Interview

Sehr “praktisch” und sensibel für die Probleme von Stadt und Unternehmen:die SUPSI-Forschung

Donnerstag, 13. Juli 2023 ca. 7 Minuten lesen In lingua italiana
Emanuele Carpanzano in den SUPSI-Labors auf dem Ost-Campus in Viganello (Foto von Marian Duven)
Emanuele Carpanzano in den SUPSI-Labors auf dem Ost-Campus in Viganello (Foto von Marian Duven)

Es spricht Emanuele Carpanzano, Direktor für Forschung und Entwicklung an der Fachhochschule Südschweiz. Vierhundert angelaufene Projekte, meist mit Tessiner Unternehmen und Institutionen
von Paolo Rossi Castelli

Von der Architektur bis zu Robotern, von der künstlichen Intelligenz bis zu Solarzellen, über die Krankenpflegeschule und sogar das Konservatorium...die Welt der SUPSI (Scuola Universitaria Professionale della Svizzera italiana) ist äusserst vielfältig - mit vier Standorten, drei angegliederten Schulen, vier Abteilungen und Tausenden von Studenten. Von aussen ist es schwierig, den "roten Faden" auszumachen, der vor allem die Forschungstätigkeiten verbindet (in denen bis zu 600 Personen beschäftigt sind): ein Fundus an Wissen und Erfahrung, der von Emanuele Carpanzano, dem Direktor für Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer (so lautet sein vollständiger Titel), "geleitet" wird. Der 53-jährige Carpanzano, der in Deutschland als Sohn italienischer Eltern geboren wurde, ein Studium der Elektrotechnik am Polytechnikum in Mailand absolvierte, und Erfahrungen in Schweden und den Niederlanden sammelte, verbindet eine sehr praktische Herangehensweise (als Ingenieur eben!) mit der Fähigkeit, sich Szenarien auszumalen - eine Eigenschaft, die man nicht oft findet... Seit Mai 2022 koordiniert er die Forschung an der SUPSI, wo er viele Jahre lang die Abteilung für innovative Technologien geleitet hat. Nach den ersten Monaten seiner Amtszeit hat er nun eine klare und "globale" Vision der Gegenwart und der Zukunft, und hat sich bereit erklärt, uns davon zu erzählen.

Was ist also der rote Faden, der die komplizierte SUPSI-Forschung zusammenhält?

"Es ist eigentlich einfach, das ’Bindeglied’ zu finden, das unsere Arbeit lenkt", antwortet Carpanzano, "trotz der grossen Vielfalt an Themen. Und das ist es: Bei der SUPSI befassen wir uns mit angewandter Forschung, d.h. mit der Art von Techniken und Studien, die es ermöglichen, reale Probleme anzugehen und zu lösen (die Probleme von Städten, Unternehmen, Institutionen usw.). Dies ist im Übrigen eine der Aufgaben, die den acht Fachhochschulen (FH) der Schweiz per Gesetz übertragen wurden. Die anderen Aufgaben der Fachhochschulen sind die Grundausbildung (Bachelor- und Masterstudiengänge), die Weiterbildung (Vertiefung der Kenntnisse und Spezialisierung der bereits Berufstätigen) und die Dienstleistungen für das Gebiet. An der SUPSI studieren etwa 6.000 Studenten in der Grundausbildung, 3.600 in der Weiterbildung und es gibt 400 Forschungsprojekte".

Echte Probleme sind natürlich auf bestimmte Situationen bezogen. Wie lässt sich diese ’Unordnung’ in eine kohärente Linie bringen?

"Unsere Projekte haben immer einen Auftraggeber. Es sind Unternehmen und Organisationen aus dem Tessin (in einigen Fällen auch aus anderen Kantonen), die sich mit ihren Anforderungen an uns wenden: zum Beispiel, wenn sie eine spezifische Innovation ihrer Produkte oder Dienstleistungen entwickeln müssen. Oft haben sie bereits einen Prototyp, der aber noch "getestet", verbessert und in grossem Massstab nutzbar gemacht werden muss. Hier bei der SUPSI verfügen wir in vielen Bereichen über die notwendigen Kompetenzen und Ausrüstungen, um diese Unternehmen zu unterstützen und zu begleiten.

Sie arbeiten also in gewisser Weise als hochrangige Berater und werden dafür (zu Recht) bezahlt?

"Es gibt natürlich verschiedene Arten von Kooperations- und Finanzierungsmodellen. Ein klassisches System ist jedoch dasjenige, bei dem das Unternehmen rund 50 % der Kosten direkt trägt und dann bei der Innosuisse (der Innovationsagentur des Bundes) einen Beitrag zur Finanzierung der Arbeiten der SUPSI-Forscher beantragt. In der Regel deckt die Innosuisse die Kosten für unsere Arbeit nicht vollständig ab, etwa 5 % davon müssen auf jeden Fall dem Unternehmen zugerechnet werden. Die SUPSI verfügt über keine eigenen Mittel zur Unterstützung von Projekten".

Über welche Mittel verfügt die Innosuisse auf nationaler Ebene?

"Nicht sehr umfangreiche, um ehrlich zu sein: 230 Millionen Franken pro Jahr, die an rund 350 innovative Projekte vergeben werden. Die im Jahr 2022 tatsächlich vergebenen Mittel beliefen sich auf 168 Millionen, wovon 86 Millionen an die acht Fachhochschulen gingen. Die Start-ups hingegen erhielten 9,5 Millionen aus einem Ad-hoc-Fonds".

Zugegeben, das sind keine hohen Beträge, wenn man bedenkt, dass der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF)jährlich rund 880 Millionen ausschüttet (Zahlen von 2021) und - aber der Vergleich hinkt, das ist mir klar - ein multinationales Unternehmen wie Novartis jedes Jahr 9 Milliarden (!) in Forschungsprojekte investiert...

"Stimmt, aber der Nationalfonds befasst sich mit der Grundlagenforschung, d.h. mit jener Art von Forschung (die übrigens sehr wichtig ist), die neues Wissen schafft, indem er Hypothesen über biologische, physikalische, chemische Phänomene usw. formuliert. Die angewandte Forschung hingegen folgt anderen Regeln und birgt ganz besondere Schwierigkeiten. Innovationsexperten haben den Begriff "Tal des Todes" geprägt, um den schwierigen Weg zu beschreiben, den die Projekte für neue Geräte, Instrumente, Maschinen (kurz gesagt, Projekte der angewandten Forschung) oft zurücklegen müssen: Sie werden in Labors erforscht, auf der Ebene einzelner Prototypen perfektioniert und müssen dann den Sprung schaffen, um tatsächlich in die Handelskette zu gelangen und produziert und verkauft zu werden. Hier greifen, wie gesagt, oft die Fachhochschulen ein, auch wenn die Finanzierungsquellen begrenzt sind: Neben Innosuisse helfen uns der Nationalfonds und dann auch das seit 2017 aktive Programm Bridge sowie weitere Geldgeber in unserem Gebiet, darunter der Kanton.

Ist das in anderen Ländern auch so?

"Ja, aber mit einigen Besonderheiten, die von Staat zu Staat variieren, wie in Israel, wo ein grosser Schwerpunkt auf angewandter Forschung und Start-ups liegt, oder in Deutschland, wo die Fachhochschulen (die technischen Schulen, die auch unsere FH inspiriert haben) aktiv sind und wo die Fraunhofer-Gesellschaft, die weltweit führende Organisation für anwendungsorientierte Forschung, sehr gut funktioniert. Insgesamt 23 000 Menschen arbeiten bei Fraunhofer, verteilt auf 58 Institute, mit einem Jahresbudget von rund 2 Milliarden Euro und Niederlassungen auch in den USA und China. Das Institut ist eng mit der Industrie, den Ländern und den Universitäten verbunden: ein interessantes Modell, das zum Nachahmen anregt".

Nehmen Sie auch EU-Mittel in Anspruch (oder haben solche in Anspruch genommen)?

"Für uns sind sie eine sehr wichtige Ressource. In dieser Hinsicht vertrauen wir darauf, dass die Schweiz bald neue Vereinbarungen mit der EU treffen wird, damit sie erneut als Mitgliedstaat teilnehmen kann (und nicht nur als Drittstaat, wie es heute der Fall ist, mit einigen daraus folgenden Einschränkungen)".

Sie sagten vorhin, dass es fast immer Unternehmen sind, die mit Ihnen Kontakt aufnehmen, um ihre Projekte zu entwickeln. Aber gibt es nicht auch Forschungsinitiativen, die direkt von der SUPSI initiiert werden?

"Natürlich gibt es auch Projekte, die auf unsere direkte Initiative zurückgehen, aber diese machen nur eine Minderheit aus: etwa 10 % der Gesamtzahl. Es handelt sich dabei um Projekte, die in technischer Hinsicht als ’technology pushes’ definiert werden, d.h. Projekte, die von uns ausgehen und die wir dann mit einem oder mehreren Partnern in diesem Bereich entwickeln wollen. In den allermeisten Fällen sind es Unternehmen, die sich an die SUPSI wenden, und zwar im Rahmen des so genannten "Market Pull". Jeden Tag erhalten wir Anfragen zur Zusammenarbeit in sehr unterschiedlichen Bereichen (Präzisionselektronik, Energiesysteme, Baumaterialien, Wirtschaft, Gesundheitswesen und andere). In diesen Fällen arbeiten wir als Anbieter von Fachwissen und Technologie".

Sind Sie mit den anderen Fachhochschulen vernetzt?

"Ja, aber vielleicht weniger, als es möglich und wünschenswert wäre. Das Ideal wäre es, sich mit der Zeit zu vernetzen und zu spezialisieren, so dass jede Fachhochschule Bereiche schaffen kann, in denen sie absolut herausragend ist, um sie über die Kantonsgrenzen hinaus den Unternehmen anzubieten, die sie brauchen, und dabei in einem zunehmend integrierten Netzwerk zu agieren. Wir arbeiten mit mehreren Initiativen in diese Richtung. Ein weiteres Ziel ist es, in Zukunft auch andere Forschungsakteure in dieses Netzwerk einzubeziehen, d.h. andere Organisationen und Unternehmen, die besonders innovativ sind, auch in transdisziplinären Bereichen, die verschiedene Sektoren (Technologie, Design, Wirtschaft, Gesundheit, Kunst) miteinander verbinden. Wir werden versuchen herauszufinden, was im Laufe der Zeit die beste ’Mischung’ sein wird".

(Dieser Artikel wurde für die Kolumne Ticino Scienza, der Bellinzoneser Tageszeitung LaRegione verfasst)

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