COMPUTER-BIOLOGIE

Künstliche Intelligenz für die Entdeckung der verborgenen «Wege» des Organismus

Freitag, 13. Dezember 2019 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

Die Zeitschrift Science Advances veröffentlicht die Arbeit von Diego Pizzagalli, einem jungen Forscher an der USI, Rolf Krause (Leiter des Instituts für Wissenschaftliches Rechnen) und Santiago González (IRB)
von Elisa Buson

Ein dichter Wald aus verwobenen, zum Grossteil noch unerforschten Wegen: Das ist das Bild, das den menschlichen Körper am treffendsten darstellt. Zellen und Moleküle sind wie zwischen den Zweigen versteckte Dörfer, die über häufig unsichtbare Wege miteinander verbunden sind. Genau diese gilt es zu entdecken, um besser zu verstehen, was in ihrem Inneren vor sich geht und was falsch läuft, wenn Krankheiten auftreten. Nur so kann man verstehen, welche aufständischen Zellen riskieren, tumorale Metastasen zu generieren und folglich mit einer gezielten Therapie angegriffen werden müssen: Eine grundlegende Prämisse, um der Präzisionsmedizin der Zukunft die Pforten zu öffnen.

Das Unterfangen ist alles andere als leicht, aber einen neuen und massgeblichen Beitrag kann die künstliche Intelligenz leisten, die im Mittelpunkt einer Studie steht, die in der Zeitschrift Science Advances veröffentlicht wurde. Die Autoren sind Diego Pizzagalli, ein junger Forscher an der Università della Svizzera italiana (USI), Rolf Krause, Leiter des Instituts für Wissenschaftliches Rechnen an der USI, und Santiago González, Leiter des Labors «Infection and Immunity» im Institut für Biomedizinische Forschung (IRB) in Bellinzona.

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Die Idee entstand vor drei Jahren, als sich Pizzagalli zur Entwicklung eines neuen Systems künstlicher Intelligenz entschloss, das ihm bei der mikroskopischen Analyse weisser Blutkörperchen helfen sollte, um die Forschungen seines Doktorats voranzutreiben, unterstützt von «The Swiss Initiative in Systems Biology». Was ein reines Arbeitstool werden sollte, erwies sich dann als derart effizient, um zur Auswertung verschiedener biometrischer Daten von Patienten und aus biologischen Proben herangezogen zu werden mit Anwendungen, die zu immer stärker personalisierten Diagnosen und Therapien im Bereich der Onkologie, Immunologie und Kardiologie führen könnten.

«Der menschliche Körper ist ein hochgradig komplexes System und die Methoden künstlicher Intelligenz sind zur Entdeckung seiner Funktionsweise unerlässlich – erzählt Pizzagalli. – Viele Leute sehen den Computer wie einen Zauberer, der alle Probleme lösen kann, andere hingegen würden ihn gerne wie einen Sklaven nutzen, an den man die besonders schwere und grobe Arbeit delegieren kann. Mit unserem System künstlicher Intelligenz hingegen wird der Computer ein Teil des Teams, ein wertvoller Mitarbeiter, mit dem man die komplexesten biometrischen Daten am besten auswerten kann.»

Ängste und Misstrauen sind unbegründet: Der Mensch wird nicht ersetzt, im Gegenteil, seine Leitung bleibt unverzichtbar. «Wir sind wie die Handwerker – so der Forscher – denn um ein System zum Laufen zu bringen, braucht es mehr als nur einen Klick: Es braucht vor allem viel Übung.» Das künstliche Superhirn muss schliesslich trainiert werden, indem wir es mit all dem füttern, was wir über die Mechanismen, welche die Funktionsweise unseres Organismus steuern, bereits wissen. «Wenn wir ihm sagen, dass Punkt A über C und D mit B verbunden ist, speichert es der Computer und zieht es bei der Entdeckung mit ein, ob es andere Verbindungen zwischen den Punkten gibt, die wir nicht sehen können. Diese Verbindungen sind wichtig, um zu verstehen, ob es untereinander ähnliche Gruppen der Punkte gibt.» – fügt Pizzagalli hinzu. Worum handelt es sich bei diesen Punkten genau? «Sie sind ein abstraktes Konzept und können alles Mögliche darstellen. Im Bereich der Biomedizin kann es sich um verschiedene Personen, Zellen oder sogar Herzschläge handeln.» Anhand eines Elektrokardiogramms, das in einer halben Stunde an einem besonders problematischen Patienten aufgezeichnet wurde, hat die künstliche Intelligenz ihr ganzes Können bewiesen: Es genügte, ihr schon, ein paar normale und von der Norm abweichende Herzschläge aufzuzeigen, um weitere Arten von Herzrhythmusstörungen zu erkennen. «Das System benötigt keine grossen Datenmengen, ihm genügen schon wenige: Das ist ein wichtiger Vorteil, da nicht alle Bereiche der Biomedizin auf grosse Datenbanken zurückgreifen können.»

Laut Pizzagalli wird genau die wissenschaftliche Forschung als erste von dieser Innovation profitieren, um bei der Erforschung von Krankheiten wie Tumoren den «Turbo» zu zünden. «Wir haben unsere künstliche Intelligenz auf die Probe gestellt und sie das genetische Profil von 39 Patienten untersuchen lassen, die von drei verschiedenen Arten Leukämie betroffen sind. Letztendlich ist es ihr gelungen, sie zu erkennen und zu unterscheiden – bemerkt Pizzagalli. – Keine einfache Aufgabe, da es darum ging, hochkomplexe Daten mit vielen Parametern zu untersuchen: ganze 9.999 Gene.» Der Erfolg in diesem Fall gibt Anlass zur Hoffnung: Er könnte den Weg zur sogenannten «digitalen Krankheit» ebnen, ein (nicht allzu weit entferntes) Szenario, in dem «das menschliche Auge, das die Bilder langsam unter dem Mikroskop analysiert, durch Rechner ersetzt wird, die das automatisch machen, um zuverlässigere und schnellere Diagnosen zu stellen, stets jedoch unter Aufsicht des Menschen.» Vielleicht werden wir dem Computer nicht mehr so misstrauisch begegnen, wenn sie beginnen, Leben zu retten.

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