Forschung? Wichtig auch für die Fotografie und Ästhetik, so versichert das MASI
Ziehen wir gemeinsam mit MASI-Direktor Tobia Bezzola eine Bilanz der Ausstellung "Unseen colour", die am 16. Juli mit grossem Erfolg zu Ende ging. Umfangreiche Arbeiten haben die "Platten" des Fotografen Werner Bischof wieder zum Leben erwecktvon Paolo Rossi Castelli
Was bedeutet es, Forschung zu betreiben (insbesondere “technische” Forschung), wenn man in einem Museum arbeitet (und nicht in einem medizinischen oder chemischen Labor)? «Forschung ist für uns die langsame Annäherung an den Blick eines Künstlers», erklärt das Team, das zusammen mit dem MASI (Museo d’Arte della Svizzera italiana), die Materialien für die Ausstellung “Werner Bischof. Unseen Colour” kuratiert hat, die nun nach Monaten des grossen Erfolgs im LAC in Lugano zu Ende gegangen ist. - «Im Fall von Unseen Colour bestand das Ziel der Recherche darin, die visuelle Sprache, die Sprache der Bilder, wiederzuentdecken und zu rekonstruieren, die Bischof (der als einer der grössten Meister der Reportage des 20. Jahrhunderts gilt, Anm. d. Red.) zwischen 1939 und 1949 mit einer besonders raffinierten, seltenen und sehr teuren Kamera, der Devin Tri-Colour, für die Schweizer Zeitschrift "Du" aufgenommen hatte (ein "experimentelles" Gerät, das schon lange nicht mehr existiert)"».
Es brauchte Monate des Ausprobierens und Studierens, um die Farbbilder aus den Hunderten von Schwarz-Weiss-Negativen (auf Glas) im Format 6,5 x 9 Zentimeter zu "extrahieren", die mit dieser Kamera aufgenommen wurden und jahrzehntelang im Archiv des Fotografen in Zürich "vergraben" waren. Und das Ergebnis hat sowohl das Publikum als auch die Kritiker positiv überrascht - auch die der grossen internationalen Zeitungen, wie der Financial Times und des Guardian, die der Ausstellung viel Platz widmeten.
Aber wie war es möglich, aus Schwarz-Weiss-Negativen schöne, elegante Farbfotos zu machen? Genau hier kam die technische Forschung zum Einsatz ...
«Wenn Bischof ein Foto mit der Devin Tri-Colour aufnahm», fährt das Team (bestehend aus Marco Bischof, dem Sohn des Fotografen, Ursula Heidelberger und Rolph Veragut) fort, «wurde das Bild dank einer speziellen Optik gleichzeitig auf drei Glasplatten gepresst, von denen jede nur eine einzige Farbe (rot, grün, blau) durch einen Filter passieren liess». Mit anderen Worten: Die drei Schwarz-Weiss-Negative haben jeweils nur die rote, grüne oder blaue Komponente des durch das Objektiv einfallenden Lichts "aufgezeichnet". Für den Druck des Bildes wurde dann das umgekehrte Verfahren angewandt, bei dem die drei "Seelen" des Lichts mit komplizierten Techniken, die heute nicht mehr verwendet werden, neu zusammengesetzt wurden, so dass ein sehr feines Farbbild entstand.
«Für jedes im LAC ausgestellte Bild,» erklärt das Team, «musste die richtige Reihenfolge der drei Platten rekonstruiert und die passende Kombination gefunden werden. Dann wurden die Negative gescannt, und schliesslich erschienen die ersten Farbbilder, aber sie waren extrem gesättigt und grenzten an Kitsch. War das wirklich das Ergebnis, nach dem Bischof gesucht hatte? Erst nach sehr vielen Stunden und Dutzenden von Tests kamen wir zu Fotos mit beeindruckender Schärfe und grosser Farbreinheit».
Besonders eindrucksvoll sind die Aufnahmen einiger deutscher Städte, die noch in Trümmern liegen und die Bischof 1946 fotografierte: Bilder, die teilweise dramatisch, aber von absoluter formaler Schönheit sind.
«Marco Bischof, den ich seit langem kenne», sagt Tobia Bezzola, Direktor des MASI, «hatte mir 2018 von diesen Negativen erzählt. Sie befanden sich im riesigen Archiv seines Vaters, aber die Familie selbst wusste nicht genau, worum es sich dabei handelte. Denn in den 1930er und 1940er Jahren wurde im Fotojournalismus kaum Farbe verwendet, sondern praktisch nur Schwarz-Weiss. Alle Farbbilder wurden direkt von den Verlagen der Illustrierten oder den Werbeagenturen, die sie in Auftrag gegeben hatten, bearbeitet und gedruckt».
Sie haben also mit der Familie Bischof zusammengearbeitet ...
«Ja, wir hatten mehrmals gemeinsam über eine mögliche Ausstellung mit den Bildern von Werner Bischof gesprochen, aber wir wollten uns nicht auf die klassischen Bilder konzentrieren, die bereits sehr bekannt waren und von der Agentur Magnum in Paris, für die er gearbeitet hatte, verbreitet wurden. Als wir uns dann den Glasnegativen zuwandten, die in gewisser Weise "geheimnisvoll" waren, entstand die Idee der Restaurierung und damit die Suche nach dieser besonderen Farbsprache ».
Welche anderen Situationen gibt es, in denen abgesehen von solchen "aussergewöhnlichen" Arbeiten in einem Museum wie dem MASI "technische" Forschung zum Einsatz kommt?
«Das Museum ist wie ein Eisberg. Wer die Ausstellungen besucht, sieht nur die Spitze einer Tätigkeit, die auch in vielen anderen Bereichen zum Ausdruck kommt: Forschung, Dokumentation, Restaurierung. Kein Werk im Museum wird berührt oder bewegt, ohne dass die Abteilung für Konservierung und Restaurierung einbezogen wird, die im MASI von Sara De Bernardinis geleitet wird und vier ständige Mitarbeiter umfasst».
Welchen Eindruck haben Sie von Werner Bischof durch den direkten Kontakt mit so besonderen Bildern gewonnen?
«Bischof war von einem starken inneren Impuls getrieben, weshalb er sich entschloss, in die von Bomben zerstörten deutschen Städte zu gehen. Doch er bewegte sich wie die anderen Fotografen der Agentur Magnum: Ihre Aufgabe war es, ständig herumzureisen, um die wichtigsten Ereignisse in der Welt zu dokumentieren. Nur von Zeit zu Zeit kehrten die Magnum-Fotografen für ein paar Tage in die Pariser Zentrale zurück, um zu sehen, was zu tun war.... Dann brachen sie sofort wieder auf. Das Mediensystem war im Vergleich zu heute völlig anders. Zeitungen und Agenturen waren "hungrig" nach Bildern (Fernsehen gab es noch nicht...) und schickten die Fotografen direkt an den Ort des Geschehens».
Bischof war Schweizer und studierte Fotografie an der wichtigsten Schule seiner Zeit, der Kunstgewerbeschule in Zürich. Welche Spuren hat dieser Werdegang bei ihm hinterlassen?
«Bischof hatte eine starke künstlerische Berufung, auch wenn die Fotografie damals Teil der Grafik- und Designausbildung war. Es war kein Traum von Kunst, sondern ein Beruf, der in der Regel nicht reich machte, aber dennoch erlaubte, zu reisen und die Welt kennenzulernen (ein "Privileg", das damals viel schwerer zu erlangen war als heute). Die Kunstgewerbeschule in Zürich war in den 1930er Jahren eine der ersten fotografischen Einrichtungen in der Schweiz, die von Leuten gegründet wurde, die die Erfahrungen der Bauhausschule mitbrachten (der berühmten Schule, die in Deutschland von Walter Gropius und anderen grossen Architekten gegründet wurde, Anm. der Red.). Man lernte dort vor allem das Fotografieren von Atelierobjekten, Lampen und so weiter. Das war die gemeinsame Ausbildung einer ganzen Generation von Schweizer Fotografen, und dort, in dieser Schule in Zürich, wurde sozusagen die "schweizerische" Sprache der Fotografie geprägt. Dann aber verspürte Bischof auch das Bedürfnis, Menschen, das Leben zu fotografieren, und er ging in die Kriegsstädte, dann nach Indochina und an viele andere Orte, bis zu seinem Tod, im Alter von nur 38 Jahren, in Peru. Er war kein Abenteurer wie Ernest Hemingway und vielleicht auch nicht wie Robert Capa (einer der Gründer von Magnum). Als er das erste Mal beschloss zu gehen, schrieb er an seinen Vater: "Verzeih mir. Ich kann nicht länger schöne Schuhe und kostbare Stoffe fotografieren. Ich bin ein Mensch"».
Foto von Chiara Micci / Garbani Schau in die Galerie (9 foto)