die Meinung

Wasserpilze, wichtige,
aber meistens übersehene Organismen

Andreas Bruder
Dienstag, 14. März 2023 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

von Andreas Bruder
Wissenschaftler am Institut für Mikrobiologie, SUPSI

Derzeit werden Wasserpilze in allen wichtigen Artenschutzprogrammen vernachlässigt, dabei spielen sie eine entscheidende Rolle in den Nahrungsnetzen von aquatischen Ökosystemen und für deren Ökosystemfunktionen. Ein europäisches Konsortium, an dem auch die Fachhochschule Südschweiz (SUPSI) beteiligt ist, wird im April ein internationales Projekt beginnen, das sich mit dieser wenig erforschten, aber enorm wichtigen Organismengruppe befasst.

Wasserpilze sind zumindest für einen Teil ihres Lebenszyklus auf aquatische Lebensräume angewiesen. Sie sind für zahlreiche Ökosystemprozesse verantwortlich und interagieren mit verschiedenen Ebenen der Nahrungsnetze dieser Ökosysteme. Sie sind hauptsächlich für die Zersetzung von Blättern oder Holz von Landpflanzen verantwortlich, die in Bäche oder Uferbereiche von Seen gelangen. Dies ist ein sehr wichtiger Ökosystemprozess, z. B. wird durch die Zersetzung von Blättern etwa 90 Prozent des Kohlenstoffs in die Nahrungsnetze von kleinen, bewaldeten Bächen eingebracht. Diese Bäche machen auch den größten Teil eines Flusssystems aus. 

Unsere Forschung hat gezeigt, wie dieser Ökosystemprozess mit lokalen und globalen Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufen zusammenhängt und wie empfindlich er auf menschengemachte Umweltveränderungen reagiert. Wasserpilze erbringen lebenswichtige Leistungen nicht nur für Ökosysteme, sondern auch für die menschliche Gesellschaft durch ihren Beitrag zu Ökosystemdienstleistungen. Sie sind zum Beispiel eine wichtige Nahrungsquelle für viele Wasserinsekten und damit auch für deren Fressfeinde (wie Vögel und Fische) und tragen so zur Erhaltung gesunder und stabiler Ökosysteme bei. Darüber hinaus spielen sie eine wichtige Rolle bei der natürlichen Selbstreinigung des Wassers und sind eine wenig erforschte Quelle von Substanzen mit potenziellen biomedizinischen oder biotechnologischen Anwendungen (bisher wurden ca. 280 entdeckt).

Mehrere Projekte unserer Forschungsgruppe am Institut für Mikrobiologie der SUPSI zielen darauf ab, die Rolle der Wasserpilze für die aquatischen Ökosysteme und deren Organismen zu verstehen. So untersuchen wir beispielsweise, wie diese Rolle durch den Einfluss des Menschen auf die Ökosysteme oder durch Veränderungen ihrer Biodiversität beeinflusst wird. Dieser letzte Punkt ist besonders wichtig, weil ihre Verbreitung und die Zusammensetzung ihrer Biodiversität noch wenig bekannt sind

Obwohl sie eine derart wichtige Rolle in aquatischen Ökosystemen spielen, wurden bisher noch keine koordinierten Anstrengungen unternommen, um die für den Schutz und die Erhaltung von Wasserpilzarten erforderlichen Grundkenntnisse zu erarbeiten. Diese Notwendigkeit ist umso dringlicher, als wir von anderen Organismengruppen wissen, dass die Biodiversität zurückgeht, und dies besonders schnell in Süßwasserökosystemen. 

Wenn die Biodiversität der Wasserpilze nicht verstanden und geschützt wird, erhöht sich das Risiko unvorhersehbarer und schädlicher Folgen für die aquatischen Ökosysteme. Durch das Ausbleiben von Ökosystemdienstleistungen kann dies in der Folge auch schwerwiegende Auswirkungen auf unser Leben haben. Wir wissen genug, um zu erkennen, dass der Beitrag der Wasserpilze zu diesen Ökosystemprozessen und -dienstleistungen von ihrer Biodiversität und deren Erhaltung abhängt. Es ist daher dringend notwendig, die Aufmerksamkeit und die Mittel innerhalb der schweizerischen und europäischen Programme und Strategien für die Biodiversität und ihren Schutz so zu verteilen, dass die Vielfalt der Wasserpilze besser verstanden und geschützt wird. 

Mit unserer Forschung tragen wir und unsere Partner mit verschiedenen Projekten zu diesem Perspektivenwechsel bei. Als nächster grosser Schritt werden wir im April ein internationales Projekt namens FUNACTION (Aquatic FUNgal biodiversity: developing knowledge and strAtegies to inform conservation priorities and measures) starten, um die Biodiversität der Wasserpilze zu untersuchen und Massnahmen zum Schutz ihrer Artenvielfalt zu entwickeln. Dieses Projekt wird durch das Programm Biodiversa+ finanziert, eine europäische Partnerschaft, die exzellente Forschung im Bereich der Biodiversität mit Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft unterstützt. Drei Jahre lang werden wir mit Forscherinnen und Forschern von Instituten in Schweden, Portugal, Deutschland, Italien und Estland zusammenarbeiten, um unsere Kenntnisse über die Biodiversität und die Verbreitung von Wasserpilzen zu verbessern und insbesondere zu untersuchen, ob das bestehende Netz von Schutzgebieten in Europa einen wirksamen Schutz für sie bietet. Ausserdem werden wir neue Methoden zur Untersuchung und Überwachung von Wasserpilzen entwickeln, um langfristige und nachhaltige Schutzmassnahmen zu fördern und sicherzustellen.

Um die Relevanz des Projekts für globale Naturschutzinitiativen zu gewährleisten, gehören dem Konsortium auch Mitglieder der Internationalen Union für Artenschutz (IUCN) an, mit dem Ziel, den Einbezug von Wasserpilzen in globale Entscheidungsprozesse zum Artenschutz sicherzustellen. Diese Partner repräsentieren die IUCN-Programme für die Roten Listen, Key Biodiversity Areas, und für Süßwasserökosysteme, sowie das IUCN Global Centre for Species Survival. Das Projekt wird unsere Möglichkeiten zur Identifizierung von Bedrohungen für einzelne Arten verbessern und wichtige Eigenschaften für Schutzgebiete zur Erhaltung von Wasserpilzen aufzeigen. Es wird auch dazu beitragen, Erkenntnisse in der breiten Bevölkerung zu verbreiten und das Bewusstsein für diese wichtigen Organismen zu schärfen. Gleichzeitig unterstützen wir Aktivitäten im Rahmen des Artenschutzes und der Arterhaltung im Allgemeinen und mit einer globalen Perspektive, zum Beispiel indem wir eine Fachgruppe für Wasserpilze bei der IUCN Species Survival Commission (IUCN SSC) aufbauen.

Wasserpilze weisen eine erstaunliche funktionelle und taxonomische Vielfalt auf, die derzeit noch weitgehend unbekannt ist. Dieses Projekt ist ein erster großer Schritt, um diese Vielfalt innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft genauer zu untersuchen.