusiness“ Programm thematisiert den Innovationsprozess für neue Therapien, während sich das „MedTech Business“ Programm seit 2014 mit der Entwicklung von Medizin- und Diagnosegeräten befasst. Das „eHealth Business“ Programm, das kommenden Herbst startet, befasst sich hingegen vor allem mit dem Gestalten und Anwenden neuer digitaler Lösungen im Gesundheitswesen, eines der ersten eHealth Unternehmensprogramme weltweit. Alle Programme haben theoretische und praktische Teile, bei denen die Teilnehmer beispielsweise aufgefordert werden, ihre Idee detailliert zu skizzieren, die Technologie zu definieren und/oder eine Präsentation für die Gruppe zu erstellen.»

Es handelt sich also um sehr intensive Programme, die von den Teilnehmern Engagement, Hingabe und Können erfordern: Wie sieht der ideale Kandidat denn aus?

«Die Programme – die man hinsichtlich der zeitlichen und psychologischen Intensität als eine Art „Mini MBA (Master in Business Administration, Anm. d. Red.)“ bezeichnen kann – richten sich an Ärzte, Wissenschaftler und Ingenieure, die ihre biomedizinischen Produkte und Serviceleistungen wie Medikamente und andere Pharma-Produkte, Geräte für die Osteotomie oder die physische Rehabilitation, auf den Markt bringen möchten. Die meisten Teilnehmer sind Start-up Gründer, die bereits ein Patent angemeldet haben, um ihre Forschungsergebnisse zu schützen und die ihre Produkte weiterentwickeln möchten; Gleichzeitig kümmern sie sich um die Beschaffung von Geldmitteln, um die Produktentwicklung finanzieren zu können. Der jüngste Teilnehmer war ein 21-jähriger Student, der älteste ein 70-jähriger Unternehmer. Circa 75% der Teilnehmer kommen von anderen Schweizer Universitäten wie der ETHZ, EPFL, aber wir haben auch Studenten aus anderen europäischen Ländern oder aus Asien. Normalerweise werden die Programme auf internationaler Ebene veröffentlicht; Das Zulassungsverfahren ist sehr selektiv, denn wir möchten die grössten Talente mit den besten Geschäftsideen fördern. In der Regel wählen wir rund zwanzig Bewerber pro Kurs aus, und zu den Auswahlkriterien gehört auch die Kenntnis der englischen Sprache, in der die Programme angehalten werden.» 

Findet man dieselbe Internationalität, welche die Gruppe der Teilnehmer prägt, auch unter den Dozenten und Rednern des Programms?

«Sicherlich, denn für uns ist es wichtig, für jedes Programm Dozenten auszuwählen, welche die erforderliche Erfahrung mitbringen. Also habe ich von Anfang an versucht, die besten Kollegen, Experten aus der Industrie, Unternehmer oder Venture Capitalists aus aller Welt zu gewinnen. Da die USA in den Sparten, die die Programme ansprechen, besonders fortschrittlich sind, habe ich darauf geachtet, dass diese stets von einem amerikanischen serial entrepreneur (einem Serienunternehmer) moderiert, also von einer Person, die ausgesprochen kreativ neue Geschäftsideen vorbringt und an diesen Ideen konsequent arbeitet, um ein neues Unternehmen zu gründen. Auf akademischer Ebene sind neben der Beteiligung verschiedener Professoren der USI, beispielsweise des Instituts für Finanzen, auch die MIT Life Science Angels in Boston beteiligt, eine Gruppe ehemaliger Studenten des Massachusetts Institute of Technology (MIT), das in Tochter-Start-ups des MIT investiert. Diese Kooperation betrifft insbesondere das „BioBusiness“ Programm und bietet den besten Studenten des BioBusiness Kurses der USI die Möglichkeit, nach Boston eingeladen zu werden, um das eigene Geschäftsprojekt in einem Kontext vorzustellen, der normalerweise nur ehemaligen Studenten des MIT vorbehalten ist, mit Aussicht auf eine Förderung von bis zu einer Million Dollar.»

Die Tatsache, den Teilnehmern die Möglichkeit zu bieten, mit hervorragenden Rednern und Experten in Kontakt zu kommen, die sie – während des Programms – fünf Tage lang bezüglich der Weiterentwicklung ihrer Geschäftsideen beraten und unterstützen, ist gewiss ein zentraler Aspekt der CASE BioMed Programme. Und welche Beziehungen bauen die Teilnehmer zueinander auf? 

«Wie gesagt, fast eine Woche lang sind die Kursteilnehmer Tag und (manchmal) Nacht aufgerufen, sich näher mit dem Potenzial und der Machbarkeit ihres Produkts oder ihrer Serviceleistung zu befassen, aber auch mit den anderen Teilnehmern zusammenzuarbeiten, in einem Kontext kontinuierlichen und stimulierenden Brainstormings und Gedankenaustauschs, manchmal auch bis in die Nacht hinein. Häufig werden in den Erfahrungsberichten (die nach der Teilnahme an den CASE BioMed Programmen geschrieben werden) vor allem zwei Konzepte genannt: Zum einen das Networking, zum anderen die friendly Atmosphere (freundschaftliche Stimmung). Ich glaube, beide sind sehr wichtig: Sie sorgen dafür, dass die Teilnehmer wechselseitige Beziehungen und Verhältnisse knüpfen, und zwar in einem positiven und stimulierenden Ambiente. Diesbezüglich möchte ich darauf hinweisen, dass sich eine sehr starke Alumni-Gemeinschaft gebildet hat, deren Zugehörigkeit von vielen Start-ups als Privileg gesehen wird. Und um diese Gemeinschaft zu unterstützen, lade ich jedes Jahr zwei ehemalige Studenten ein, am Kurs teilzunehmen und ihre Erfolge zu präsentieren.»

Heute zählt CASE BioMed eine Gemeinschaft von über 350 Alumni, aus denen erfolgreiche Unternehmer geworden sind. Möchten Sie uns ein Erfolgsbeispiel nennen, das Sie besonders erfreut hat?

Als eines unter vielen erinnere ich mich gerne an Amal Therapeutics, ein Genfer Unternehmen mit einem Team aus Gründerinnen, das mehrere Jahre nacheinander an unserem «BioBusiness» Programm teilgenommen hat. Während der Programmwoche in Lugano haben wir für das Team den Kontakt mit dem «Helsinn Investment Fund» hergestellt, der in das Unternehmen investiert hat: Mittlerweile wurde Amal Therapeutics für über 400 Millionen Euro an Boehringer Ingelheim verkauft.

Mit welchen Herausforderungen und grösseren Schwierigkeiten hatten Sie auf dem Weg zum Erfolg von CASE BioMed zu kämpfen?

«Zu den Herausforderungen zählt die lange Organisation der Kurse: Die Planung der An- und Abreise von rund zwanzig Experten, die an jeder Ausgabe der Programme mitwirken, sowie ihre Unterbringung, ist nicht einfach. Und Covid hat alles noch etwas komplizierter gemacht. Im letzten Herbst beispielsweise mussten wir uns auch mit der Quarantäne der Experten befassen, die aus dem Ausland in die Schweiz kamen! Ausserdem muss ich die Märkte laufend im Blick behalten, um die Trends zu verstehen und zu entscheiden, ob es sich lohnt, eine neue Programmausgabe anzubieten und ob es realistisch ist, eine ausreichende Anzahl Bewerber, mindestens 20-25, mit hervorragenden Geschäftsideen zusammenzubringen. Dieser Teil meiner Arbeit gefällt mir sehr, ist aber enorm zeitaufwendig. Und weitere Herausforderungen, mit denen ich immer, wenn auch früher mehr als heute, konfrontiert bin, beziehen sich auf das Gewinnen neuer privater Geldmittel zur Unterstützung der Programme, die mit Ausnahme meines Gehalts nicht von der USI, sondern von privaten Dritten finanziert werden.»

Programme, die sicherlich mit erheblichen Kosten verbunden sind ...

«Die Anmeldegebühren für die Wochenkurse betragen rund 4000 Franken, aber es gibt auch Ermässigungen, beispielsweise für die Teilnehmer sogenannter early-stage Unternehmen (die sich in der Anfangsphase befinden) oder einer akademischen Einrichtung. Also ja, die Suche nach Geldmitteln ist ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit. Ich muss zu meiner Zufriedenheit sagen, dass in der Regel über 90% der Teilnehmer an unseren Programmen durch Geldmittel Dritter, durch Sponsoren und Unterstützer ein Stipendium erhalten, das alle Anmeldekosten abdeckt. Die IBSA Foundation, die Fondazione Leonardo und Innosuisse haben im Lauf der Jahre viele dieser Stipendien finanziert und für diese Unterstützung sind wir sehr dankbar.»

Ist es schwierig, Leiterin eines renommierten Zentrums zu sein, wenn man in der Welt der Wissenschaften als Frau immer noch einer Minderheit angehört?

«Glücklicherweise ist es nicht vorgekommen, dass ich diskriminiert wurde oder es so empfunden habe, weil ich eine Frau bin. Ich hatte immer Glück, seit ich klein bin: Als ich 14 Jahre alt war und wir in der Schule die „Grundlage des Lebens“, also die Zelle, durchnahmen, wusste ich, dass ich Biologie studieren wollte und wurde von meinem Vater grossartig unterstützt. Während meiner Studienzeit hatte ich verschiedene Dozenten, visionäre Männer, die stets an mich glaubten und mich unterstützen, auch zu einer Zeit, in der es sehr wenige Frauen in der Wissenschaft und an der Akademie gab. Später erhielt ich grosse Unterstützung durch Prof. Piero Martinoli. Er bot mir eine Stelle an der USI an, um eine neue Bildungsplattform für Führungskräfte im Bereich der Life Sciences zu schaffen. Was die Präsenz von Forscherinnen und die Aktivitäten unter der Leitung von Frauen in der Wissenschaft generell anbelangt, sollte man meiner Meinung nach betonen, dass wir immer mehr Beispiele „weiblicher“ Erfolge beobachten. Diesbezüglich möchte ich darauf hinweisen, dass das ’Innovation Office der Universität Basel – das mich und die anderen „Women in Healthcare Innovation 2021“ ernannt hat – von Frauen initiiert und organisiert wird. Ihnen möchte ich in aller Öffentlichkeit danken: Virginia Schumacher, Leonie Kellner, Leena Kartunnen Contarino und Trudi Hämmerli.» 

Sollte jemand eine Idee haben, auch wenn sie sich noch im embryonalen Stadium befindet, und sich für Ihre Programme interessieren oder falls jemand einfach mehr darüber erfahren möchte, was CASE BioMed bietet, gibt es dann einen Text, den wir empfehlen können?

«Ja, vor kurzem haben wir zu den Programmen „BioBusiness“ und „MedTech Business“ ein Begleitbuch mit dem Titel Bio- and MedTech Entrepreneurship-From start-up to exit (Stämpfli, Bern) veröffentlicht, das unseren Studenten eine bessere Vorbereitung und eine Wiederholung des Programms ermöglicht und einen Gesamtüberblick darüber liefert, was wir am Center of Advanced Studies on Entrepreneurship in Biomedicine der Università della Svizzera italiana tun.»