Coronavirus

Auch testosteron-hemmende Medikamente zur Eindämmung von Covid-19?

Freitag, 15. Mai 2020 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

In den Annals of Oncology die Hypothese eines Teams unter der Leitung von Andrea Alimonti, die auf Daten aus Venetien basiert. Prostatakrebspatienten, die mit Antiandrogenen behandelt werden, sind fast nie vom Virus betroffen
von Elisa Buson

Was bis vor wenigen Tagen nur eine vage Vermutung schien, hat sich jetzt als eine mehr als konkrete Hypothese erwiesen: Die Hormontherapie, die gegen Prostatakrebs eingesetzt wird, könnte bei der Bekämpfung von Covid-19 helfen. Die onkologischen Patienten, die mit testosteron-hemmenden Medikamenten behandelt werden, haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, sich mit dem neuen Coronavirus anzustecken, und entwickeln bei erfolgter Ansteckung einen milderen Verlauf. Hinweise darauf liefern einige überraschende epidemiologische Daten aus Venetien (die Region, in der Italiens erster Toter der Pandemie registriert wurde), die in der Zeitschrift Annals of Oncology von der Forschungsgruppe unter Leitung von Andrea Alimonti, Professor für Onkologie an der Università della Svizzera italiana (USI) und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), veröffentlicht wurde.

Die in Kooperation mit der Universität Padua erhobenen Daten besagen, dass von 4.532 von Covid-19 betroffenen Männern 430 (9,5%) Krebskranke, darunter 118 (2,6%) mit Prostatakrebs, waren. Durchschnittlich haben die krebskranken Männer ein 1,8 Mal höheres Risiko, vom SARS-CoV-2 (das für die Krankheit Covid-19 verantwortlich ist) befallen zu werden und eine schwerere Infektion zu entwickeln. Trotzdem haben sich von 5.273 Prostatakrebskranken, die in Venetien mit Hormontherapie behandelt werden, nur 4 mit Covid-19 infiziert, Todesfälle gab es keine. Eine erstaunliche Erkenntnis, wenn man hingegen betrachtet, dass sich von den 37.161 Prostatakrebskranken, die ohne Hormontherapie behandelt werden, 114 mit dem Coronavirus infiziert haben und 18 verstorben sind, während von 79.661 onkologischen Patienten 312 vom Virus betroffen waren und 57 es nicht überlebt haben.

Das Foto vergrössern Das Foto vergrössern Andrea Alimonti, Professor für Onkologie an der Università della Svizzera italiana und an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich
Foto di Marian Duven Das Foto vergrössern

«Die Prostatakrebspatienten, denen antiandrogene Medikamente verabreicht werden, haben ein 4-fach niedrigeres Covid-19-Risiko als die Patienten, die keine solche Therapie erhalten: Die Daten aus der Bevölkerung bestätigen es jetzt», erklärt Alimonti, der seine Begeisterung kaum verbergen kann. Die Idee, diese Spur zu verfolgen, kam erst vor wenigen Wochen auf, als eine deutsche Studie in der Zeitschrift Cell gezeigt hatte, dass der Eintritt des Coronavirus in die menschlichen Zellen durch das Enzym namens TMPRSS2 vereinfacht wird: Es handelt sich um eine Art molekulare Schere, die das vom Virus als Einfallstor genutzte Protein «Spike» abtrennt und somit seine Bindung am ACE-2 Rezeptor der menschlichen Zellen erleichtert. Dieses «Helferenzym» befindet sich auf der Membran der Zellen, die das Lungenepithel bilden, wird aber auch ins Blut abgegeben: Das ist vielleicht der Grund des verstärkten systemischen Effekts des Virus, das leichter in die Nieren, die Leber und das Endothel der Blutgefässe eindringt.

«Das Enzym TMPRSS2 ist bereits ein alter Bekannter, denn es ist einer der typischsten Marker von Prostatakrebs, wo es bis zu 100 Mal über dem Normwert vorhanden ist – so Alimonti weiter. – TMPRSS2 fördert das Wachstum und die Migration der Tumorzellen und determiniert eine schlechtere Prognose, besonders interessant aber ist die Tatsache, dass sein Ausdruck über das Testosteron geregelt wird: Genau dieser Mechanismus könnte zumindest teilweise erklären, weshalb Männer schwerer vom Virus betroffen sind als Frauen.»

Zur Bekräftigung dieser Theorie brauchten wir allerdings Zahlen. «Erste Indizien – berichtet der Onkologe – kamen auf offiziösem Wege vom Krankenhaus Wuhan in China, das mit unserem Dienst in der Schweiz zusammenarbeitet: Unter seinen Patienten, die wegen Corona stationär behandelt wurden, waren keine Prostatakrebspatienten in Hormontherapie. Wir brauchten aber offizielle Daten: Deshalb dachten wir an die Erfassung der Daten aus 68 Krankenhäusern Venetiens, wo man zum ersten April knapp 9.500 Infizierte zählte.»

Da die Ergebnisse jetzt schwarz auf weiss vorliegen, hoffen die Forscher, dass man möglichst bald mit der Erforschung der Hormontherapie gegen Covid-19 beginnen kann. «Wir haben bereits erste Gespräche mit Professorin Richter der Universität Padua zur Durchführung der ersten präklinischen In-Vitro-Studien und an tierischen Modellen begonnen» – bestätigt Alimonti. – Wir haben auch ein Protokoll für die klinische Prüfung am Menschen vorgelegt, das jetzt von der Universitätsklinik Padua und vom EOC in Lugano geprüft wird.»

Die Idee lautet, neben den bereits gegen Covid-19 verwendeten Medikamenten (Chloroquin und Heparin) auch Antiandrogene zu verwenden, die das Testosteron vorübergehend hemmen. «Es gibt verschiedene zugelassene Therapien, die den Androgenspiegel senken und Patienten verabreicht werden können – präzisiert Alimonti. – Zum Beispiel die LH-RH (Hormon, durch das Gonadotropine ausgeschüttet werden) Antagonisten, die das Testosteron in 48 Stunden mit temporärer Wirkung senken können. Sobald der Patient die Einnahme des Arzneimittels beendet, kehrt der Testosteronspiegel zurück zum Normalwert. Wird diese Behandlung über einen Zeitraum von höchstens einem Monat verabreicht, birgt sie keine beträchtlichen Nebenwirkungen.»

Die Voraussetzungen geben guten Grund zur Hoffnung, allerdings bleibt eine grosse Hürde: Die Beteiligung der Patienten für die klinische Prüfung. «Glücklicherweise flaut die Covid-19 Epidemie ab und es gibt immer weniger stationäre Patienten – so Alimonti abschliessend. – Deshalb ist es wichtig, sofort mit den Tests zu beginnen, um ausreichend Zahlen für eine aussagekräftige Statistik zu erhalten. Sonst müssten wir auf die zweite Infektionswelle warten, die von vielen für den kommenden Herbst erwartet wird.»

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