BERICHT DER AKADEMIEN DER WISSENSCHAFTEN SCHWEIZ

Die Schweizer haben grosses Vertrauen in die Wissenschaft, nicht aber in ihre Kommunikation

Montag, 4. Oktober 2021 ca. 8 Minuten lesen In lingua italiana

von Valeria Camia

Vor knapp zwei Monaten hat eine 16-köpfige Expertengruppe – Gelehrte aus dem Bereich der Wissenschaft und der Informatik sowie professionelle Wissenschaftskommunikatoren und Fachjournalisten – für die Akademien der Wissenschaften Schweiz einen ersten Bericht über die Wissenschaftskommunikation und das Public Engagement (die Interaktion zwischen denen, die Wissenschaft „betreiben“, und den Bürgern) in unserem Land vorgelegt. Es handelt sich um einen sehr umfassenden Bericht, der erstellt wurde, um eine globale Bewertung, d. h. ein umfassendes Mapping der vorliegenden Daten und interdisziplinären Studien bereitzustellen.
Das Ergebnis ist ein Dokument mit über 100 Seiten und einer zweifachen Zielsetzung: «Die Bewertung des Zustands der Wissenschaftskommunikation in der Schweiz (wo sind wir) und das Erstellen weiterer Verbesserungsempfehlungen (wohin gehen wir)» – erklärt Mike Schäfer, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Zürich und einer der Kuratoren von Science in the Swiss Public: The State of Science Communication and Public Engagement with Science in Switzerland (so der Titel des Berichts). Ein Dokument, dessen Notwendigkeit bereits in Zeiten vor der Pandemie spürbar war und das sich dann durch Covid und die zunehmende medizinisch-wissenschaftliche Kommunikation in den Medien und in der Gesellschaft quasi aufgedrängt hat, denn «im Unterschied zu anderen Ländern, in denen die Akademien häufig eine derartige Bestandsaufnahme der wissenschaftlichen Kommunikation vornehmen, gab es in der Schweiz bisher nichts Vergleichbares» – betont Schäfer.

Wie ist es also um die Kommunikation des wissenschaftlichen Wissens in der Schweiz bestellt, wie wird ihr öffentliches Engagement empfunden, was muss getan werden, um ihren Zustand zu verbessern? Beginnen wir mit einem positiven Zeichen – so Schäfer: Die in der Schweiz tätigen Forscherinnen und Forscher arbeiten nicht in einem feindlichen Umfeld und «viele Bürger sowie Wirtschaftsvertreter und Politiker sind der Ansicht, dass die Kommunikation der Wissenschaft und der Dialog zwischen Forschern und Öffentlichkeit wichtig sind». So haben über 56% der Schweizer generell grosses Vertrauen in die Wissenschaft; 64% der Bevölkerung haben ein „hohes“ oder „sehr hohes“ Vertrauen in der universitären Forscher und 70% der Bevölkerung sind mit der Vorstellung, dass die Wissenschaftler kompetent und qualifiziert seien, „einverstanden“ oder „vollkommen einverstanden“. Und noch mehr: „Knapp 80% der Schweizer Bevölkerung – so die Verfasser des Berichts – erwarten, dass die Wissenschaftler mit der Öffentlichkeit kommunizieren“.

ZWEIFEL ANGESICHTS DER KOMMUNIKATION - Auf die direkte Frage jedoch, ob sie mit der wissenschaftlichen Verbreitung in der Schweiz zufrieden seien, zeigte sich ein Grossteil der Schweizer unentschlossen (circa 44%) und lediglich 4% sind sehr zufrieden. Diese Wahrnehmung der Unzufriedenheit mit der wissenschaftlichen Kommunikation hat sich während der Pandemie verschärft, obwohl sie bereits in der Zeit zuvor begonnen hat, präzisiert Schäfer. «In den letzten zwei Jahren – so der Professor der Universität Zürich – hat man eine Zunahme der Personen und Organisationen verzeichnet, die über Wissenschaft sprechen. Aber nicht alle, die sich äussern, bringen das dafür erforderliche Wissen und die Kompetenzen mit, und so erleben wir eine wachsende Fehlinformation (also die Verbreitung von Nachrichten ohne Überprüfung der Quellen) und der Falschinformation, wie z.B. Fake News, insbesondere in den sozialen Medien und auf Online-Plattformen». Denn «die Schweizer Bevölkerung bezieht ihre wissenschaftlichen Informationen überwiegend aus dem Internet», und durch die Tatsache, dass dort viel Unsinn und unpräzise Inhalte kursieren, wächst natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen auf falsche und widersprüchliche Fakten stossen. Von Facebook über persönliche Online-Blogs, nicht überprüfte Webseite bis hin zu Youtube verleiht das Web «Segmenten oder Bereichen der Bevölkerung eine Stimme, die gewissen Diagnosen über die Pandemie und insbesondere bestimmten Massnahmen zu ihrer Bekämpfung ablehnend gegenüberstehen, wie die jüngsten Debatten über die Impfung und die Corona-Zertifikate zeigen. Diese Gruppen sind zwar nicht die Mehrheit der Bevölkerung, aber eine beträchtliche Minderheit mit lauter Stimme» – präzisiert Schäfer, der jedoch auch darauf hinweist, dass das «Internet den Wissenschaftskommunikatoren neue Horizonte eröffnet und dass sie das Potential des Webs nutzen können, um ein potenziell sehr breites Publikum zu erreichen». Allerdings ist das nicht der Fall.

Wie ist das möglich?

WENIG RAUM IN DEN INFORMIERENDEN MEDIEN - Beginnen wir mit einer Zahl: Nachrichten rund ums Thema Wissenschaft stellen in der Schweiz lediglich 1 bis 3% der gesamten Nachrichten in den Medien dar. Und in dem kleinen Raum, den die Wissenschaftsjournalisten für sich beanspruchen können, konzentrieren sie sich eher auf wissenschaftliche Fakten von internationaler Bedeutung als auf Nachrichten mit Schweizer Fokus, vor allem zum Nachteil von Interviews, kritischen Vertiefungen und Stellungnahmen – wie man im Bericht der Akademien der Wissenschaften Schweiz liest.

Und das ist nicht alles: Für alle offensichtlich sind die jüngsten Sparmassnahmen, von denen die wissenschaftlichen Redaktionen der Medien seit einigen Jahren häufig betroffen sind.

Von Lugano bis Zürich, von Sankt Gallen bis Genf gibt es in der Eidgenossenschaft nur rund hundert spezialisierte Wissenschaftsjournalisten, und nur wenige Zeitungen haben dafür eine eigene Redaktion. Nach Angaben der Swiss Association of Science Journalists verfügen lediglich die Sender der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt SRG sowie „CH Media“, „Le Temps“, „Neue Zürcher Zeitung“, „NZZ am Sonntag“, „Republik“ und „TX Group“ über eigene Redaktionen für wissenschaftliche Nachrichten. Als besonders problematisch erweisen sich somit die Bedingungen für freiberufliche Journalisten, für die es – laut Schäfer – immer schwerer wird, Aufträge zu erhalten, da die Ressourcen für die wissenschaftliche Verbreitung immer knapper werden.

DAS ENGAGEMENT DER FORSCHER - Da wir während der Pandemie «gesehen haben, dass viele Wissenschaftler bereit sind, sich für die Kommunikation zu engagieren und dass die Öffentlichkeit möchte, dass sie zu Wort kommen, ist es dringend erforderlich, dass die wissenschaftlichen Organisationen mehr Mittel bereitstellen, um den Wissenschaftskommunikatoren die Möglichkeit zu bieten, tatsächlich zu kommunizieren und um sie gegen mögliche negative Rückschläge besser zu schützen», so Schäfer weiter: «Die Pandemie hat allen, die sich mit Wissenschaft befassen, noch mehr Arbeit beschert. Ihre Zeichen waren und sind für den Umgang mit der Pandemie von zentraler Bedeutung, aber ihre Arbeitsbedingungen werden immer prekärer». Die Journalisten sehen sich mit einem wachsenden Arbeitspensum aber mit einer deutlichen Einschränkung der beruflichen und persönlichen Freiheit konfrontiert. Wer sich laufend mit der Flut an Informationen zu beschäftigen hat, die im Internet kursiert, der hat immer weniger Zeit, originelle Tatsachen und Fakten zu recherchieren, die sich häufig nur noch auf das Copy und Paste von Pressemitteilungen der Presseagenturen beschränken.

ES BRAUCHT FINANZIELLE UNTERSTÜTZUNG - All das veranlasst uns zu einem zwingenden Umdenken der Wissenschaftskommunikation, und zwar im Hinblick auf den einzelnen Journalisten, aber auch die Zeitungen, die Wirtschaftsvertreter, die Universitäten, die finanzierenden Organisationen sowie Politik und Institutionen. Corona selbst leistet einen Beitrag zur Ebnung des Wegs in dieser Richtung, denn – so Schäfer – «die Pandemie hat dafür gesorgt, dass sich viele Bürger sowie Vertreter der Zivilgesellschaft und der Politik der Bedeutung der Wissenschaftskommunikation bewusst geworden sind und gleichzeitig verstanden haben, wieviel Zeit und Ressourcen dafür gebraucht werden. Viele Wissenschaftler sind bereits, sich für die öffentliche Kommunikation der Wissenschaft zu engagieren und die Mehrheit der Menschen möchte, dass sie zu Wort kommen. Dafür aber müssten die in der Wissenschaft tätigen Organisationen und die Medien mehr Anreize schaffen, damit die Wissenschaftsjournalisten und Experten überhaupt in der Lage sind, die Wissenschaft zu kommunizieren». Ganz konkret heisst das – so Schäfer weiter – «Finanzmittel für innovative Projekte des Wissenschaftsjournalismus bereitzustellen (von Produkten einzelner Journalisten bis hin zur Finanzierung von Start-ups mit Angeboten für die Wissenschaft und online), aber auch langfristige Finanzierungen für kritische Infrastrukturen, welche die grundlegenden Funktionen des Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz beibehalten». Beispiele solcher Infrastrukturen findet man im Bericht der Akademien der Wissenschaften Schweiz: Die Rede ist von „Science Media Centers“ (in Deutschland gibt es bereits eines), die für journalistische Reportagen kostenloses Material wie Zitate und Info-Blätter zur Verfügung stellen, oder Web-Portale, welche die Pressemitteilungen der Forschungs- und Hochschulinstitute sammeln, wie beispielsweise „EurekAlert“ oder der „Informationsdienst Wissenschaft“.

Auch die Politik spielt bei der Verbesserung der Wissenschaftskommunikation eine wichtige Rolle.

«Man denke – so Schäfer – an die zentrale Rolle für den Informationsfluss gegen Fehlinformationen, welche das Bundesamt für Gesundheit vor allem zu Beginn der Pandemie hatte und somit den Rahmen und die Grenzen der Wissenschaftskommunikation bestimmte». Aus diesem Grund verlangt der Bericht Science in the Swiss Public: The State of Science Communication and Public Engagement with Science in Switzerland eine stabilere, routinierte Interaktion zwischen Wissenschaft und Politik, auch in Zeiten nach der Pandemie.

Eine ebenso grosse Bedeutung kommt letztendlich auch der Bildung zu, «die für die Valorisierung einer korrekten wissenschaftlichen Information eine zentrale Rolle spielt» – bemerkt Schäfer abschliessend.

(Auf dem Bild oben ein Detail des Deckblattes des Berichts „Science in the Swiss Public“)