Künstliche Intelligenz

Willkommen in der Welt des leistungsstärksten Superrechners Europas

Donnerstag, 6. Februar 2020 ca. 9 Minuten lesen In lingua italiana

Nach einem jüngsten «Upgrade» ist er in der Lage, unglaubliche 25 Billiarden mathematische Vorgänge pro Sekunde auszuführen. Er ist der Star des Nationalen Hochleistungsrechenzentrums der Schweiz in Lugano.
von Paolo Rossi Castelli

Die schwere Glastür des Nationalen Hochleistungsrechenzentrums der Schweiz öffnet sich, und aus den grossen Räumen, in denen in der Via Trevano 131 in Lugano der leistungsstärkste Superrechner Europas (und sechsstärkste Supercomputer weltweit) untergebracht ist, dringt erstaunlicherweise der typische Lärm einer Maschinenbaufabrik: Nicht die erwartete Stille, die man normalerweise mit elektronischen Geräten verbindet, sondern ein ohrenbetäubendes Dröhnen. Wie ist das möglich? Zunächst einmal muss man klarstellen, dass wir es hier nicht mit selbst besonders leistungsstarken PCs zu tun haben, wie man sie normalerweise in den Büros antrifft. Piz Daint (so heisst der Hochleistungsrechner, benannt nach einem Berg in Graubünden) ist zwei Meter hoch und setzt sich zusammen aus ca. vierzig schwarzen «Säulen», die wie kleine Gebäude wirken, die über eine Reihe Bögen miteinander verbunden sind. Das Ganze mit Zehntausenden Prozessoren, Platinen und Kabelkilometern, die gemeinsam eine solche Rechenleistung ergeben, die man nur schwer mit Worten beschreiben kann: 25 Petaflops, also 25 Billiarden mathematische Vorgänge pro Sekunde (um diese Zahlen besser zu veranschaulichen: Ein Rechentag von Piz Daint entspricht der Arbeit, den ein normaler Laptop in 3.000 Jahren ausführt). Um diese Leistung möglich zu machen, ist eine enorme Menge Energie nötig, ebenso wird eine riesige Hitze erzeugt. Und vor allem daher kommt der Lärm: Von den Gebläsen, die zur Kühlung des «Monsters» (im positiven Sinne ...) erforderlich sind.

Piz Daint ist gemeinsam mit anderen Hochleistungsrechnern (die allesamt Namen Schweizer Berge tragen) gegenüber dem städtischen Stadion untergebracht, in einer zukunftweisenden Einrichtung, die von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich geschaffen wurde und auch von ihr verwaltet wird. Zur Kühlung der starke Hitze entwickelnden Hochleistungsrechner wird kaltes Wasser aus dem Luganersee gepumpt (gewonnen wird es in 45 Metern Tiefe, wo die Temperatur rund 6 Grad beträgt), das dann 2,8 Kilometer durch spezielle Leitungen am Cassarate entlang bis in die Kühler läuft, die den exorbitanten Datenstrom kühlen, um es schliesslich (annehmbare) 19 Grad warm wieder zurück in den See zu leiten. Das Nationale Hochleistungsrechenzentrum der Schweiz (CSCS oder mit der englischen Bezeichnung Swiss National Supercomputing Centre) allein verbraucht soviel Energie wie ein dichtbewohntes Stadtviertel und ist (falls es noch weiter wächst) auf einen Verbrauch von 25 Megawatt Leistung ausgelegt, was dem Energieverbrauch einer Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern entspricht, obwohl es gerademal eine Fläche von 2.000 Quadratmetern aufweist (was 8 bis 9 grossen Wohnungen entspricht): Dort, in diesem Openspace mit Wänden aus Glas und Beton, wird eine «konzentrierte» Hitze erzeugt, die sich ohne den fundamentalen Beitrag des Sees nur schwer abscheiden liesse.

«Piz Daint wird für zahlreiche Forschungen in den verschiedensten Sektoren verwendet – erklärt Maria Grazia Giuffreda, Co-Direktorin des CSCS. – Den Löwenanteil stellt die Materialwissenschaft, gefolgt von Astro-, Plasma-, Geophysik, Klima und vielen weiteren Sparten.» Über uns sind bedeutende Forschungen gelaufen, wie z.B. die von Lucio Mayer der Universität Zürich, die eine realistische Simulation der Entstehung einer Galaxie wie der Milchstrasse ermöglicht hat. Eine (in jederlei Hinsicht) derart komplizierte Struktur bedarf der Arbeit von 120 Personen aus 25 Nationen, mit Betriebs- und Personalkosten in Höhe von 19 Millionen Franken pro Jahr, hinzu kommen 20 Millionen für die Hardware und weitere 3 Millionen für die Entwicklung neuer Codes. War die Umsetzung wirklich angebracht (in Europa gibt es nur 4 weitere dieser Grössenordnung)? Ja, denn die Schweiz hat eine ganz wesentliche Berufung für die wissenschaftliche und technologische Forschung, und die Technische Hochschule Zürich rangiert seit Jahren unter den 10 renommiertesten Top-Universitäten der Welt. Es war sozusagen unvermeidbar, sich mit Hochleistungsrechnern zu rüsten, um den Forschern die Fortsetzung ihrer immer grösser, vertiefter und komplexer werdenden Studien zu ermöglichen. «In den USA, in China und Japan gibt es ein paar Exemplare, die noch leistungsstärker sind als unserer – so Maria Grazia Giuffreda weiter – aber es ist bisher nicht immer einfach und möglich, diese zu verwenden. Was das CSCS anbelangt, versuchen wir stets, die Codes und Schnittstellen so zu gestalten, dass sie für jedermann nutzbar sind, und bieten den verschiedenen Forschungsgruppen, die Zugang zu Piz Daint möchten, Assistenz durch Fachteams. Auch deshalb laufen unserer Hochleistungsrechner auf vollen Touren, ohne Leerlauf (von normaler Wartung abgesehen).»

Aber wieviel kann das die Forscher (aus der Schweiz, aber auch aus dem Ausland) kosten, diese «Maschinen» zu nutzen und sich von aussen mit ihnen zu verbinden, um ihre Studien voranzutreiben? «Nichts, die Technische Hochschule Zürich verlangt von den Universitäten und anderen Instituten, die an den Ausschreibungen für den Zugang zu Piz Daint teilnehmen, keine Gebühren – antwortet Michele De Lorenzi, Vizedirektor des CSCS. – Allerdings müssen die vorgeschlagenen wissenschaftlichen Arbeiten ausgezeichnet und von hohem wissenschaftlichem Wert sein. Alle sechs Monate starten wir eine Ausschreibung (einen „call for proposals“, wie man in der Fachsprache sagt), und für jedes eingereichte Projekt wird der wissenschaftliche Verdienst von zwei erfahrenen Prüfern, die nicht aus der Schweiz kommen (um etwaige Interessenskonflikte zu vermeiden), bewertet, zwei technische Experten des CSCS prüfen die Kompatibilität mit Piz Daint und unseren weiteren Serviceleistungen. Schliesslich wird auf der Basis verschiedener, für alle gleicher Parameter ein Ranking erstellt, das einer gerechten Verteilung der Ressourcen dient. In der Regel erhalten wir 3-4 Mal mehr Anträge, als wir Kapazitäten haben.» Anders verhält es sich mit den privaten Unternehmen: Sie können die Maschinen je nach Verfügbarkeit der Ressourcen mieten, müssen für den Service in diesem Fall aber bezahlen.

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Foto di Loreta Daulte Schau in die Galerie (17 foto)

Das Nationale Hochleistungsrechenzentrum der Schweiz wurde 1991 in Manno gegründet. Nach zwanzig Jahren jedoch wurde die anfängliche Struktur zu klein und bot keine Ausbaumöglichkeit, nicht zuletzt wegen eines Problems mit der in diesem Gebiet unzureichenden Stromversorgung. So wurden die Planungen für den neuen, 2012 eröffneten Standort in der Via Trevano aufgenommen, wo heute tagtäglich Tausende Autofahrer vorbeifahren und wohl gar nicht wissen, dass sich hinter diesem grünen Glaswürfel ein Openspace mit Supercomputern befindet. «Über die Technische Hochschule Zürich hat die Eidgenossenschaft für dieses Gebäude 86 Millionen Franken ausgegeben – so De Lorenzi weiter. – Und dann sind natürlich enorme Investitionen für die Computer erforderlich, die alle 4 oder 5 Jahre ausgewechselt oder zumindest radikal aktualisiert werden müssen.»

Wie bereits erwähnt, hat das CSCS nicht gerade kleine Umweltauswirkungen, aber wir kümmern uns intensiv um die ökologischen Aspekte. «Die von uns verbrauchte elektrische Energie (wir liegen derzeit bei 4,6 Megawatt, auch wenn wir eine Zulassung bis 25 haben) stammt aus Wasserkraft und ist somit „grüner“ Herkunft – so De Lorenzi weiter. – Ausserdem zählen unsere Supercomputer zu den besonders energieeffizienten, d.h. bei gleicher Rechenleistung verbrauchen sie weniger Energie als die anderen. Auch das Kühlsystem wurde so konzipiert, dass Energie rückgewonnen wird. So nutzt beispielsweise eine im Parco Ciani installierte Turbine das Gefälle zwischen Via Trevano und dem See zur Energieerzeugung durch den Rückfluss des Wassers. Und schliesslich stellen die Experten sicher, dass die Zirkulation unseres Kühlwassers einem Teil des Sees bei der Anreicherung mit Sauerstoff hilft, weil es eine positive Bewegung erzeugt.»

Der erste in Manno aufgestellte Computer hatte eine Leistung von 5,5 Gigaflops, also wenig mehr als die Hälfte dessen, was heute ein gewöhnliches Smartphone zu bieten hat (10 Gigaflops)! In der Via Trevano sind wir nun in der Grössenordnung von Petaflops angelangt, das heisst im Vergleich zu den Gigaflops um eine Milliarde stärker ... Für die, die ein bisschen etwas von Mathematik verstehen, sind wir von 10 hoch sechs zu 10 hoch fünfzehn gelangt (also 1 mit 15 Nullen). Und schon entwickelt sich die Welt weiter in Richtung Exaflops (10 hoch achtzehn).

Piz Daint wurde von dem amerikanischen Unternehmen Cray Inc. speziell für das CSCS gebaut. Theoretisch könnten sich auch andere Behörden oder Unternehmen etwas Ähnliches anschaffen, aber die Kosten sind enorm. Allein das letzte, sehr aufwendige Upgrade, bei dem die Prozessoren und Graphik-Platinen ausgewechselt wurden, kostete 40 Millionen Franken! «Diese Maschinen – erklärt Maria Grazia Giuffreda – befinden sich in kontinuierlicher Weiterentwicklung. Eine der besten Fähigkeiten für die Betreiber ist die Tatsache, dass sie sofort in vollem Umfang genutzt werden können: Andernfalls könnte die Zeit, die für das Erlernen erforderlich ist, solange dauern, dass der Computer bereits wieder ersetzt werden muss, sobald die Menschen bereit sind. Das wäre selbstverständlich ein Paradox ... Es ist merkwürdig in einer Welt wie dieser zu leben, in der man bereits an die nächste Maschine denkt, sobald man die eine aufbaut. Langeweile gibt es hier sicher keine!»

Aber es gibt noch ein weiteres Paradox. Vor Jahren hatten die Betreiber dieser Riesencomputer das Problem, ausreichende Datenmengen zu erhalten. Jetzt hingegen sind die von diesen Supermaschinen gelieferten Datenmengen so gigantisch, dass sich die Frage ergibt, wie man diese verwalten kann (vernichten, falls erforderlich, neu berechnen, selektieren ...), und so ist ein ganz eigener Forschungszweig entstanden: «Data Science» oder auch Datenwissenschaft, die eine immer wichtigere Rolle spielt.

Und wohin führt uns dieser kontinuierliche Wettlauf um immer leistungsstärkere Maschinen? «Die Ressourcen sind nie genug (und werden es auch nie sein) – sagt Maria Grazia Giuffreda. – Je mehr Ressourcen man den Wissenschaftlern zur Verfügung stellt, desto mehr werden sie verlangen, da es immer Forscher geben wird, die den anderen mit ihren Ideen voraus sind ...»

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