Entnahme von Kohlendioxid aus der Luft zur Herstellung von Treibstoff?Klingt seltsam, ist aber möglich
Die Anlage zur Gewinnung von Synthesegas aus Sonnenlicht, die von dem ETH-Spin-off Synhelion (mit Sitz im Tessin) im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Jülich getestet wurde, liefert positive Ergebnissevon Michela Perrone
Eine Herausforderung wie aus einem Science-Fiction-Film: in der Luft enthaltenes Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O) mithilfe von Sonnenenergie in einen Kohlenwasserstoff (eine wie Benzin aus Kohlen- und Wasserstoff bestehende Verbindung) umzuwandeln. Das ist leicht gesagt, aber sehr schwer umzusetzen.
Weltweit versuchen sich zahlreiche Forschungsgruppen in der Entwicklung sogenannter synthetischer Kraftstoffe. Auch Synhelion, ein ETH-Spin-off mit Sitz in Lugano sowie einem Betriebsbüro in Zürich und einer Prototyp-Anlage in Deutschland, hat sich dieser Herausforderung gestellt. Die ersten Versuche waren erfolgreich und ermöglichten es dem Unternehmen Synhelion, Synthesegas zu erzeugen, das in flüssigen Kraftstoff umgewandelt werden kann.
In den vergangenen Monaten unterzeichnete das Tessiner Unternehmen eine wichtige Vereinbarung mit der zur Lufthansa-Gruppe gehörenden Swiss International Air Lines: Die Maschinen der Fluggesellschaft werden die ersten sein, die mit dem „Solartreibstoff“ angetrieben werden, sobald er in grösserem Massstab produziert wird.
«Nicht jeder weiss, dass man durch die Kombination von Kohlendioxid und Wasser Kraftstoffe herstellen kann, die mit den herkömmlichen Kraftstoffen nahezu gleichgesetzt werden können», erklärt Gianluca Ambrosetti, der zusammen mit Philipp Furler Geschäftsführer und Gründer von Synhelion ist. «Wenn das bei der Verbrennung freigesetzte Kohlendioxid ebenfalls abgefangen und mit dem gleichen Zeitaufwand und in gleichem Umfang in neuen Treibstoff umgewandelt wird, entsteht ein völlig neutraler Kreislauf ohne zusätzliche Emissionen.» Die Anlage des Unternehmens Synhelion verfügt über keinen Schornstein: Es werden keine Emissionen in die Atmosphäre abgegeben.
«Synthetische Treibstoffe werden seit den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts erforscht», kommentiert Professor Maurizio Barbato, Experte für erneuerbare Energien und vorläufiger Leiter des Instituts für Maschinenbau und Werkstofftechnik am Departement für innovative Technologien der SUPSI. «Es handelt sich um einen sehr interessanten Forschungszweig, da diese Art von Treibstoff eine Null-Bilanz in Sachen Umweltbelastung ermöglicht: Das für seine Herstellung erforderliche Kohlendioxid wird nämlich aus der Atmosphäre entnommen, ohne dass zusätzliches Kohlendioxid freigesetzt wird.»
Aufgrund dieser Eigenschaft ist seit einigen Jahren vermehrt von nachhaltigen Kraftstoffen die Rede. Heute ist diese Technologie angesichts der anhaltenden Energiekrise insbesondere - aber nicht ausschliesslich – für den Luft- und Schiffsverkehr attraktiv: «In den letzten Jahren wurde uns bewusst, dass die Idee der 100-prozentigen Elektrifizierung des Verkehrs nicht realisierbar ist», so Barbato. «In Europa gibt es etwa 250 Millionen Autos, von denen nur 1,2 Millionen Elektroautos sind. Im Jahr 2030 wird der Anteil der Elektrofahrzeuge – sowohl vollelektrischer als auch hybrider Fahrzeuge - voraussichtlich rund 25 Prozent betragen. Es wird also immer noch 180 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor geben.» Der Einsatz eines aus vorhandenen natürlichen Ressourcen gewonnenen Kraftstoffs für den Antrieb dieser Fahrzeuge wird erhebliche Kosteneinsparungen ermöglichen.
Trotz des grossen Interesses an nachhaltigen Kraftstoffen ist es ein steiniger Weg: «Im Moment ist die Technologie zwar noch nicht kosteneffizient, wird es aber wahrscheinlich in Zukunft sein», erklärt Barbato. «Ausserdem muss jedes Start-up das sogenannte Death Valley bzw. Tal des Todes durchschreiten, das zwischen der Idee und dem Markt liegt: Es kommt vor, dass die Idee zwar gut ist, aber nicht umgesetzt werden kann, weil es technische Beschränkungen gibt oder die Zeit noch nicht reif ist.»
Synhelion versucht, diese schwierige Phase zu überstehen: ein schwieriges Unterfangen, doch Gianluca Ambrosetti und Philipp Furler sind voller Optimismus, wie man es auch sein muss, wenn man sich auf ein solches Abenteuer einlässt. «Mittlerweile kann man Synhelion als Start-up-Unternehmen bezeichnen. In den ersten Jahren handelte es sich jedoch um eine Projektgesellschaft bzw. funktionale Einheit, die an einem Forschungsprojekt arbeitete», schmunzelt Ambrosetti. «Heute beschäftigt unser Unternehmen etwa vierzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist in verschiedene Bereiche gegliedert».
Die Gründung des Unternehmens im Jahr 2016 war dank der Kombination verschiedener Faktoren möglich: «Menschen mit fundiertem technischem Know-how, einige an der Technologie sehr interessierte Investoren sowie ein Industriepartner wie Eni», fasst der CEO des Unternehmens zusammen.
Der Anfang war relativ unkompliziert, doch dann kam der schwierige Moment: «Die Energiewende ist ein Grabenkampf», erläutert Ambrosetti. «Es braucht viel Zeit und enorme Investitionen, bis man Ergebnisse sieht. In den Jahren 2020 und 2021 mussten wir uns inmitten der Corona-Pandemie refinanzieren, was sich als äusserst schwierig erwies. Wir mussten „durchstarten“ und neue Investoren von unserer Idee überzeugen».
DIE PROTOTYP-ANLAGE - Zurzeit testet Synhelion - unter anderem dank der Unterstützung der deutschen Regierung - die Prototyp-Anlage im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Jülich, Nordrhein-Westfalen. «Anschliessend werden wir uns nach Spanien begeben, wo uns eine höhere Anzahl an Sonnentagen erwartet», erklärt Ambrosetti.
Die Jülicher Anlage befindet sich auf einem Feld mit Hunderten von Spiegeln und einer Spiegelfläche von insgesamt 1.500 Quadratmetern, die von einem 20 Meter hohen Turm überragt wird. Die beweglichen Spiegel haben die Aufgabe, die Sonnenenergie auf einen bestimmten Punkt am Turm zu lenken, an dem sich ein spezieller „Receiver“ befindet, der von den Ingenieuren des Unternehmens Synhelion entwickelt wurde. Das zugrunde liegende Prinzip ist das gleiche wie das, wonach man als Kind mithilfe einer Lupe ein Feuer entfacht: Wenn die Sonneneinstrahlung auf einen bestimmten Punkt konzentriert wird, erhöht sich die Temperatur und kann in Verbindung mit brennbarem Material ein Feuer entfachen.
Die Anlage des Unternehmens Synhelion dient natürlich einem ganz anderen Zweck: Hochtemperatur-Wärme (1.200 °C und mehr) zu erzeugen, um die für die Herstellung des synthetischen Treibstoffs erforderlichen thermochemischen Prozesse anzutreiben.
«Das Projekt von Synhelion ist deshalb von besonderem Interesse, weil es dem Unternehmen weltweit erstmals gelungen ist, mit dem Solar-Receiver höhere Temperaturen als je zuvor zu erreichen», so Barbato. «Die Tatsache, dass das Unternehmen nun ein Pilotprojekt betreibt, bedeutet zudem einen grossen Wettbewerbsvorteil.» Das Herzstück der Anlage, der Solar-Receiver, wurde in Zusammenarbeit mit der von Barbato geleiteten Forschungsgruppe entwickelt: «Wir kümmerten uns um die strömungs- und thermodynamischen Aspekte und lieferten dem Unternehmen eine Reihe technischer Daten, die für die Entwicklung des Receivers benötigt wurden. Auch dieses Forschungsprojekt wurde vom Bundesamt für Energie finanziert».
DIE VEREINBARUNGEN - Nachdem die schwierigsten Monate überstanden waren, wurden die Leistungen des Unternehmens anerkannt: Ende 2021 sammelte Synhelion in seiner Finanzierungsrunde 16 Millionen Schweizer Franken ein (auch Unternehmen wie die AMAG, die die Exklusivrechte für den Verkauf von Fahrzeugen der Marken Volkswagen und Audi in der Schweiz besitzt, haben an das Projekt geglaubt). Hinzu kamen knapp 4 Millionen Euro vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie 22 Millionen Schweizer Franken aus der neuen Finanzierungsrunde, die im November 2022 abgeschlossen wurde und an der sich auch die Swiss International Air Lines beteiligte. Die Geldmittel sollen für die Fertigstellung der Prototyp-Anlage in Deutschland verwendet werden.
Im Sommer erhielt das Unternehmen ausserdem Fördermittel zur Weiterentwicklung der Hochtemperatur-Technologie für die Solarstromspeicherung von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse.
«Unser Ziel ist es, skalierbare und wirtschaftliche Lösungen zu erarbeiten», resümiert Ambrosetti. «Die thermische Methode ist leicht skalierbar. Ausserdem kostet die Wärmespeicherung mindestens zehnmal weniger als die zur Speicherung von elektrischer Energie benötigten Batterien».
Die Partnerschaft mit der Schweizer Fluggesellschaft Swiss soll nächstes Jahr beginnen: «Die Luftfahrt ist ein attraktiver Markt, der zum jetzigen Zeitpunkt nicht elektrifiziert werden kann», erklärt Ambrosetti. «Unser Treibstoff erfordert keinerlei mechanische Anpassungen, was für unsere Partner einen entscheidenden Vorteil darstellt.» Das von der AMAG an diesem Projekt bekundete Interesse deutet jedoch darauf hin, dass auch die Automobilbranche in nicht allzu ferner Zukunft Absatzmöglichkeiten bieten könnte.