Debatte

In Lugano gibt es 6.000 Studierende (an der USI und SUPSI), die jedoch kaum wahrgenommen werden

Sonntag, 12. März 2023 ca. 8 Minuten lesen In lingua italiana
(Foto: Chiara Micci/Garbani)
(Foto: Chiara Micci/Garbani)

Man trifft sie nur selten ausserhalb der Hörsäle, auf der Strasse oder an den ihnen gewidmeten Orten (was unter anderem daran liegt, dass es nur sehr wenige davon gibt). Es braucht Zeit, um eine „Universitätsstadt“ zu werden, aber es tut sich etwas
von Paolo Rossi Castelli

In Lugano gibt es zwei Universitäten mit insgesamt rund 8.000 Studierenden (4.100 an der USI und 3.900 an der SUPSI, verteilt auf die verschiedenen Standorte). Wenn man die 800 Studentinnen und Studenten der Akademie für Architektur in Mendrisio und die 1.200 Studierenden der Fachhochschule Südschweiz SUPSI (Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana) an den Standorten Mendrisio und Locarno abzieht, bleiben rund 6.000 übrig: nicht wenig für eine Stadt mit 68.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Und dennoch trifft man sie nur selten auf der Strasse, in Gruppen versammelt vor den Universitätsgebäuden, in den klassischen Studentenrestaurants mit niedrigen Preisen (und entsprechendem Service...) oder an anderen Treffpunkten – ganz einfach deshalb, weil es in Lugano keine dieser Orte oder nur sehr wenige davon gibt.
«In Basel, wo ich meinen Bachelor gemacht habe, herrschte ein sehr reges Studentenleben ausserhalb der Universität», erzählt Chiara Burlini, Co-Präsidentin der
SMUSI (Vereinigung der Studierenden der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften der Università della Svizzera italiana). «Basel ist bekanntlich eine studentenfreundliche Stadt, die zahlreiche Freizeitaktivitäten und Treffpunkte für Studierende bietet. In Lugano hingegen fehlt es an Initiativen für die Studentinnen und Studenten ausserhalb der Università della Svizzera italiana (USI, einer an sich hervorragend funktionierenden Universität). Natürlich treffen wir uns, aber wir müssen alles selbst organisieren».
Beatrice Granaroli, eine Doktorandin der Philosophie in Lugano, fügt hinzu: «Da ich aus Pisa, einer italienischen Universitätsstadt, komme, konnte ich einen Vergleich ziehen und musste feststellen, dass es im Tessin keine solche „Sozialgemeinschaft“ gibt. In Pisa hingegen gibt es viele Studentenvereinigungen und zahlreiche Möglichkeiten, sich nach den Unterrichtsstunden zu treffen. Die Studierenden treffen sich auch auf der Piazza dei Cavalieri, um sich einfach nur mit Gitarrenmusik und Plauderei den Abend zu vertreiben. In Lugano gibt es nichts von alledem: Es fehlt an Treffpunkten, weshalb es schwierig ist, sich einen Freundeskreis aufzubauen. Ausserdem gibt es nur wenige Studentenlokale mit erschwinglichen Preisen, die nicht allzu früh schliessen (das Oops, das Kulma und zwei oder drei weitere. Man kann sie an den Fingern einer Hand abzählen...). Was hingegen sehr gut funktioniert, ist das Angebot an sportlichen Aktivitäten: zahlreiche vom Sportservice der USI gut organisierte Kurse und ein ausgezeichnetes Fitnessstudio im Campus Est. Das war für mich ein grosser Segen».

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Die Tatsache, dass man die Studierenden der Universitäten von Lugano kaum in der Stadt zu Gesicht bekommt, hat nicht nur organisatorische und kulturelle Gründe. «Viele unserer Studentinnen und Studenten leben genauso wie auch ihre Familien im Tessin, was einer der Gründe ist, weshalb man ihnen nur selten begegnet», so Tatiana Cataldo, Leiterin des Karriere- und Beratungsservices der SUPSI. «In ihrer Freizeit treffen sie sich wahrscheinlich weiterhin mit ihrem gewohnten Freundeskreis (z. B. dem aus der Sekundarstufe II), der nicht unbedingt aus Studierenden besteht, sondern aus Berufstätigen mit einem ganz anderen Lebensrhythmus. Zudem haben die Coronazeit und der Distanzunterricht dazu geführt, dass sich die Gewohnheiten ein wenig verändert haben und der Team- und Gemeinschaftsgeist, den wir jedoch wieder stärken möchten, etwas verloren gegangen ist. Zu guter Letzt sollte man auch bedenken, dass die Präsenz der Universitäten SUPSI und USI in Lugano eine relative „Neuheit“ darstellt: Sie wurden nämlich erst vor etwas mehr als 25 Jahren gegründet (was, verglichen mit historischen Universitäten, eine äusserst kurze Zeitspanne ist)».

In der Tat besuchen auch viele Studierende der USI regelmässig ihre Familien, da sie im benachbarten Italien leben und somit nach den Vorlesungen wieder an ihre Wohnorte reisen. An den Wochenenden verlassen auch die Studentinnen und Studenten des Masterstudiengangs in Medizin (die zum Grossteil aus der Deutschschweiz stammen) die Stadt und nehmen, sobald sie können, den Zug nach Zürich oder Basel. 

EINE UNIVERSITÄTSSTADT ODER EINE STADT MIT ZWEI UNIVERSITÄTEN? – Die Frage, die bereits seit einiger Zeit im Raum steht, lautet: Soll Lugano als echte Universitätsstadt oder einfach als eine Stadt mit zwei Universitäten betrachtet werden? Der Unterschied liegt nicht allein in der Wortwahl: Eine Universitätsstadt ist ein Ort, der so konzipiert und strukturiert ist, dass er den Studierenden nicht nur Hörsäle und Bibliotheken, sondern auch preisgünstige Unterkünfte sowie Freizeitangebote und Gemeinschaftsbereiche zur Verfügung stellt, in denen sich die Studentinnen und Studenten treffen können, um sich nicht nur gemeinsam auf Prüfungen vorzubereiten, sondern auch, um eine studentische Gemeinschaft aufzubauen. Im weiteren Sinne ist eine Universitätsstadt ein Ort, der seine Studentinnen und Studenten liebt, auch wenn der damit verbundene Trubel zuweilen zu Konflikten und Problemen führt.

«Lugano braucht Zeit, um sich zu einer echten Universitätsstadt zu entwickeln», so Albino Zgraggen, ehemaliger Generalsekretär der USI von 1999 bis 2019. «Ein Mentalitätswandel nimmt mehrere Jahre in Anspruch, und ausserdem ist die Schweizer Mentalität nicht mit der mediterranen zu vergleichen, die dem Gemeinschaftsleben einen höheren Stellenwert einräumt. Die Stadtverwaltung hat sich jedenfalls stets für die Förderung der Universität sowie für deren Verankerung in der Stadt eingesetzt, und zwar über die Stiftung für die Fakultäten in Lugano Fondazione per le facoltà di Lugano der Università della Svizzera italiana, der nahezu alle Liegenschaften der USI in Lugano gehören. Der Stiftungsrat besteht aus neun Mitgliedern, von denen vier Stadträte sind».

Roberto Badaracco, Vizebürgermeister von Lugano und Vorsteher des Departements für Kultur, Sport und Veranstaltungen, erklärt: «Die Stadt Lugano hat im Vergleich zu anderen Schweizer Städten lange gebraucht, bis sie eine eigene Universität hatte. Diese Tatsache sollte man nicht vergessen. Es dauert Jahre und oft sogar Jahrzehnte, bis eine Region sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht weitgehend durch die eigene Universität geprägt wird. Ein Hochschulstandort zu sein, stellt für die Stadt einen signifikanten Mehrwert dar, der sich auf den gesamten Kanton auswirkt und uns konkrete Vorteile bringt».

Zwei Drittel der an der USI eingeschriebenen Studierenden kommen aus dem Ausland, vorwiegend aus Italien (wie bereits erwähnt), aber auch aus vielen anderen europäischen und aussereuropäischen Ländern. Diejenigen, die von weit her kommen, haben ihren Wohnsitz automatisch in Lugano genommen, ebenso wie ein Teil der Studierenden aus Italien, mit Ausnahme derer aus Insubrien und Mailand. Kurz gesagt, ein nicht gerade geringer Teil der Studierenden lebt in der Stadt. In Lugano gibt es jedoch immer noch keine Studentenwohnungen. Die direkt von der USI betriebenen Wohnheime bieten nur Platz für 200 Studentinnen und Studenten. Die SUPSI ihrerseits verfügt über keine Studentenwohnheime. Wer in der Stadt studiert, muss daher zwangsläufig normale Wohnungen mieten, die natürlich nicht gerade günstig sind, und hat dabei oft mit dem Misstrauen der Eigentümer zu kämpfen.

Vor kurzem hat die Stadt die Stiftung Fondazione per le facoltà di Lugano im Rahmen des Projekts Matrix des Architekturbüros Durisch-Nolli, das den Wettbewerb für die Sanierung des ehemaligen Schlachthof-Areals gewonnen hat, mit dem Bau neuer Studentenwohnungen beauftragt. Bevor die Arbeiten auf der Baustelle tatsächlich starten können, müssen jedoch noch einige kommunale Entscheidungen getroffen werden.

IM SOMMER IST ALLES ANDERS – Mit der heissen Jahreszeit (von Ende Mai bis Ende August) und der Eröffnung der beliebten Sommerveranstaltung Lugano Marittima an der Mündung des Flusses Cassarate, die zahlreiche Bars und Lokale bietet, in denen man sich bis spät in die Nacht vergnügen kann, ändert sich das soziale Leben der Studierenden grundlegend. Wäre es nicht möglich, auch im Winter eine derartige Veranstaltung zu organisieren, die (logischerweise) in geschlossenen Räumen stattfindet? «Es gibt bereits ein Zentrum wie das Foce – so Roberto Badaracco –, in dem das ganze Jahr über zu äusserst günstigen Preisen und mit Ermässigungen für Studierende Musik-, Theater-, Kino- und Tanzveranstaltungen sowie Treffen abgehalten werden, die sich an ein heterogenes Publikum richten. Das Projekt „Random“ ermöglicht es den jungen Leuten, das Abendprogramm des Veranstaltungszentrums Foce selbst zu gestalten. Einige der Abendveranstaltungen werden bereits von den Studentinnen und Studenten der USI und SUPSI organisiert. Unser Departement arbeitet ausserdem im Rahmen der interessanten und beliebten Initiative Tour Vagabonde LaStraordinaria mit dem Verein Idra zusammen».

UNTERSCHWELLIGES MISSTRAUEN – Man hat jedoch nach wie vor manchmal den Eindruck, dass ein Teil der Bürgerinnen und Bürger (nämlich jener, der 1986 gegen die Gründung der Università della Svizzera italiana gestimmt hat) noch immer eine Art Misstrauen gegenüber der Universität und allem, was sie umgibt, hegt (die Universität wird von diesen Menschen als abstrakter und nutzloser Ort betrachtet, der mit hohen Kosten verbunden ist...). Wird dieser Eindruck auch von denen bestätigt, die die Stadt regieren? «Ich denke nicht, dass hier eine solche Feindseligkeit herrscht», antwortet Badaracco. «Heute kann sich wohl keine Luganesin und kein Luganese mehr eine Stadt ohne Universität vorstellen, mit deren Gründung die Entwicklung von Spitzeninstituten und -einrichtungen einhergegangen ist. Die USI und die SUPSI haben der Arbeitswelt in den letzten Jahren kräftige Impulse verliehen. Dies ist in einem Kanton wie unserem von entscheidender Bedeutung».

(Dieser Artikel wurde für die Rubrik Ticino Scienza geschrieben, die in der Tageszeitung LaRegione von Bellinzona veröffentlicht wird)