Monoklonale Antikörper

Gegen Infektionskrankheiten auch die Immuntherapie: die neue Herausforderung in Bellinzona

Dienstag, 26. September 2023 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana
Computerrekonstruiertes Bild von Antikörpern (Foto Shutterstock)
Computerrekonstruiertes Bild von Antikörpern (Foto Shutterstock)

Erstmals im Tessin bringt die "Immunotherapy for Infectious Diseases Conference" internationale Experten zusammen und wird dieses Jahr vom Institut für biomedizinische Forschung (IRB) organisiert. Alternativen zu "klassischen" Medikamenten werden gesucht
von Simone Pengue

Ein wissenschaftlicher Anlass für Fachleute, aber auch eine Demonstration der lebendigen biomedizinischen Forschungslandschaft des Tessins. Die Rede ist von der Immunotherapy for Infectious Diseases Conference 2023 (dt. Konferenz über Immuntherapie bei Infektionskrankheiten), die vom 26. bis 29. September in Bellinzona im Bios+ stattfinden wird. Eröffnet wird die Konferenz von Mario Branda, Bürgermeister von Bellinzona, und Davide Robbiani, Direktor des Instituts für biomedizinische Forschung (IRB). Die Veranstaltung wird vom IRB selbst in Zusammenarbeit mit der Universität Pavia, der Technischen Universität Braunschweig (Deutschland) und dem Inserm (Institut national de la santé et de la recherche médicale, Frankreich) organisiert und findet bereits im dritten Jahr statt (das erste Mal im Tessin).

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Zwischen einem Seminar und einem Stück Pizza – das kurioserweise für den ersten Abend vorgesehene Menü - werden sich Ideen und Karrieren in Form von Kooperationen und Arbeitsmöglichkeiten kreuzen, denn, so verspricht Luca Varani, Leiter des Labors für Strukturbiologie am IRB und Mitorganisator der Konferenz,«es wird ein bewusst sehr informelles Treffen sein, um den Austausch von Informationen und Kontakten zu fördern».
Das Organisationskomitee hat sich für eine relativ kleine Teilnehmerzahl entschieden und die Registrierung auf 130 Experten aus verschiedenen Ländern begrenzt, um die soziale Dynamik zu fördern. Darüber hinaus unterscheidet sich diese Konferenz von anderen akademischen Konferenzen durch die starke Vertretung der Biotech-Industrie, die sowohl grosse Pharmaunternehmen als auch Start-ups umfasst. «Auf diese Weise», so Varani «werden die Wissenschaftler auch eine Reihe kommerzieller Aspekte in Betracht ziehen, und die Pharmaunternehmen werden ihrerseits sehen, was die öffentliche Forschung, die immer fortschrittlicher wird, leistet. Es ist auch eine Chance für Doktoranden, denn sie werden die Möglichkeit haben, mit wichtigen Persönlichkeiten aus Forschung und Industrie in Kontakt zu kommen und vielleicht wichtige Verbindungen für ihre Karriere zu knüpfen».

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich Bellinzona dank der Forschung des IRB und des onkologischen Forschungsinstituts IOR sowie erfolgreicher Neugründungen wie Humabs (heute Teil des US-Konzerns Vir) einen guten Ruf im Bereich der Immunologie erarbeitet. «Dass eine relativ kleine Stadt wie Bellinzona international bekannt ist für Wissenschaft auf hohem Niveau», sagt Varani, «darauf sind wir sehr stolz».

Unter den verschiedenen Zweigen der Immunologie, d.h. der Erforschung des Immunsystems, wird sich die Konferenz auf die mögliche Behandlung von Infektionskrankheiten (von den schwersten bis zur gewöhnlichen Grippe) mit monoklonalen Antikörpern und anderen“Instrumenten” der Immuntherapie konzentrieren: eine in gewisser Hinsicht neue Strategie in einem Bereich, der bisher von Antibiotika für bakterielle Infektionen und von antiviralen Medikamenten beherrscht wurde, deren Mechanismen sich von denen der monoklonalen Antikörper stark unterscheiden (bei denen es sich um Antikörper handelt, die denen ähneln, die der Organismus selbst produziert, die aber durch gentechnische Verfahren so verändert wurden, dass sie auf von den Forschern definierte Ziele ausgerichtet werden können). 

Wird der Organismus von äusseren Krankheitserregern wie Viren oder Bakterien befallen, produziert er in der Regel selbstständig Antikörper, um diese "Feinde" zu bekämpfen, und das Abwehrsystem speichert diese Begegnungen, um bei erneutem Bedarf schnell reagieren zu können. Manchmal erweist sich jedoch die Reaktion des Abwehrsystems aus verschiedenen Gründen als unzureichend oder verzögert, insbesondere bei älteren, schwachen oder immunsupprimierten Personen. In diesen Fällen können im Labor hergestellte Antikörper verabreicht werden, die das Virus angreifen (es wurden aber auch Versuche mit Bakterien, Prionen oder sogar pathogenen Pilzen wie Candida auris durchgeführt). «Medikamente auf der Grundlage monoklonaler Antikörper haben seit Covid viele Leben gerettet», so Varani. «In den letzten zwei Jahrzehnten hat diese Therapie in der klinischen Praxis immer mehr an Bedeutung gewonnen, auch wenn der medizinische Bereich, in dem monoklonale Antikörperstrategien am häufigsten eingesetzt werden, nach wie vor die Onkologie ist. Aber auch bei Infektionskrankheiten ist die Immuntherapie auf dem Vormarsch. Dies zeigt sich auch an den Umsätzen (mehrere Milliarden Dollar pro Jahr) der Pharmaunternehmen, die sich in diesem Bereich engagieren».

Auf der Konferenz werden abwechselnd etablierte Professoren und junge Forscher die neuesten Erkenntnisse auf diesem Gebiet vorstellen, das vor zwei grossen Herausforderungen steht. Die erste besteht darin, Antikörper zu entwickeln, die auch angesichts von Virusvariationen aktiv bleiben. «Bei Covid zum Beispiel», erklärt Varani «funktioniert das sechs Monate zuvor hergestellte Medikament nicht mehr, wenn eine neue Variante freigesetzt wird, und es müssen neue Arten von Antikörpern entwickelt werden, was viel Zeit und Ressourcen kostet. Die Herausforderung besteht darin, monoklonale Antikörper herzustellen, die von diesen Veränderungen der Krankheitserreger nicht betroffen sind. Um dies zu erreichen, stehen mehrere molekulartechnische Möglichkeiten zur Verfügung: Eine sehr vielversprechende besteht darin, mit so genannten bispezifischen Antikörpern zwei Ziele des Erregers gleichzeitig anzugreifen. Die Fähigkeit, an zwei verschiedenen Stellen anzugreifen, erhöht die Wirksamkeit, da es statistisch gesehen sehr unwahrscheinlich ist, dass sich das Virus an beiden Stellen, auf die der “duale” Antikörper gerichtet ist, verändert».

Die zweite Herausforderung besteht darin, die hohen Kosten für monoklonale Antikörpertherapien zu senken, die im Durchschnitt über 4.000 CHF pro Patient betragen. Diese biomedizinische Technologie erfordert nicht nur in der Forschungs- und Entwicklungsphase hohe Investitionen, sondern auch und vor allem dann, wenn das Medikament anschliessend im industriellen Massstab hergestellt wird. Die Verbilligung dieser Medikamente ist auch wichtig, um sie in weniger entwickelten Ländern einsetzen zu können, in denen Infektionskrankheiten häufiger vorkommen, gleichzeitig aber die Mittel für die Gesundheitsversorgung sehr begrenzt sind. In Gebieten in Äquatornähe sind beispielsweise Krankheiten wie Zika-Fieber, Dengue-Fieber oder Malaria endemisch, von denen jedes Jahr mehr als 600 Millionen Menschen betroffen sind. Die Bekämpfung dieser Krankheiten ist in erster Linie eine moralische Pflicht, aber auch eine Notwendigkeit, die weiter entfernte Länder betrifft, denn, wie Varani erinnert, «bei Covid haben wir gesehen, dass es in der heutigen Welt ein Leichtes ist, mit einer Infektionskrankheit aus einem Wald in Asien die ganze Welt zu infizieren».