onkologie

Therapien, die schlimmer sind als die Krankheit, stoppen: US-amerikanischer Preis für eine junge Forscherin des IOR

Sonntag, 26. September 2021 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana

Die American Society of Hematology hat an die Hämatologin Adalgisa Condoluci 150’000 Dollar für neue Studien über die Flüssigbiopsie verliehen, die eine Personalisierung der Behandlung und eine Reduzierung der Toxizität ermöglicht.
von Michela Perrone

«Man spricht von Sterblichkeit in Korrelation mit der Behandlung und bezeichnet damit jene Todesfälle, die leider im Zusammenhang mit der Therapie und nicht mit der Krankheit stehen.» So erklärt Adalgisa Condoluci einen der paradoxen Aspekte mancher Tumoren, die behandelt werden können, bei denen aber wegen der angewandten Therapie Jahre später (auch tödliche) Komplikationen auftreten können.
Condoluci ist eine junge Hämatologin am Onkologischen Institut der Italienischen Schweiz (IOSI) des EOC und Doktorandin am Onkologischen Forschungsinstitut IOR, das sich ebenfalls in Bellinzona befindet. Seit 2016 untersucht sie die lymphoproliferativen Erkrankungen, insbesondere das Hodgkin-Lymphom, einen Tumor, der sich aus einem Typus weisser Blutkörperchen, den B-Lymphozyten, entwickelt. Die Forscherin erhielt vor kurzem eine renommierte Auszeichnung der American Society of Hematology (ASH), der weltweit wichtigsten Vereinigung im Bereich der Hämatologie, die es ihr ermöglicht, eine neue Studie über die mögliche Reduzierung der Toxizität der Therapien gegen das Hodgkin-Lymphom durchzuführen. Der ASH Global Research Award wird jährlich an junge Forscher ausserhalb der Vereinigten Staaten und Kanadas verliehen, um deren Projekte zu finanzieren.

DER WEG ZU EINER PERSONALISIERUNG DER BEHANDLUNG - Das Hodgkin-Lymphom ist eine besonders aggressive Erkrankung, die vor allem junge Leute im Alter zwischen 15 und 35 Jahren befällt. Die bis heute am weitesten verbreitete Behandlung besteht aus einer Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie. Die Überlebensquote mit einer guten Lebensqualität ist heute hoch (ca. 80 % der Patienten werden geheilt), aber die zur Behandlung dieser Tumorart angewandte Therapie weist eine hohe Toxizität auf, die bei einer gewissen Anzahl der Patienten auch in den darauffolgenden Jahren mögliche Konsequenzen nach sich zieht.

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Condoluci wird den mit 150.000 Dollar dotierten Preis zur Durchführung einer europaweiten multizentrischen Studie verwenden, um zu erforschen, ob eine innovative und in Teilen noch experimentelle Technik, die Flüssigbiopsie (also eine Blutuntersuchung, bei der man durch eine komplexe Analyse den genetischen Code des Tumors erhalten kann), bei der Festlegung der Behandlung von Patienten mit Hodgkin-Lymphom in einem frühen Stadium eine Rolle spielen kann. Durch das Angebot einer stark personalisierten Behandlung lassen sich nämlich nicht nur die Heilungschancen noch weiter verbessern, sondern nicht notwendige Behandlungen vermeiden und somit die kurz- und langfristigen Nebenwirkungen der Therapie reduzieren.
«Die Flüssigbiopsie ermöglicht die Messung der zirkulierenden Krankheit – erklärt die Forscherin. – Wenn die Tumorzellen absterben, wird ihr Inhalt ins Blut freigesetzt, und das können wir messen: man spricht von zirkulierender Tumor-DNA, die uns dabei helfen könnte, vorherzusehen, wer gut auf die Therapie ansprechen und wer hingegen eine längere oder aggressivere Therapie benötigen wird. Heute hingegen erfolgt die Diagnose des Tumors durch eine Gewebebiopsie: es wird ein Lymphknoten entfernt – so Condoluci weiter, – danach wird der Patient, basierend auf den Merkmalen der Tumorzellen (die anhand der Biopsie genau untersucht werden) und der Ausbreitung der Krankheit (der sogenannten Stadienbestimmung durch radiologische Untersuchungen) einer Chemotherapie und anschliessend einer Strahlentherapie unterzogen. Die Techniken zur Entnahme einer Gewebebiopsie sind häufig invasiv und liefern manche Daten nicht, die man mit der Flüssigbiopsie wiederum erhält. Es kommt auf höchste Präzision an, denn wenngleich in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt wurden, so betreffen beide Behandlungsformen (die Chemo- und Strahlentherapie) nicht nur die Tumorzellen, sondern können auch den gesunden Zellen schaden.» So kann es vorkommen, dass bei einem kranken Lymphknoten im Hals auch die Schilddrüse beschädigt wird, oder dass es bei einem Lymphknoten in der Brustkorb auch zu Komplikationen an Herz oder Lunge kommen kann.
«Heute - so Adalgisa Condoluci - können wir neben der anfänglichen Stadienbestimmung, welche den Ausgangspunkt darstellt, auch den Verlauf der Behandlung dynamisch überwachen, beispielsweise durch eine PET, bei der man anhand einer leicht radioaktiven Substanz, die in das Blut des Patienten gespritzt wird, feststellen kann, ob sich im Organismus noch Ansammlungen von Tumorzellen befinden. Wir wissen, dass es sich um einen erst nach zwei Chemo-Zyklen zuverlässigen Indikator handelt.» Auf diese Weise kann man sehen, wie der Körper reagiert und bewerten, ob eine Kombination der Chemo- mit der Strahlentherapie sinnvoll ist.»

DIE NÜTZLICHKEIT DER FLÜSSIGBIOPSIE - In diesem Kontext könnte, wie bereits erwähnt, auch die Flüssigbiopsie von Vorteil sein, die bisher ausschliesslich bei klinischen Studien für Lymphom-Patienten zur Anwendung kommt: «Eine der Hypothesen der Studie - erklärt Condoluci - ist eben die Messung ihrer Validität als zusätzliches Tool zu den radiologischen Untersuchungen, um die therapeutische Strategie im Laufe der Behandlung dynamisch zu ändern.» Ausserdem könnte man damit alle Merkmale des Tumors analysieren, nicht nur die, die in der entnommenen Gewebeprobe enthalten sind.
«Es ist eine grosse Herausforderung - lächelt die Forscherin - aber zugleich an Projekt, an das ich glaube: Seit meiner Ankunft im Tessin 2016 beschäftige ich mich mit lymphoproliferativen Erkrankungen und möchte nicht mehr umkehren.»
Die aus Kalabrien stammende Forscherin studierte Medizin in Rom und kam dann in die Schweiz für die Fachausbildung in Thorax-Chirurgie. Nach dem Treffen mit dem Team von Davide Rossi jedoch kam der Entschluss, den Weg der Hämatologie einzuschlagen: «Dieses Jahr - erzählt sie - wurde ich an der Doktoratsschule für Krebsbiologie und Onkologie der USI aufgenommen, um den Forschungsteil zu vertiefen.»
Der Preis der American Society of Hematology kam unerwartet: «Ich wusste, dass ich die erste Auswahlrunde überstanden hatte und ich habe das zusätzliche Material, das verlangt wurde, eingereicht. Dennoch war die Ankunft der Mitteilung eine grossartige Überraschung!» Ein Teil des Erfolgs könnte sie auch einer Neigung verdanken, die sie seit Kindesbeinen pflegt: «Ich bin Musikerin, ich habe das Konservatorium besucht, ich spiele Klavier und Oboe. Ich glaube, dass es wichtig ist, derartige Interessen zu hegen, denn sie ermöglichen dir einen originellen Blick auf die Dinge. Genau wie in der Forschung.»
Condoluci ist seit fünf Jahren im Tessin, und besonders schätzt sie an diesem Teil der Schweiz, dass «hier alle Ideen auf Augenhöhe besprochen werden, ganz egal, wer sie vorbringt. Das ist sehr stimulierend, denn es stärkt das Selbstvertrauen und den Willen, weiter zu machen. Meiner Erfahrung nach habe ich niemals erlebt, dass meine Vorgesetzten ihr Gegenüber im Hinblick auf Alter oder Geschlecht anders behandeln.»