onkologie

Auf der Suche nach den «bösartigsten» Tumorzellen

Donnerstag, 29. August 2019 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

Die von Carlo Catapano geleitete Forschungsgruppe hat neue Studien zur Identifizierung von Krebsstammzellen und Entwicklung wirksamer Medikamente gegen Metastasen gestartet
von Agnese Codignola

Tumorzelle ist nicht gleich Tumorzelle. Indem man sich genau diese Unterschiede zwischen den Tumorzellen, die mittlerweile besser erforscht sind, zunutze macht, kann man neue, weitaus wirksamere Strategien entwickeln, die nämlich darauf abzielen, die bösartigsten Tumorzellen zu besiegen, also jene, die für die Bildung von Metastasen und die Entwicklung von Arzneimittelresistenzen hauptverantwortlich sind. Auf der Grundlage dieses Ansatzes hat das Labor für experimentelle Therapien des Onkologischen Forschungsinstituts (IOR) in Bellinzona unter der Leitung von Carlo Catapano seit einigen Jahren eine echte «Expertise» in der Identifizierung und Erforschung sogenannter Tumorstammzellen oder CSC (Cancer Stem Cells) entwickelt. Hierbei handelt es sich um Zellen, die eine geringe Differenzierung aufweisen und folglich eher dazu tendieren, aus der Ferne sekundäre Tumoren zu bilden und zudem in der Lage sind, alles Erforderliche zu exprimieren, um die Angriffe der Therapien abzuwehren.

In der Vergangenheit lebte Catapano in Italien (Studium und Spezialisierung in Onkologie in Neapel, Spezialisierung in experimenteller Pharmakologie am Istituto Mario Negri in Mailand) und den Vereinigten Staaten (am Comprehensive Cancer Center der Wake Forest University in Winston-Salem und anschliessend an der Medical University of South Carolina in Charleston). Heute ist er Leiter des IOR – einer Zweigstelle der Università della Svizzera italiana –, das sich zu einem Spitzenzentrum für translationale Medizin (die Umsetzung der Grundlagenforschung in die klinische Realität), mit besonderem Augenmerk auf das Prostatakarzinom, entwickelt hat.

Schau in die Galerie Schau in die Galerie Carlo Catapano, Leiter des Onkologischen Forschungsinstituts (Istituto Oncologico di Ricerca, IOR) in Bellinzona, einer Zweigstelle der USI
Foto von Marian Duven Schau in die Galerie (8 foto)

«Tumorstammzellen – erklärt Catapano – weisen ganz andere Eigenschaften als die anderen Tumorzellen auf, die wir als Bulk-Zellen bezeichnen und die den Grossteil der Tumormasse darstellen. Erstere besitzen einen besonders regen Stoffwechsel, wie man feststellen kann, wenn man sie im Hinblick auf die aktivierten oder nicht aktivierten Gene betrachtet, und wie es die Aktivität der Mitochondrien – intrazelluläre Organellen, die von sehr alten Bakterien abstammen und für die Zellatmung verantwortlich sind – bestätigt. In den Stammzellen sind die Mitochondrien nämlich sehr aktiv und tendieren eher als in den anderen Zellen dazu, sich zu teilen (also zur sogenannten Zellteilung), da der Stoffwechsel der Stammzellen viel Energie erfordert, die eben durch die Zellatmung bereitgestellt wird. Die genetische Ausstattung von Bulk-Zellen steht hingegen ganz im Zeichen der Zellteilung und DNA-Replikation, weshalb diese Zellen eine geringere mitochondriale Aktivität aufweisen.»

Kurz gesagt, haben alle Tumorzellen die gleiche genetische Ausstattung, unterscheiden sich jedoch – fährt der Forscher fort – in der Expression bestimmter DNA-Abschnitte, was zu unterschiedlichen Stoffwechselwegen führt. Forscher konzentrieren sich also genau auf diese Unterschiede, mit dem Ziel, vor allem die Stammzellen anzugreifen. «Insbesondere haben wir herausgefunden (und unsere Forschungsergebnisse in einer kürzlich in der Zeitschrift Cell Metabolism veröffentlichten Studie erläutert), dass man bei Stammzellen auf jene Proteine einwirken kann, welche die Genexpression in Richtung Teilung der Mitochondrien lenken, um diesen Prozess zu blockieren», so Catapano weiter. - «Diese Strategie wird als epigenetisch bezeichnet, was bedeutet, dass nicht die Struktur der DNA, sondern deren Expression angegriffen wird. In der klinischen Praxis gibt es bereits Medikamente zur Umsetzung dieser Strategie und weitere befinden sich in einer fortgeschrittenen Testphase.»

Man darf nicht vergessen, dass die Epigenetik auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung zu den grossen Hoffnungen der letzten Jahre zählt: Seit einiger Zeit ist nämlich bekannt, dass eine der besten Möglichkeiten der Neutralisierung einer Tumorzelle darin besteht, sie an der Ausübung ihrer normalen Funktionen zu hindern, indem man auf die Expression bestimmter spezialisierter Gene einwirkt. Zu den Molekülen, die eine epigenetische Blockade erzeugen, zählen unter anderem die sogenannten Inhibitoren von Proteinen der BET-Familie, insbesondere des Proteins BRD4 (Bromodomain Containing 4). In den von Catapano durchgeführten In-vitro-Tests (Labortests) sowie in Tiermodellen haben sich die Inhibitoren des Proteins BRD4 (die sogenannten BET inhibitors) als fähig erwiesen, Tumorstammzellen abzutöten (und zugleich das Wachstum der Bulk-Zellen zu hemmen). Nun wird weiter experimentiert, um herauszufinden, wie man die BRD4-Inhibitoren beim Menschen einsetzen könnte.

Diese Medikamente werden unter anderem als zusätzliche Heilmittel zu bereits etablierten Therapien für einen Angriff an mehreren Fronten zugleich genau erforscht. «Ein Beispiel für diesen kombinierten Ansatz ist die Immuntherapie – erklärt Catapano –, die nicht nur darauf abzielt, das Wachstum des Tumors zu hemmen, sondern auch das Immunsystem zum Kampf gegen den Tumor anzustacheln, wodurch die Erfolgsaussichten deutlich steigen. Man kann diese Strategie auch auf andere Medikamente, die Tumorzellen auf unterschiedliche Weise angreifen, anwenden, indem man versucht, ihre Wirkung durch Kombination mit einem epigenetischen Medikament zu verstärken.» Aber das ist noch nicht alles. «Tumorstammzellen – so folgert Catapano – funktionieren bei allen Tumoren auf dieselbe Weise. Und dies legt die Möglichkeit nahe, sich diese Mechanismen anhand von Medikamenten wie BRD4-Inhibitoren zur Behandlung jeder Art von Tumor zunutze zu machen.»

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