kultur und gesundheit

Die dritte Vorlesung des neuen Kurses an der USI, Giuseppina Spano: «Grün und Blau beeinflussen unsere Psyche»

Sonntag, 7. November 2021 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana

von Paolo Rossi Castelli

Nicht nur künstlerische und kulturelle Aktivitäten können einen starken, messbaren Einfluss auf unseren Organismus ausüben: Das zeigten die ersten beiden Vorlesungen des von der Università della Svizzera italiana (USI) in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Lugano und der IBSA Foundation für wissenschaftliche Forschung organisierten Kurses «Kultur und Gesundheit». Auch die natürliche Umwelt sowie die uns umgebende Schönheit haben einen grossen Einfluss auf uns und können eine Reihe wichtiger Parameter – sowohl psychologischer (Gemütsverfassung, Angst, Stress, Kreativität) als auch rein physischer Natur – verbessern (oder verschlechtern). Genau damit befasst sich die «Umweltpsychologie», ein junges Teilgebiet der Psychologie mit Fokus auf den Zusammenhang zwischen Naturlandschaft und Wohlbefinden der Menschen. Zur Eröffnung der dritten Vorlesung des Kurses der USI («Ein Blick in die Landschaft»), die am 8. November um 18 Uhr im Mehrzwecksaal des Campus Est in der Via La Santa 1 in Viganello abgehalten wird, wird die Umweltpsychologin Giuseppina Spano, Forscherin an der Universität Bari, extern zugeschaltet. Im Anschluss daran werden der Bergsteiger Romolo Nottaris und Professor Giovanni Pedrazzini, Kardiologe und Dekan der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften der USI, auf einige Aspekte dieses umfangreichen Themas näher eingehen. Die Leitung übernimmt hingegen, wie bei allen anderen Vorlesungen des Kurses, Professor Enzo Grossi, Autor des Buches «Cultura e salute, la partecipazione culturale come strumento per un nuovo welfare» (auf dt. «Kultur und Gesundheit, kulturelle Teilhabe als Mittel für neuen Wohlstand», Springer-Verlag).

Nun aber zurück zur Umweltpsychologie und Giuseppina Spano. Wir haben sie auf Zoom «getroffen», um einen Vorgeschmack auf die Vorlesung zu bekommen.

Frau Doktor Spano, was versteht man unter einer «gesunden» (oder besser gesagt gesundheitsfördernden) Umgebung für die Psyche?«Es gibt keine an sich wohltuende und „erholsame“ Umgebung», antwortet die Psychologin. «Im Gegenteil: Ein Ort, der für den einen von Vorteil ist, kann dem anderen schaden. Denken Sie zum Beispiel an den Strand, um ein Beispiel aus dem Video zu nennen, das ich für den Kurs der USI vorbereitet habe: Viele Menschen lieben ihn, doch andere wiederum fühlen sich in solchen Situationen unwohl ... Jeder von uns reagiert anders auf die Umgebung.»

Ist das eine kulturelle Frage oder gibt es auch eine «organische» bzw. physiologische Komponente, die mit unserem Gehirn und seinem Wahrnehmungsvermögen zusammenhängt?«Zu diesem Thema gibt es viele Theorien, die in das (hochinteressante, aber noch junge) Gebiet der sogenannten „Umweltneurowissenschaften“ fallen. Einige Forscher sprechen von „Biophilie“ bzw. einer angeborenen Tendenz (einem Gefühl oder einer Wahrnehmung), die durch die Menschen und ihre natürliche Umwelt auf unterschiedliche Weise stimuliert wird und dazu führen kann, dass wir Liebe zur Natur und generell zu sämtlichen Lebensvorgängen empfinden.»

Gibt es Studien, die wissenschaftlich und auf nachprüfbare Weise belegen, dass sich der Aufenthalt an bestimmten Orten positiv auf unsere Gesundheit auswirkt?«Vor etwa 40 Jahren widmeten sich insbesondere zwei Forscher erstmals dieser Fragestellung: Rachel und Steven Kaplan, Professoren an der University of Michigan in den Vereinigten Staaten. Sie waren die Wegbereiter der sogenannten „Attention Restoration Theory“, die für die Umweltpsychologie von grosser Bedeutung sein sollte. Den Studien der Kaplans zufolge können bestimmte Umweltfaktoren mentale Erschöpfung und Stress reduzieren und dazu beitragen, eingeschränkte kognitive, emotionale, physiologische und soziale Ressourcen wiederherzustellen.»

Gilt dies für alle Altersgruppen?«Laut einer Reihe internationaler Studien ja (auch wenn manche der Ergebnisse widersprüchlich erscheinen). Man hat zum Beispiel festgestellt, dass der kontinuierliche Zugang zu Grünflächen bei Kindern im Hinblick auf die geistige Gesundheit und kognitive Entwicklung (Erinnerungsvermögen, Konzentrationsfähigkeit, aber auch eine bessere Sozialisation und bessere schulische Leistungen) eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt. Zudem scheinen Kinder, die regelmässigen Kontakt zur Natur haben, als Erwachsene seltener Angststörungen und Depressionen zu entwickeln. Diese Studien müssen jedoch weiter ausgearbeitet und überprüft werden.»

Was sieht es bei älteren Menschen aus?«Was diese Bevölkerungsgruppe betrifft, gibt es eine äusserst rege Forschungstätigkeit. Manche Forscher gehen sogar so weit, einen regelmässigen Aufenthalt im Grünen – auch in Städten (ich denke an grosse Stadtparks) – mit einer Schutzwirkung gegen neurodegenerative Erkrankungen in Verbindung zu bringen.»

Welche Farbe besitzt die stärkere Wirkung: Blau (das Meer) oder Grün (die Wälder und die Landschaft)?«Es gibt natürlich unzählige Variablen, aber eines der ersten „Reviews“ (zusammenfassende Studien) zu diesem Thema, das von dem britischen Forscher Mathew White durchgeführt wurde, ergab eine geringere Inzidenz von psychischen Störungen bei der in Meeresnähe lebenden Bevölkerung (die Ergebnisse dieser Studie wurden in der wissenschaftlichen Zeitschrift Environmental Research veröffentlicht). White ging diesen Fragen nach, indem er sich unter anderem an der Studie „BlueHealth“ beteiligte, die von der Europäischen Union im Rahmen des Projekts Horizon 2020 mit dem Ziel finanziert wurde, die Zusammenhänge zwischen der Farbe Blau in der Natur, dem Klima und der Gesundheit zu untersuchen. Selbstverständlich können auch Grünflächen, angefangen bei kleinen Dingen, eine sehr starke positive Wirkung ausüben.»

Können Sie ein Beispiel nennen?«Ja, sicher. Die Gartenarbeit, um eine beliebte Tätigkeit zu nennen, übt eine starke „Macht“ über die Gesundheit aus, wie eine im International Journal of Environmental Research and Public Health veröffentlichte Studie zeigt, an der ich teilnahm. Diese Wirkung ist jedoch in individualistischen Gesellschaften (wie z. B. in den Vereinigten Staaten) viel stärker als in kollektivistischen (wie z. B. in Japan). Doch auch systematische und regelmässige Waldspaziergänge („Waldbaden“, auf Japanisch „Shinrin-Yoku“) haben positive Auswirkungen auf die Gesundheit, angefangen bei den Blutdruckwerten und der Herzfunktion, die wissenschaftlich belegt sind. Auch im Hinblick auf das Gefühl der Entspannung sowie auf die Kreativität und die sozialen Kompetenzen wurden deutliche Verbesserungen festgestellt.»

Blau, Grün ... Was ist mit der Farbe Weiss?«Erst seit kurzem haben Umweltpsychologinnen und -psychologen ihre Aufmerksamkeit auf die positiven Auswirkungen von Gebirgslandschaften mit Schnee und Eis gerichtet. Man ist sich des therapeutischen Wertes der „weissen Landschaft“ insbesondere für ältere Menschen immer mehr bewusst. Zufriedenheit, Freude und ein sehr starkes Identitätsgefühl (das Gefühl tiefer Verbundenheit mit der Berglandschaft, das vor allem die in der jeweiligen Umgebung geborenen und aufgewachsenen Menschen empfinden) sind leicht zu messen. Das Potenzial der weissen Landschaft muss jedoch noch erforscht werden.»