FORSCHUNG

So kann Covid auch die Schilddrüse befallen: Jagd auf die Strategien des Virus

Samstag, 30. Januar 2021 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana

Ein koordiniertes «Review» von Pierpaolo Trimboli, leitender Arzt für Endokrinologie-Diabetologie an den Regionalkrankenhäusern Lugano und Mendrisio, bringt Klarheit zu einem kontroversen Aspekt des Coronavirus
von Paolo Rossi Castelli

Kann Covid-19 neben Lunge (und Nieren, Herz, Gehirn, Darm) auch die Schilddrüse schädigen, die Drüse, die für einen guten Funktionsmechanismus des Organismus verantwortlich ist? Das Thema ist komplex und Hunderte Hinweise in den vergangenen Monaten haben häufig widersprüchliche Antworten geliefert. Ein fester Anhaltspunkt kommt von einem Review der wissenschaftlichen Literatur eines Teams schweizerischer, italienischer und argentinischer Forscher unter der Koordination von Pierpaolo Trimboli, Professor an der Università della Svizzera italiana und leitender Arzt für Endokrinologie-Diabetologie am Regionalkrankenhaus Lugano und am Regionalkrankenhaus Beata Vergine in Mendrisio. Diese Studie, das einzige zu diesem Thema bisher veröffentlichte Review, ist vor einigen Wochen in der wissenschaftlichen Zeitschrift Reviews in endocrine & metabolic disorders (die auf internationaler Ebene zu den zehn führenden Fachzeitschriften für Endokrinologie zählt) erschienen. «Die Zellen der Schilddrüse haben, wie die der Lunge und anderer Organe, – erklärt Trimboli – den Rezeptor ACE2, also das Protein, das vom (für Covid verantwortlichen) SARS-CoV-2 Virus als Eintrittspforte zu den Zellen genutzt wird, um diese zu infizieren. Die Schilddrüsenzellen haben im Vergleich zu den Lungenzellen sogar eine grössere Menge ACE2. Demnach ist es eine logische Schlussfolgerung, dass die Schilddrüse eine potentielle Zielscheibe von SARS-CoV-2 sein könnte». 

Und tatsächlich weiss man seit geraumer Zeit (schon vor der aktuellen Pandemie), dass die Familie der Coronaviren – zu der SARS-CoV-2 bekanntermassen gehört – eine besondere Form der Erkrankung der Schilddrüse hervorruft, die Thyreoiditis De Quervain (benannt nach dem Schweizer Chirurgen, der sie als erster beschrieben hat). «Am Anfang der Coronapandemie – so Trimboli weiter – haben wir Endokrinologen gedacht, dass diese Thyreoditis häufiger auftreten würde, und tatsächlich haben wir sie viel häufiger beobachtet als in den Jahren zuvor. Allerdings gab es keinen absoluten, festen Beweis für den Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2 und De Quervain Krankheit. Indizien ja, viele...»

Dafür haben die Forscher aber entdeckt, dass Covid der Schilddrüse auch auf andere, indirektere Weise schaden kann. Insbesondere ist es in der Lage, das gesamte System zu befallen, das die Hormonproduktion durch die Schilddrüse regelt: Eine «Befehlskette», die von der Hypophyse (einer kleinen, aber wichtigen Drüse im Hirnschädel) aus durch den Hypothalamus (einen Bereich des Gehirns) verläuft. «Die Schilddrüse produziert eine Reihe Hormone (T3 und T4 genannt), die von allen Zellen des Organismus zur Regelung ihres Stoffwechsels und zahlreicher weiterer Funktionen benötigt wird, – erklärt Trimboli – aber die Schilddrüse selbst unterliegt der Steuerung durch die Hypophyse über das Hormon TSH, die Hypophyse wiederum wird über das Hormon TRH vom Hypothalamus gesteuert. Zieht man einen Vergleich zur Politik, dann wäre die Achse Hypothalamus-Hypophyse-Schilddrüse die zentrale Regierung unseres Körpers». Wie gesagt, Covid kann der Hypophyse schaden und somit die Produktion der Schilddrüse beeinträchtigen.

Und es gibt einen dritten, noch indirekteren Weg, wie Covid die Schilddrüsentätigkeit beeinflussen kann, und zwar durch das hochdosierte Cortison, das den Schwerstkranken auf den Intensivstationen verabreicht wird. «Hohe Mengen Cortison – so Trimboli weiter – können aufgrund komplexer biochemischer Mechanismen die Produktion des TSH Hormons senken, was sich wiederum nachteilig auf die Tätigkeit der Schilddrüse auswirkt, auch wenn die Drüse gesund und nicht direkt durch das SARS-CoV-2 geschädigt ist». Müssen Covid-Patienten folglich hinsichtlich der Schilddrüse «besonders überwacht» werden? «So weit sind wir nicht – antwortet Trimboli – aber sicherlich scheint die Überwachung der Schilddrüsentätigkeit bei diesen Patienten immer wichtiger».

DIE BEDEUTUNG DES ULTRASCHALLS - Neben den Studien zu Covid übt Trimboli auch verschiedene weitere Forschungstätigkeiten aus und ist derzeit an einem grossen internationalen Projekt zur Bestimmung der Leitlinien für den Ultraschall der Schilddrüse beteiligt, der mit der Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. «Bis zu den 80er Jahren – so der Facharzt – wurden Schilddrüsenknoten (kleine Massen, die sich in der Schilddrüse bilden, Anm. d. Red.) bei Patienten, die eine Schwellung in der Schilddrüsenregion aufwiesen, nur durch Abtasten des Halses gesucht. Damals wurde ein Grossteil der Patienten mit tastbarem Knoten wegen des Verdachts auf Tumor zu diagnostischen Zwecken operiert. In den meisten Fällen handelte es sich aber um gutartige Knoten». Anfang der 80er Jahre wurde in vielen medizinischen Bereichen der Ultraschall eingeführt, auch zur Untersuchung der Schilddrüse. «Mit dem Einzug des Ultraschalls – so Trimboli weiter – wurde zunächst ein beachtlicher Anstieg der Schilddrüsenknoten registriert, entsprechend hoch war die Besorgnis wegen der scheinbaren Zunahme an Schilddrüsenpatienten». Tatsächlich konnte man zu jener Zeit mit dem Ultraschall viel mehr Knoten erkennen, als man bisher in der Bevölkerung vermutete: Wurden sie zuvor bei 5% der Patienten, die abgetastet wurden, entdeckt, so schätzt man heute, dass allein mit dem Ultraschall bei bis zu 70% der Erwachsenen ein erkennbarer Knoten festgestellt werden kann. «Im Lauf der Jahre hat sich der Ultraschall als beste Technik vor allem für die gutartigen Knoten erwiesen, für die also kein Eingriff erforderlich ist, wobei die Patienten regelmässig überwacht werden, um eine etwaige Vergrösserung der Knoten feststellen zu können. Andererseits ermöglicht der Ultraschall die Identifizierung bösartiger Schilddrüsentumoren, die operiert werden müssen. Auf diese Weise ist die Anzahl der chirurgischen Eingriffe im Lauf der Jahre deutlich zurückgegangen und heute werden fast nur noch Patienten mit einem bösartigen Tumor operiert». Von den besagten 70% weisen nur 1-2% eine bösartige Form auf. Und lediglich 2-3% der Tumoren könnten ein aggressives Verhalten entwickeln und folglich eine intensivere Behandlung erfordern. Einen Grossteil des beachtlichen Fortschritts der letzten Jahre im Bereich der Schilddrüsenknoten und -tumoren haben wir also dem Ultraschall zu verdanken, der angesichts seiner hohen Effizienz, verbunden mit geringen Kosten, heute eine wesentliche Rolle spielt.

Heutzutage erfolgt der Schilddrüsen-Ultraschall nach den Vorgaben der Leitlinien (TIRADS, Thyroid Imaging Reporting And Data System), die eine Einordnung der Knoten nach ihrem Risiko der Bösartigkeit ermöglicht. Da es jedoch verschiedene TIRADS gibt, die von den unterschiedlichen internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften erstellt wurden, haben ebendiese Gesellschaften nun ein Expertenteam geschaffen, dass ein Einheitsdokument („International TIRADS“) erarbeiten soll. Beteiligt an diesem Projekt ist auch die European Thyroid Association oder ETA, die ihre sechs Experten aus verschiedenen Ländern gewählt hat. Darunter Pierpaolo Trimboli, der abschliessend bemerkt: «Unser Projekt sollte bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Allerdings müssen wir stets mit den Unwägbarkeiten durch Covid-19 rechnen».

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Covid-19
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