materialien und technologien

Die Gebäude? Sie werden mit neuen «Solarfassaden» geplant

Sonntag, 19. Januar 2020 ca. 7 Minuten lesen In lingua italiana

Die Ära der alten, dachmontierten Photovoltaikplatten zur Erzeugung von Warmwasser oder wenig mehr scheint vorbei. Dank fortschrittlicher Techniken ist man heute viel weiter. Die SUPSI forscht an vorderster Front.
von Elisa Buson

Auf dem Dach montierte Solarplatten? Uraltes Zeug. Heute werden die Photovoltaikzellen zur Erzeugung sauberer Energie direkt in die Bauelemente der Gebäude wie z.B. Ziegel, Glaswände und Fassadenverkleidungen integriert. Das ist die Solararchitektur, Schönheit, der Schlüssel, um die grüne Revolution in unseren Städten voranzutreiben, um die Umweltauswirkungen mit etwas futuristischem Design zu reduzieren. Eine ganz wesentliche Herausforderung angesichts der weltweiten Klimakrise, die von der SUPSI, der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana, im Fluge aufgegriffen wurde: Sie zählt zu den Pionieren in dieser höchst innovativen Branche und ist heute an vorderster Front in verschiedene landes- und europaweite Projekte eingebunden, die darauf abzielen, diese Technologien immer effizienter und wirtschaftlich konkurrenzfähiger zu gestalten.

«Bereits in den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann man, von „Solararchitektur“ zu sprechen – so Francesco Frontini, Professor für innovative Bautechnologien und nachhaltige Planung an der SUPSI. – Damals bezog sich der Begriff auf experimentelle Gebäude, welche die Sonnenwärme nutzen konnten, um sich passiv aufzuheizen, und die mit Solarplatten zur Erzeugung von Warmwasser für den sanitären Gebrauch oder zur Versorgung von Wärmepumpen versehen waren, mit denen man Räumen heizen oder kühlen konnte.» Ab den achtziger Jahren begann man mit der Installation der ersten Photovoltaikplatten mit der Nutzung der Sonnenenergie zur Erzeugung erneuerbarer elektrischer Energie. «Der wahre Durchbruch – erinnert Frontini – kam dann nach der Jahrtausendwende mit dem Boom der erneuerbaren Energien: Nicht zuletzt dank der staatlichen Fördermittel konnten wir in der Schweiz ein starkes Wachstum der Anlagen beobachten, die sich auf dem Boden oder auf Dächern leicht, schnell und kostengünstig aufstellen liessen.»

Während diese Anlagen überall wie die Pilze aus dem Boden schossen, bewies die SUPSI bereits Weitblick und nahm an einem staatlichen Forschungsprojekt zur Identifizierung der besten Technologien für die direkte Integration der Photovoltaik in die «Haut» der Gebäude teil. Zunächst ging es um die Ziegel: Die herkömmlichen Materialien wie Ton oder Faserzement wurden durch Solarglas ersetzt, ein spezielles laminiertes Glas, das Photovoltaikzellen enthält. Dann ging man über zu den hinterlüfteten Fassaden, die mit externen Platten einen Zwischenraum bilden, um die natürliche Luftzirkulation und damit die Kühlung der Fassade zu fördern: Auch in diesem Fall wurden die edlen Materialien (wie Metall, Marmor und Holz), die zur Herstellung der Platten verwendet werden, durch aktive Solarsysteme ersetzt. Und schliesslich waren die Vorhangfassaden an der Reihe, bei denen die grossflächigen Glasfassaden von Wolkenkratzern, Geschäfts- und Repräsentanzgebäuden mit integrierten, matten Solarzellen bestückt werden.

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«Im Tessin gibt es bereits konkrete Beispiele für Solar-Architektur – betont Frontini. – Man denke zum Beispiel an Palazzo Positivo in Chiasso, ein Pilotgebäude mit in die Fassaden, Balkongeländer, das Dach und die Pergola der Terrasse integrierter Photovoltaik.» Elemente der Solar-Architektur wurden auch für die Sanierung bereits bestehender Gebäude verwendet «wie z.B. den Sitz der Zurich Versicherung in Lugano – so Frontini –, wo die Photovoltaik in die Fassaden mit Süd-, Ost- und West-Ausrichtung integriert wurde.»

Die Nutzung dieser innovativen Technologien für die Gebäudesanierung ist eine gute Investition, denn mittlerweile haben sie einen beträchtlichen Wirkungsgrad erreicht. «Durchschnittlich liegt er bei gebäudeintegrierten Anlagen um die 15% – erklärt Frontini –, das bedeutet, dass ein Quadratmeter aktiver Oberfläche pro Jahr 1.000 Kilowattstunden Sonnenenergie empfängt und daraus 150 Kilowattstunden elektrischer Energie erzeugen kann.» Nehmen wir beispielsweise eine vierköpfige Familie, die zur Deckung ihres Energiebedarfs 3-5 Kilowatt Photovoltaikleistung installieren müsste, wären ein aktives Dach von 30 Quadratmetern bzw. 45 Quadratmeter Solarfassade ausreichend. Hinzu kommen steuerliche Vergünstigungen zur Förderung der Erneuerung des Immobilienparks der Schweiz, der für mehr als 40% des Energieverbrauchs und der klimaschädlichen CO2-Emissionen verantwortlich ist. «Bis heute werden nur 1-2% der Gebäude saniert: Es gibt noch viel zu tun und zu investieren», bemerkt Frontini.

Was also bremst die Verbreitung der integrierten Photovoltaik? «Vor allem ist viel zu wenig über ihre Möglichkeiten bekannt: Deshalb arbeiten wir von der SUPSI intensiv an der Aufklärung von Architekten und Planern in Form von Veranstaltungen, Web-Plattformen und Infomaterial», bemerkt der Dozent. Und dann wäre da vor allem das Kapitel Kosten: «Eine vierköpfige Familie, die 5 Kilowatt aktive Solarziegel auf dem Dach installieren möchte, muss mit bis zu 15.000 Franken rechnen, auch wenn davon die Bundes- und kantonalen Fördermittel sowie die steuerlichen Entlastungen abgezogen werden müssen.» Eine auf jeden Fall beträchtliche Investition, der jedoch die Langlebigkeit der Glasmodule und der minimale Wartungsaufwand gegenüberstehen. «Das Material – versichert Frontini – ist stabil und hält über 30 Jahre: Auch die Leistung ist dauerhaft und sinkt insbesondere gegen Ende der Lebensdauer um 0,5% jährlich.»

Auch die Herstellung der Photovoltaikelemente belastet den Geldbeutel, da sie nicht mehr in Standardproduktionen hergestellt werden können. Die gebäudeintegrierten Systeme ermöglichen nämlich eine höhere Personalisierung: So kann ein Architekt beispielsweise die Photovoltaikelemente so nutzen, dass sie eine Glasfassade mit Muster ergeben, indem er Elemente mit dichteren und andere mit weniger Solarzellen abwechselt. Um die Anforderungen aller erfüllen zu können, werden flexiblere und automatisierte Produktionsanlagen benötigt. Deshalb arbeiten die Experten der SUPSI am Projekt BIPVBOOST, das durch das europäische Programm Horizon 2020 finanziert wird: Ziel ist es, mit den Forschungsinstituten und Industriepartnern des Konsortiums zusammenzuarbeiten, um die Zusatzkosten der gebäudeintegrierten Photovoltaik bis 2030 um 75% zu senken. «Dazu werden wir für die Architektur flexible und installationsfreundliche Solarprodukte in unterschiedlichen optischen Ausführungen und neue Softwarelösungen für die Planung entwickeln», erzählt Frontini. So geben wir den Architekten alle Tools an die Hand, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen.

Es ist absolut vorhersehbar, dass die integrierte Photovoltaik schliesslich den «Look» der Gebäude revolutionieren wird. «Die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) – sagt Frontini – sehen vor, dass die Photovoltaikleistung bei Neubauten pro beheizbaren Quadratmeter
mindestens 10 W betragen muss, was die Planung in gewisser Weise bindet. Um die Effizienz dieser neuen Technologien zu maximieren, muss man die Gebäude mit mehr zur Sonne hin ausgerichteten Oberflächen konzipieren.» So könnte die Anzahl der Glasfassaden mit Südausrichtung zunehmen und der Sichtbeton, der für die Bauweise im Tessin typisch ist, den Platz für blaue oder schwarze Photovoltaik-Glasfassaden räumen. «Das Solarglas kann auch farbig oder mit Siebdruck gestaltet werden: Vor ein paar Jahren haben wir mit dem europäischen Projekt SmartFlex ein Gebäude in Klaipeda, in Litauen, mit vielen Photovoltaikmodulen saniert, die ein Meeres-Design mit Wolken auf der Fassade wiedergeben», bemerkt Frontini. Also immer härtere Konditionen für Graffiti-Künstler auf der Suche nach weissen Wänden, auf denen sie ein Zeichen setzen können? «Wer weiss: Vielleicht werden sie in Zukunft gerufen, um Dekore für die Fassaden zu entwerfen!»

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