In China die erste Tessiner Anlage für Schwerkraftbatterien
zur Energiespeicherung
Seit Anfang Mai ist im chinesischen Landkreis Rudong eine hochmoderne Anlage in Betrieb, die von Energy Vault gebaut wurde, einem ehemaligen Start-up-Unternehmen aus Lugano, das heute an der Wall Street notiert ist und über Büros in Kalifornien verfügt.von Simone Pengue
Wenn es etwas gibt, was wir über den Übergang zur ökologischen Nachhaltigkeit lernen, dann ist es, dass sich Energie auf Batterie reimt. Wir kennen die Lithiumbatterien für Autos, Mobiltelefone und Computer, aber wir sind sicherlich weniger vertraut mit denen für Städte und Industrie. Nach Ansicht von Experten sind sie jedoch unverzichtbar, wenn wir Strom auf nachhaltige Weise erzeugen wollen, denn Sonnenkollektoren und Windräder produzieren unvorhersehbar und können Überschüsse erzeugen (oder umgekehrt, sie produzieren keine Energie, wenn sie gebraucht wird). Obwohl weniger populär, ist die Energiespeicherung ein ebenso komplexes Thema wie die Energieerzeugung. Um diese Herausforderung zu meistern, hat der chinesische Landkreis Rudong, der etwa 200 Kilometer nördlich von Shanghai liegt, eine Pioniertechnologie aus dem Tessin auserkoren. Rudong hat sich nämlich an Energy Vault gewandt, ein 2017 im Tessin gegründetes ehemaliges Start-up mit einem Büro in Lugano, einem Hauptsitz in Kalifornien und einer Börsennotierung an der Wall Street, das die sogenanntenSchwerkraftbatterien entwickelt hat, ein Energiespeichersystem auf der Basis von Gewichtsblöcken und Umlenkrollen, das erstmals in Castione-Arbedo getestet wurde.
Die Einweihung der Rudong-Anlage, die am 4. Mai stattfand, ist deshalb so interessant, weil es sich hierbei nach Angaben ihrer Erbauer um die grösste Schwerkraftbatterie der Welt handelt, die 100 MWh speichern und bis zu 25 MW Strom liefern kann. Übersetzt bedeutet dies, dass sie eine Stadt mit mehr als 5500 Haushalten (etwas weniger als die Stadt Mendrisio mit 7200 Haushalten) vier Stunden lang ohne Unterbrechung mit Strom versorgen kann. Die Anlage wurde bereits im Dezember 2023 an das lokale chinesische Stromnetz angeschlossen.
WIE SIE FUNKTIONIERT - Das Prinzip der Schwerkraftbatterie ist ganz einfach: Wenn die Windräder und Solarpaneele einen Überschuss an Strom produzieren, wird der überschüssige Strom, der sonst verschwendet würde, stattdessen zum Antrieb der Motoren an der Spitze der Energy Vault-Türme verwendet, die wiederum riesige Blöcke mit einem Gewicht von jeweils 25 Tonnen auf eine Höhe von 150 Metern heben, so hoch wie ein 50-stöckiges Gebäude. «Wenn das Netz zu einem späteren Zeitpunkt Strom benötigt, löst die Software die Bremse, so dass der Block beim Fallen die Generatoren antreibt und Strom erzeugt, wodurch sich die Batterie entlädt», erklärt Robert Piconi, der CEO des Unternehmens.
Robert Piconi, Vorstandsvorsitzender und CEO von Energy Vault Das Foto vergrössern
EIN SCHWER ZU HANDHABENDES NETZ - Strom wird in jedem Land über ein sehr kompliziertes Netz verteilt, das mit ständigen Schwankungen von Angebot und Nachfrage zurechtkommen muss. Wenn der erzeugte Strom der Nachfrage entspricht, läuft alles reibungslos. Werden hingegen mehr Glühbirnen und andere Geräte eingeschaltet, als die Kraftwerke verkraften können, kommt es zu einem Spannungsabfall und das Licht wird schwächer, wie man leicht erkennen kann. An diesem Punkt greifen je nach Ausmass und Dauer des Defizits verschiedene Kompensationsanlagen ein, wie Kondensatoren oder Hilfsgeneratoren. Weit weniger offensichtlich ist jedoch die Vorstellung, was passiert, wenn die Kraftwerke stattdessen mehr Energie liefern, als die Glühbirnen und andere Geräte (einschliesslich Industrieanlagen) nutzen können. Das ist kein geringfügiges Problem, denn wenn keine Gegenmassnahmen ergriffen werden, kommt es zu Stromausfällen und Netzschäden. «Wenn es einen Überschuss gibt, verkauft man die Energie zu einem negativen Preis, d.h. man bezahlt andere Länder, um sie zu kaufen, oder man stellt die Produktion ein, aber das ist nicht immer möglich», erklärt Maurizio Barbato, Professor an der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI) und Direktor des Instituts für Maschinenbau und Werkstofftechnik. «In der Vergangenheit trat das Problem vor allem bei Kernkraftwerken auf, die sowohl tagsüber, wenn die Nachfrage hoch ist, als auch nachts, wenn sie niedrig ist, immer mit konstanter Leistung produzierten». Die dritte, wünschenswerte Option ist die Speicherung von Energie während der Überproduktion und die schnelle Freigabe, wenn sie benötigt wird. «Die Energiespeicherung ist unerlässlich geworden, seit wir erneuerbare Energien haben und die Produktionskapazität nicht einmal saisonal steuern können», so Barbato weiter. «Die Stabilität des Übertragungsnetzes ist eines der grössten Probleme bei den erneuerbaren Energien».
In der Schweiz wird das Problem durch 17 grosse Wasserkraftwerke gelöst, in denen überschüssiger Strom verwendet wird, um Wasser flussaufwärts zu pumpen. Dieses System, das den Bedürfnissen eines Landes gerecht wird, in dem 75 % des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt, lässt kaum Platz für die Türme von Energy Vault. Aus diesem Grund hat sich das Unternehmen stets nach anderen Abnehmern umgesehen, die, einschliesslich anderer Speichersysteme wie riesiger Lithiumbatterien, über die ganze Welt verstreut sind und Australien, China, Indien, Südafrika und die Vereinigten Staaten mit einschliessen. Um sowohl die Schweizer Herkunft als auch die internationale Dimension zu betonen, stellt Robert Piconi klar: «Wir haben unseren Sitz von Lugano nach Kalifornien verlegt, weil wir das Unternehmen an die Wall Street, die New Yorker Börse, gebracht haben. Wir sind also ein US-amerikanisches Unternehmen, aber wir sind nach wie vor stark in der Schweiz vertreten, mit Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung». Die ersten Versuche mit diesem innovativen System wurden in der Anlage von Castione-Arbedo durchgeführt. Zu den Pionieren und Mitbegründern der Anlage gehört der Tessiner Ingenieur Andrea Pedretti, der in der Welt der erneuerbaren Energien dank seiner Erfahrung mit Synhelion bereits bekannt ist.
GEPLANTE NEUE ANLAGEN - Die Infrastruktur von Energy Vault, die so gewaltig ist, dass sie Landschaftsarchitekten die Nase rümpfen lässt, verlangt den Auftragnehmern erhebliche finanzielle Anstrengungen ab. «Unsere Projekte bewegen sich zwischen 75 und 200 Millionen Dollar», sagt Robert Piconi. Zu der Rudong-Anlage werden sich bald weitere Schwerkraftbatterien auf chinesischem Boden gesellen, mit einer Gesamtkapazität von nicht weniger als 3700 MWh. Zusammen mit einigen Grossaufträgen aus den USA, die auf Lithiumbatterien basieren, will das Unternehmen in naher Zukunft rund 700 Millionen Dollar einnehmen. «2025», sagt Robert Piconi, «wird unser erstes Jahr mit voller Rentabilität sein, denn in den Anfangsjahren eines Unternehmens investiert man immer in Forschung und Entwicklung».
EIN TÜCKISCHER MARKT - Trotz der ausgezeichneten Voraussetzungen und der grossen Zuversicht des Vorstandsvorsitzenden verliert die Energy Vault-Aktie an der Wall Street jedoch einen erheblichen Teil ihres Wertes und ist derzeit nur noch halb so viel wert wie noch vor einem Jahr.Warum passiert das ausgerechnet jetzt, wo das Unternehmen zu wachsen scheint? «Es scheint, dass der Markt», so spekuliert die australische Finanzanalyseseite Simply Wall Street, «eine Instabilität der Einnahmen erwartet, denn diese Bedingungen sollten dem Aktienkurs normalerweise Auftrieb verleihen».
Der Markt für nachhaltige Energiewerkzeuge ist sehr reichhaltig, aber auch heimtückisch und extrem wettbewerbsintensiv. Die Schwerkraftbatterie von Energy Vault mit ihrem bemerkenswerten Wirkungsgrad von 80 % fügt dem Mosaik der Technologien, die für die Abkehr von fossilen Brennstoffen erforderlich sind, einen bedeutenden Teil hinzu, da es derzeit nicht viele Möglichkeiten zur Speicherung grosser Energiemengen gibt. In Ermangelung von Wasserkraftwerken ist die einzige Alternative ein unterirdisches Druckluftsystem namens CAES, das weltweit nur in drei Anlagen in den USA, Deutschland und China eingesetzt wird. Professor Barbato erinnert uns daran, dass «es nicht nur eine Lösung für die Energiewende gibt. Es gibt keine einzelne Quelle und kein einzelnes Speichersystem, das sich gegenüber anderen durchsetzt. Es wird eine Mischung von Technologien geben».