MIKROBIOM

Die Darmbakterien? Sie können gegen Krebs helfen

Freitag, 15. Mai 2020 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana

Projekt des translationalen Forschungslabors (EOC und USI) unter der Leitung von Giandomenica Iezzi. Im Fokus einige Arten der «guten» Mikroorganismen, die scheinbar vor Darmkrebs schützen
von Rossella Briganti

Eine faszinierende Reise durch das Mikroambiente des Darms. Ein kleiner Planet (ca. 7 Meter lang, aber durch die zahlreichen Falten und Zotten mit einer Oberfläche von ca. 200 Quadratmetern) mit einer unvorstellbaren Bevölkerungsdichte. Er ist von Milliarden Bakterien, Viren, Pilzen und Protozoen – dem sogenannten Mikrobiom – bewohnt, die den Organismus gesund halten, sofern all seine Bewohner friedlich zusammenleben. Gerät das innere Gleichgewicht jedoch aus den Fugen und werden einige Stämme vernichtet und verschwinden ganz, wird der Weg für unterschiedliche Krankheiten, auch Tumoren, geebnet. Und eben dieses empfindliche Verhältnis zwischen «guten» Bakterien und Darmkrebs steht im Fokus des neuen Studienprojekts, das vom translationalen Forschungslabor unter der Leitung von Giandomenica Iezzi durchgeführt wird. Ein fortschrittliches medizinisch-wissenschaftliches Zentrum, eine «Brücke» zwischen dem EOC (Ente Ospedaliero Cantonale) und der USI (Università della Svizzera italiana), an dem seit einem Jahr ein Forscherteam an vorderster Front im Kampf gegen den Darmkrebs im Einsatz ist, und zwar mit der Entwicklung neuer Waffen, die auf einem gezielten Einsatz der so wichtigen Probiotika basieren. Wie weit ist die Forschung? Und welche therapeutischen Horizonte öffnen sich in nächster Zukunft?

«Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass diese Forschung auf eine Initiative der Professoren Pietro Majno-Hurst, Direktor des Departements für Chirurgie des EOC, und Dimitri Christoforidis, Leiter der Darmchirurgie und der gesamten Forschungstätigkeit des Departements, zurückzuführen ist – so Doktor Iezzi. – Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Stiftung Gebert Rüf und von der Krebsliga finanziert und strebt danach, sich jüngste wissenschaftliche Errungenschaften zu Nutzen zu machen und die Entdeckungen, die mein Team in den letzten sieben Jahren an der Universität Basel in Kooperation mit anderen Gruppen (ebenfalls in Basel und Zürich) und mit dem Departement für Chirurgie des EOC in Lugano gemacht hat, auf therapeutische Anwendungen zu übertragen.» Aber nun zum Kernpunkt der Forschung. «2018 – so Doktor Iezzi weiter – haben wir in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Gut die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen der Präsenz gewisser Bakterienarten des Darm-Mikrobioms im Tumorgewebe und einer besseren Prognose sowie einer längeren Lebenserwartung herstellte. Die An-/Abwesenheit einiger Bakterien sei praktisch in der Lage, die Tätigkeit der Tumorzellen im positiven oder negativen Sinne zu modulieren (und somit das Krankheitsbild zu verbessern oder zu verschlechtern), unabhängig davon, wie fortgeschritten der Tumor selbst war.»

Das Foto vergrössern Das Foto vergrössern Giandomenica Iezzi, Leiterin des translationalen Forschungslabors des Ente Ospedaliero Cantonale Das Foto vergrössern

Und wie kam man zu dieser interessanten Entdeckung? Mithilfe der Techniken der Metagenomik (um den wissenschaftlichen Fachausdruck zu verwenden), welche die Sequenzierung der DNA (also die präzise Bestimmung des genetischen Codes) oder spezifischer Sequenzen aller Bakterien ermöglichen, die sich im Stuhl oder, wie bei unserer Studie, im Tumorgewebe befinden, das den Patienten entnommen wurde. Durch die DNA-Analyse einer Base nach der anderen (die Basen sind die «Bausteine» des Codes) hat man festgestellt, dass bei den Kranken mit ungünstiger Prognose 20 der 1500 identifizierten Bakterienarten vollständig fehlten oder nur spärlich vertreten waren, während wir sie bei Patienten mit einem milderen Krankheitsverlauf in hohen Konzentrationen vorfanden.

Auf welche Weise aber können diese Mikroorganismen ihren Schutzmantel entfalten? «Der Mechanismus hat vielfache Aspekte – erklärt Doktor Iezzi. – Wir haben beobachtet, dass diese Bakterien in direkter Interaktion mit den Krebszellen in der Lage sind, sie zur Produktion von Faktoren anzuregen, die im Kampf gegen den Tumor spezifische Subpopulationen des Immunsystems „einberufen“: Die T-Lymphozyten. Diese Spezialabteilungen unserer körpereigenen Abwehr sind darauf trainiert, bestimmte molekulare Ziele (an den Tumorzellen) zu erkennen und sie zu speichern, um einen etwaigen zweiten Angriff abwehren zu können, indem sie in den Feind eindringen, um ihre Funktion auszuüben. Aus der histo-pathologischen Untersuchung der Darmtumoren geht aber hervor, dass nur 25% eine „spontane“ Infiltration von T-Lymphozyten aufweisen, und eben diese haben eine günstige Prognose. Jeder vierte Patient ist wenig – fährt Doktor Iezzi fort – und es ist wichtig, innovative Therapien zu entwickeln, die in der Lage sind, diese Immunzellen vermehrt in den Tumor zu bringen. Die in dieser Studie identifizierten Bakterien könnten eine dieser Therapien sein. Deshalb untersuchen wir ihre Effizienz in experimentellen Modellen für einen künftigen therapeutischen Einsatz: Die Verabreichung der schützenden Bakterienstämme an Patienten, deren Tumor dieses gute Lymphozyten-Infiltrat nicht spontan aufweist. Die daraus resultierende Bildung dieses Infiltrats könnte neben einer direkten antitumoralen Wirkung auch eine verstärkte Effizienz der weiterführenden Therapien nach dem Eingriff (Chemo- oder Immuntherapie) bewirken und somit eine zusätzliche Waffe in der sogenannten sekundären Prävention gegen Rückfälle und/oder Metastasen darstellen.» Nach Abschluss der präklinischen Phase könnten die «lebensrettenden Bakterien» allen Patienten im Kampf mit dem Adenokarzinom des Darms verabreicht werden, um ihnen zu helfen, den Krebs zu besiegen und das Rückfallrisiko auszuräumen. Und wie lauten die Namen der unsichtbaren Alliierten, die uns im Schatten unserer Eingeweide vor dem seit jeher meistgefürchteten Feind schützen? Alistipes, Faecalibacterium und Bacteroides sind nur einige der 20 Arten, die wir auf der Liste der guten Bakterien isoliert haben. «Aber Vorsicht, das sind die Arten, also die Stammesfamilien – warnt Doktor Iezzi. – Jede dieser Arten umfasst Spezies, die sich wiederum in Stämme gliedern, und man muss dieses Gewirr erstmal entwirren, um herauszufinden, welche dieser Untergruppen eine Schutzfunktion ausüben. Das Puzzle ist also viel komplizierter als es scheint, und es ist nicht leicht, diese Mikroalliierten in gebrauchsfertige Integratoren zu verwandeln, schon allein in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um anaerobe Bakterien handelt, die ohne Sauerstoff leben.» Sicherlich keine Arbeit für isolierte Forscher. Es ist wichtig, Kooperationen zwischen Laboren verschiedenen Kompetenzen einzurichten. «Für uns ist es wichtig, mit dem Labor für angewandte Mikrobiologie unter der Leitung von Professor Mauro Tonolla der SUPSI (Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana) und mit verschiedenen Forschungsteams des IRB (Forschungsinstitut für Biomedizin), des IOR (Onkologisches Forschungsinstitut) und des EOC zusammenarbeiten zu können», präzisiert Doktor Iezzi. Wird es unseren kleinen Helden gelingen, Menschenleben zu retten? Für die Forscher steht die Zukunft bereits vor der Tür, in dem Bewusstsein, dass der Sieg über den Krebs immer mehr das Ergebnis molekularer Synergien ist.

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