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Die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen durch “Recycling” von Kohlendioxidist auch eine Tessiner Herausforderung

Dienstag, 14. November 2023 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana
(Foto der Agentur Shutterstock)
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Die SUPSI ist Teil des Forschungskonsortiums Refuel.ch, das vom Bundesamt für Energie erhebliche Mittel für die Entwicklung von CO2-freien Kraftstoffen, hauptsächlich für Flugzeuge und Schiffe, erhalten hat
von Simone Pengue

Auf die Frage “Sind Sie ein Optimist?” antwortet er mit einem desillusionierten Lächeln: «Ich habe drei Töchter», so als wollte er sagen: «Als Wissenschaftler kann ich nicht, aber als Vater muss ich». Wir sprechen, leider, über den Klimawandel und der Gesprächspartner ist Maurizio Barbato, Professor an der SUPSI und amtierender Direktor des Instituts für Maschinenbau und Werkstofftechnik (MEMTi). Die SUPSI und das Tessin übernehmen die Führung im Kampf für die Umwelt und stellen zwei Labors im Rahmen des Forschungskonsortiums Refuel.ch (Renewable Fuels and Chemicals for Switzerland, zu Deutsch “Erneuerbare Kraftstoffe und Chemikalien für die Schweiz”), das soeben grünes Licht vom Förderprogramm SWEET (SWiss Energy research for the Energy Transition) des Bundesamtes für Energie (BFE) erhalten hat. Das Konsortium aus Schweizer Instituten, Unternehmen und Institutionen hat sich zum Ziel gesetzt, synthetische Kraftstoffe mit Netto-Null-Emissionen zu entwickeln, indem es CO2 (Kohlendioxid), das als Abfallstoff in anderen Prozessen entsteht, wiederverwertet. Dabei handelt es sich nicht um grundlegende oder abstrakte Studien, sondern um solide Feldversuche. «Das Projekt will sich nicht mit flüchtiger Forschung als Selbstzweck von der Realität abkoppeln, sondern ergebnisorientiert bleiben», betont Maurizio Barbato.

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Refuel.ch erhält 17,6 Millionen Franken, davon 15 Millionen Franken von SWEET, um mitzuhelfen das Ziel der Energiestrategie 2050 zu erreichen, bis 2050 70 % des Gesamtverbrauchs durch umweltfreundliche Kraftstoffe zu ersetzen. Obwohl es sich um eine wichtige Investition handelt, ist der Direktor von MEMTi der Meinung, dass «dieses Geld leider nicht ausreicht. Vielleicht hat man noch nicht begriffen, dass wir in Bezug auf das Klima so sehr im Hintertreffen sind, dass wir die Investitionen mindestens verzehnfachen müssen». In dem von der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (EMPA) geleiteten Konsortium werden während sieben Jahren nicht weniger als acht Institutionen zusammenarbeiten, darunter die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen EPFL und ETH, das Paul Scherrer Institut, die Universität Basel und die Fachhochschulen der Nordwestschweiz FHNW, Zürich ZHAW und der italienischen Schweiz sowie das Tessiner Unternehmen Casale SA.

FORSCHUNG SEIT FAST EINEM JAHRHUNDERT - Synthetische Kraftstoffe - d. h. nicht aus Erdöl, sondern aus synthetischen chemischen Reaktionen gewonnen - sind keineswegs neu, sondern seit fast einem Jahrhundert bekannt. Nazi-Deutschland beispielsweise stellte sie her, um das Ölembargo der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs zu umgehen. Dazu verwendete das Dritte Reich Kohle, ohne die ökologischen Folgen dieser Technik zu bedenken. Das Problem ist, dass für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe Energie eingesetzt werden muss: «Im Grunde», erklärt Barbato, «ist der Prozess, den man durchführt, die Umkehrung der Verbrennung». Die Herausforderung von Refuel.ch besteht darin, sie mit Netto-Null-CO2-Emissionen zu produzieren, d.h. ohne jemals fossile Brennstoffe entlang der Lieferkette zu verbrauchen. Der erste Schritt ist die Herstellung von Methanol, einem Alkohol (bestehend aus Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Sauerstoffatomen), der dann in Kraftstoff oder Kunststoff umgewandelt werden kann. Chemisch gesehen benötigt der Prozess zwei “Hauptzutaten”: Kohlendioxid (bestehend aus Kohlenstoff und Sauerstoff) und Wasserstoff. Das Projekt Refuel.ch zielt darauf ab, Kohlendioxid aus erneuerbaren Abfallquellen wie Biomasse oder aus Verbrennungsanlagen zu gewinnen. Um Wasserstoff zu gewinnen, muss Wasser gespalten werden, was zwangsläufig mit Energieaufwand verbunden ist. Das Konsortium will diese Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wasserkraftwerken oder Sonnenkollektoren gewinnen und dabei den zu bestimmten Tageszeiten erzeugten Stromüberschuss nutzen. Das Verfahren hat sich in früheren Laborexperimenten bereits als erfolgreich erwiesen, muss nun aber für die reale Anwendung sorgfältig optimiert und ingenieurmässig ausgearbeitet werden.

AUFGABENAUFTEILUNG - Die an Refuel.ch beteiligten Forschenden haben ihre Aufgaben entsprechend ihrer Spezialisierung aufgeteilt und arbeiten auf nationaler Ebene synergetisch zusammen. Die Kompetenzen der SUPSI-Forschungsgruppen unter der Leitung von Maurizio Barbato und Giovanni Maria Pavan beziehen sich auf rechnergestützte Analysen, die eine detaillierte Untersuchung der besten Bedingungen für verschiedene chemische Prozesse ermöglichen. Ihre Aufgabe ist es, sich in Simulationen auf Materialien, Formen und Grössen von Katalysatoren und Reaktoren zu konzentrieren, um den gesamten Prozess effizient zu gestalten. Die erste Phase des Projekts wird sich auf Laborexperimente und rechnerische Analysen stützen, aber in der zweiten Phase soll das Erforschte in die Praxis umgesetzt werden, wobei auch Institutionen und Unternehmen des Gebiets einbezogen werden. Im Rahmen des Pilotprojekts im Tessin wird die SUPSI mit lokalen Partnern wie der Azienda Multiservizi di Bellinzona AMB, der Ingenieurberatungsgesellschaft IFEC in Rivera und der Abteilung Umwelt des Departements für Territorium des Kantons Tessin zusammenarbeiten. Bei dem Experiment wird versucht, synthetische Kraftstoffe mit einer Versorgungskette von null Kilometern zu produzieren: Die Energie für die Herstellung von Wasserstoff wird von Sonnenkollektoren auf unseren Bergen geliefert, während das CO2 aus einer Kläranlage oder einer Verbrennungsanlage stammt.

FLUGZEUGE, SCHIFFE, ABER AUCH AUTOS - Obwohl die umweltfreundlichen synthetischen Kraftstoffe in erster Linie für die Schifffahrt und die Luft- und Raumfahrt bestimmt sind, weil sie keine elektrischen Alternativen verwenden können, ist der Automobilmarkt ebenso bedeutend. Trotz der stetigen Zunahme von Elektroautos ist die Verbreitung von Benzin und Diesel sehr ausgeprägt und wird durch ein effizientes Vertriebsnetz unterstützt, das für umweltfreundliche Kraftstoffe genutzt werden kann. Ausserdem ist es nicht notwendig, eine Technologie, nämlich den Verbrennungsmotor, umzurüsten, der bereits mit rund einer Milliarde Fahrzeugen auf der Welt vertreten ist.
Synthetische Kraftstoffe, die heute etwa viermal so viel kosten wie Kraftstoffe auf Erdölbasis, werden voraussichtlich bis 2040 wettbewerbsfähige Preise erreichen, die bei etwa einem Franken pro Liter auf dem Grosshandelsmarkt liegen.

Die Forschungsarbeiten von Refuel.ch werden auch soziale, wirtschaftliche und politische Studien umfassen, um zu verstehen, wie die Verbreitung von synthetischen Kraftstoffen in der industriellen Praxis auf nationaler und internationaler Ebene gefördert werden kann. Energie ist nämlich auch ein wichtiges wirtschaftliches und geopolitisches Thema, wie die Beteiligung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL) und des Bundesamtes für Rüstung armasuisse an der Unterstützung des Projekts zeigt. In der Gesamtbetrachtung gesteht Maurizio Barbato: «Ich befürchte, dass es zu einer Verknappung des Rohstoffs Wasserstoff kommen könnte, der in grossen Mengen produziert werden muss». Am besten geeignet für diese Tätigkeit sind Regionen mit viel Sonnenschein: insbesondere Nordafrika und die arabische Halbinsel. Aus diesem Grund ist es unwahrscheinlich, dass die Schweiz bei der Produktion von umweltverträglichen synthetischen Kraftstoffen autark sein wird und womöglich wird sie auch nicht in der Lage sein, die durch die jüngste Energiekrise aufgezeigten Schwächen zu überwinden. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts können auf jeden Fall zum Export von nützlichen Methoden und Technologien zur Lösung des Problems führen.