SZENARIEN

Covid, von den «analogen» zu den digitalen Impfstoffen: So kam es zu einem (fast) undenkbaren Umschwung

Dienstag, 22. Juni 2021 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

Als Gast beim Special Forum der IBSA Foundation auf dem Kongress über maligne Lymphome in Lugano skizzierte Rino Rappuoli, wissenschaftlicher Leiter von GSK Vaccines (Siena), den Weg, der die Eindämmung der Pandemie ermöglichte
von Elisa Buson

2021 wird das Jahr des Umschwungs. Das Jahr, in dem uns die Wissenschaft die Möglichkeit gibt, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, um uns schliesslich die Freiheiten zurückzuerobern, die uns vom Sars-CoV-2 Virus geraubt wurden. Das ist nicht nur ein einfacher Wunsch, sondern eine verlässliche Vorhersage, die einer der wichtigsten Wissenschaftler im Kampf gegen Covid-19 trifft: Rino Rappuoli, Professor für Vaccines Research am Imperial College in London sowie wissenschaftlicher Leiter und Verantwortlicher der Forschungs- und Entwicklungsaktivität bei GlaxoSmithKline (GSK) Vaccines in Siena. Der vom italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella vor wenigen Tagen als Cavaliere del Lavoro (Ritter der Arbeit) ausgezeichnete Rappuoli zählte zu den illustren Gästen des 16. Internationalen Kongresses über maligne Lymphome (ICML), der bedeutendsten wissenschaftlichen Veranstaltung des Tessins, die dieses Jahr vom 18. bis 22. Juni digital abgehalten wurde.
Als Protagonist des von der IBSA Foundation geförderten Spezialforums Vaccines and monoclonals to regain our freedom hielt Rappuoli am 21. Juni einen Vortrag darüber, «wie es uns Impfstoffe und monoklonale Antikörper ermöglichen werden, unsere Freiheit wiederzuerlangen.» Die Freiheit auszugehen, zu reisen, zu arbeiten, Freunde und Familie zu treffen. Alles, was wir bislang als selbstverständlich ansahen, was uns aber in den letzten eineinhalb Jahren durch das Coronavirus verwehrt blieb.

Die Pandemien sind auf der Welt nichts Neues, und Rappuoli, der in Siena lebt, weiss das nur zu gut: Unmöglich für seine Stadt, die Plage der Schwarzen Pest zu vergessen, die im Jahre 1348 zwei Drittel der Bevölkerung dahinraffte und die Stadt in die Knie zwang. Die einzig umsetzbaren Gegenmassnahmen zu jener Zeit lauteten Quarantäne, Abstand und Hygiene, paradoxerweise dieselben Mittel, mit denen wir uns knapp 700 Jahren später der Corona-Pandemie gestellt haben. «Der Unterschied kam 2021 – erklärt Rappuoli. – Wir haben die ganz verfügbare Wissenschaft und Technologie angewendet, um Impfstoffe und monoklonale Antikörper zu entwickeln, die uns nun helfen, Covid-19 in den Griff zu bekommen.» Ein unvorhersehbarer Riesenschritt, «den der enorme technologische Fortschritt der letzten Jahre und nie zuvor dagewesene öffentliche Geldmittel ermöglichten.»

Das alles konnten wir an der Entwicklung der Impfstoffe beobachten. Nach einem Jahrhundert mit langsamen Fortschritten «haben wir heute eine Explosion neuer Technologien – so Rappuoli –, welche die Entwicklungsweise der Impfstoffe täglich verändern, und zwar so rasant, dass uns heute Dinge gelingen, die nur fünf Jahre zuvor noch unmöglich waren: Bei diesem Tempo werden wir in fünf Jahren Dinge tun, von wir heute nicht einmal träumen.» Dieser Wendepunkt basiert seiner Meinung nach auf zwei Hauptaspekten. Insbesondere der technologische Fortschritt des letzten Jahrzehnts «mit dem, was ich den Übergang von den analogen zu den digitalen Impfstoffen nenne»: Praktisch die Möglichkeit, Impfstoffe nicht ausgehend vom eigentlichen Virus zu entwickeln, sondern von seinen Gensequenzen, die über das Internet unter den Laboren aller Welt ausgetauscht werden. Und dann ist da der finanzielle Aspekt, den man nicht unterschätzen darf. Durch die coronabedingte Dringlichkeit «sind die öffentlichen Investitionen in die Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen auf über 15 Milliarden Dollar gestiegen: Mit der öffentlichen Hand, die das finanzielle Risiko getragen hat, konnten alle Prüfphasen parallel ausgeführt und Impfstoffe anstatt in 10-20 Jahren in 10 Monaten entwickelt werden, ganz ohne Sicherheitsrisiken.

So entstand eine ganze Reihe Anti-Covid-Impfstoffe, die drei Hauptkategorien zuzuordnen sind: m-Rna-Impfstoffe, Vektorimpfstoffe und Impfstoffe mit reinem viralem Protein, das mit einem Hilfsstoff verstärkt wurde. «Alle rufen die Bildung schützender Antikörper hervor – erklärt Rappuoli – und haben eine Wirksamkeit von über 90% bei der Vorbeugung schwerer Verläufe und stationärer Behandlung.» Was bleibt ist die Unbekannte der neuen Virusmutationen, aber «man geht davon aus, dass die Impfstoffe auch gegen die Varianten schützen, möglicherweise mit weiteren Folgeimpfungen oder Impfstoffen der zweiten Generation.»

Ergänzt wird unser Rüstzeug neben den Vakzinen durch die monoklonalen Antikörper, die auf der Blutuntersuchung von Covid genesener Patienten beruhen. Eine komplexe, sehr gewissenhafte Arbeit, die von verschiedenen Forschungsgruppen in aller Welt ausgeführt wird, einschliesslich Rappuolis Team in Siena. «Wir haben über 4.000 B-Lymphozyten Gedächtniszellen getestet; Davon haben 453 neutralisierende Antikörper gebildet, deren Stärke wir untersucht haben. Nur drei haben sich als höchst wirksam erwiesen, einen davon haben dann wir für die industrielle Entwicklung ausgewählt.» Dieser monoklonale Antikörper erkennt die Spitze der «rezeptorbindenden Domäne» (RBD) des viralen Spike-Proteins und verhindert seine Verbindung mit dem Rezeptor der Zellen, was sich auch gegen die neuen Varianten wie die englische, die südafrikanische und die brasilianische Variante als wirkungsvoll erwiesen hat. Nach erfolgreichen Tests im Reagenzglas und an tierischen Modellen haben die Forscher die erste Phase der klinischen Untersuchung am Menschen abgeschlossen (die Phase, die auf die Bestimmung der optimalen Dosierung und der Produktsicherheit abzielt), die Phasen 2 und 3 werden derzeit durchgeführt. Es ist also nur noch ein kurzer Weg, um das Ziel zu erreichen, an dem bereits andere monoklonale Antikörper angekommen sind und die seit kurzem sowohl zu therapeutischen Zwecken als auch zur Vorbeugung gegen die Infektion verwendet werden.

«Ich glaube, dass wir durch die Technologien, Investitionen, Wissenschaftler und die globale Zusammenarbeit, die an der Entwicklung der Impfstoffe und monoklonalen Antikörper beteiligt waren, unsere Freiheit zurückbekommen können», so Rappuoli abschliessend. Ein Zeichen des Optimismus für alle, in der Hoffnung, dass man bei den nächsten wissenschaftlichen Ergebnissen wieder per Handschlag und Schulterklopfen gratulieren kann, und nicht nur per Videoanruf auf Distanz.


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Monoklonale Antikörper
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