So übersetzen Sie Wissenschaft

Dialog zwischen Wissenschaft und Politik, ein Netzwerk von Beratern ist erforderlich

Donnerstag, 29. September 2022 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

von Valeria Camia

Jürg Pfister, Generalsekretär der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT)
Jürg Pfister, Generalsekretär der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT)

Wo waren die Männer und Frauen der Wissenschaft vor dem Coronavirus Covid-19? Wie oft haben wir diese Frage schon gehört oder sie jemandem gestellt. Seien wir ehrlich: Es ist nicht so, dass diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaft tätig waren, sich in ihren aseptischen Labors eingeschlossen haben und nur herauskamen, um in Fachzeitschriften zu erscheinen! Die Politik hat sich oft auf Expertenanalysen gestützt, aber die beiden Welten (Wissenschaft und Politik) haben nie wirklich miteinander kommuniziert. Gerade um ein wirklich dialogisches Verhältnis zu fördern, schlagen die Akademien der Wissenschaften Schweiz ein gut strukturiertes Science Advisory Network (SA-Net) vor, das mit der Politik in einen engen Dialog über Szenarien und Handlungsmöglichkeiten auf der Basis von objektivem und transparentem Wissen, wissenschaftlichen und unabhängigen Modellen und messbaren Konsequenzen treten soll. Darüber sprachen wir mit Jürg Pfister, Generalsekretär der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz und zusammen mit Karin Ammon und Marcel Falk Herausgeber des "Ideenpapiers für einen klaren und steten Dialog zwischen Wissenschaft und Politik".

Herr Dr. Pfister, woher stammt das Ideendokument für einen klaren und ständigen Dialog zwischen Wissenschaft und Politik und wie ist es begründet?

«Seit Ende der 1980er Jahre setzt sich die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) für einen engen Dialog der Wissenschaft mit der Politik und Gesellschaft in der Schweiz ein. Dabei gibt es immer zwei Phasen, nämlich die Phase des Aufarbeitens des Stands des Wissens und die Phase des eigentlichen Dialogs mit der Politik auf Basis des synthetisierten Wissens. In jüngster Zeit hat die Swiss National Covid-19 Science Task Force die Rolle der wissenschaftlichen Experten stärker ins Rampenlicht gerückt, doch schon lange vor der Pandemie war die Wissenschaft also zur Stelle, um genaue, aktuelle und wissenschaftlich fundierte Informationen zu verschiedenen gesellschaftlich relevanten Themen zu liefern. Die Arbeit der beratenden Experten zu spezifischen Fragen war jedoch innerhalb der Wissenschaft der Schweiz lange Zeit wenig abgestimmt, so dass die Wirkung geringer war als möglich. Daher schlägt unser Papier ein neues Modell für die Beziehungen innerhalb der Wissenschaft sowie mit der Politik und Gesellschaft vor. Das wissenschaftliche Beratungsnetz (Scientific Advisory Network - SA-Net) soll je nach den Problemen, mit denen die Gesellschaft konfrontiert ist, Fachleute auf breiter Basis mobilisieren und in klarer und koordinierter Weise mit den politischen Partnern zusammenarbeiten».

Können Sie erklären, woraus dieses Modell besteht?

«Wichtig sind zwei Elemente, die gegenüber dem heutigen System neu sind. Ein Element ist,  dass die nationalen Wissenschaftsinstitutionen (ETH-Rat, swissuniversities, Nationalfonds, Innosuisse, Akademien) sich koordiniert mit ihren jeweilige Stärken in das Modell einbringen. Sie sollen gemeinsam in der Verantwortung stehen, das Wissen auf breitester Basis aus der gesamten Forschungslandschaft, aber auch aus der Praxis, zu mobilisieren für den Dialog mit der Politik. Das zweite Element ist, dass der Dialog auf einer konkreten, verbindlichen Vereinbarung zwischen der Wissenschaft und Politik beruhen soll. Damit würden die Wissenschaftsinstitutionen wirklich in die Pflicht genommen bei der Bereitstellung des Wissens enger zusammen zu arbeiten. Andererseits stünde damit auch die Politik in der Pflicht, dieses kollektive Wissen gezielt entgegen zu nehmen – dies im Gegensatz zu heute, wo zu den grossen Herausforderungen unserer Zeit das Wissen des schweizerischen Forschungsplatzes oft eher auf eine zufällige Art und Weise in die Politik fliesst. Das Rollenverständnis ist aber wichtig: Es geht nicht darum, dass die Wissenschaft Entscheidungen über politische Strategien und Maßnahmen trifft. Das liegt ausserhalb ihrer Zuständigkeit. Es geht vielmehr darum, dass die Expertise der Wissenschaft und von ihr formulierte Handlungsmöglichkeiten systematischer als heute zur Diskussion ins politische System einfliessen. Entscheiden muss dann immer noch die Politik.Unser Modell des Scientific Advice Network (SA-Net) sieht auch vor, dass im regelmässigen Austausch von Politik, Verwaltung und Wissenschaft ein gemeinsamer Prozess zur Früherkennung geführt wird. Das ermöglicht das rechtzeitige Bereitstellen der von der Politik benötigten wissenschaftlichen Expertise oder im Falle von akuten Krisen den raschen Aufbau benötigter Fachgremien (wie die Covid-19 Science Task Force)».

Also unterschiedliche Reaktionen und Vorgehensweisen für unterschiedliche Krisenstufen?

«Konkret sehen wir in unserem Modell des Dialogs zwischen Wissenschaft und Politik drei verschiedene operative Mechanismen vor: Erstens für einfache, kurzfristige Anfragen, wo das SA-Net eine oder wenige Personen aus der Wissenschaft rasch zur Beantwortung rekrutiert. Zweitens für umfassendere, komplexere Anfragen, wo das SA-Net zur Beantwortung ein umfassenderes, aber zeitlich befristetes Projekt mit Forschenden aus allen betroffenen Fachrichtungen durchführt. Drittens für Fälle, wo es über einen längeren Zeitraum einen kontinuierlichen Dialog zur Bewältigung von Generationenproblemen (z.B. globaler Wandel) oder zur Bewältigung akuter Krisen (wie Covid) braucht. In diesem dritten Fall werden ständige wissenschaftliche Gremien errichtet, die den Dialog mit der Politik über einen längeren Zeitraum permanent führen können».

Gibt es Konsultationen zu dem von Ihnen beschriebenen Dialog, der in der Tat und vorläufig ein "Modell" ist? Wann können wir sehen, wie sie in die Praxis umgesetzt wird?

«Das Modell wurde zur breiteren Diskussion in die Wissenschaftslandschaft und die Politik eingespiesen. Ob es Realität wird, hängt wohl v.a. vom politischen Willen ab. Sein Potenzial liegt darin, dass es sowohl für den Dialog zu den permanenten Krisen geeignet ist, als auch für akute Notsituationen wie eine Pandemie, denn auf die bestehende SA-Net-Struktur und die damit geschaffene Vertrauensbasis zwischen Wissenschaft und Politik liesse sich auch in akuten Krisen einfach und sehr rasch aufbauen».