die Meinung

Für die Omikron-Variante
wird der neue Impfstoff
in drei Monaten kommen

Luca Varani
Dienstag, 7. Dezember 2021 ca. 4 Minuten lesen In lingua italiana

von Luca Varani
Direktor des strukturbiologischen Labors am IRB

Zunächst muss gesagt werden, dass noch sehr wenig über die als Omikron bezeichnete neue Variante bekannt ist. Aus den ersten erhobenen Daten geht hervor, dass Omikron in der Lage zu sein scheint, sich schneller auszubreiten als Delta, die derzeit in aller Welt dominierende Coronavirus-Variante.
Zudem weiss man noch nicht, ob Omikron im Vergleich zu den bisherigen Varianten mildere klinische Auswirkungen hat und somit zu weniger Problemen führt oder im Gegenteil schwerere Verläufe verursacht oder mit anderen Varianten vergleichbar ist. Es wurden sofort entsprechende wissenschaftliche Studien gestartet, die derart zügig vorangetrieben werden, dass uns schon bald neue Informationen zur Verfügung stehen werden.

Warum sollte man sich Sorgen machen, wenn es noch keine Gewissheit gibt? 
Zuallererst denke man an das Motto «Auf das Beste hoffen, sich auf das Schlimmste vorbereiten». Sollte sich Omikron aus klinischer Sicht als eine weniger gefährliche Variante erweisen, werden wir alle froh sein. Sollte die Virusvariante jedoch eine Anpassung der bestehenden Behandlungen, Impfstoffe und Therapien erforderlich machen, wird die bis dahin verstrichene Zeit von grundlegender Bedeutung sein.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist hingegen molekularer Natur. Das SARS-CoV-2-Virus benötigt eine Art «Haken», um in menschliche Zellen eindringen zu können: das mittlerweile berühmte Spike-Protein, das sich auf der Oberfläche der Virusmoleküle (der sogenannten Virionen) befindet. Impfstoffe und monoklonale Antikörper wurden speziell entwickelt, um einer Infektion vorzubeugen, indem sie das Spike-Protein blockieren und verhindern, dass es an die menschlichen Zellen andockt. Auf dieser Strategie basiert auch das Immunsystem derjenigen, die von einer Infektion mit SARS-CoV-2 genesen sind.

Im Falle der Omikron-Variante hat sich das Spike-Protein im Vergleich zu den anderen Varianten deutlich verändert (siehe Abbildung in der Bildergalerie zu diesem Text). 
Die erste wichtige Variante verbreitete sich in Italien bereits im März 2020: eine einzige Mutation (D614G), die sofort die Oberhand gewann. Die anderen «besorgniserregenden Varianten» («variants of concern») wiesen eine grössere, aber dennoch geringe Zahl an Mutationen auf, bis schliesslich die Omikron-Variante entdeckt wurde, die besonders viele davon besitzt.
 Die zahlreichen Mutationen befinden sich noch dazu ausgerechnet in jenen Regionen, die von den oben genannten Impfstoffen und monoklonalen Antikörpern angegriffen werden. Nahezu alle der heute auf dem Markt befindlichen monoklonalen Antikörper werden nicht in der Lage sein, das Spike-Protein der Omikron-Variante zu erkennen, um so das Virus wirksam zu blockieren. Man weiss noch nicht, ob die Impfstoffe ihre Wirksamkeit verlieren werden, befürchtet dies jedoch. Omikron trägt nämlich Mutationen, die bereits in der Beta-Variante (die sich in Südafrika und Brasilien ausgebreitet hat), gegen die sich die Impfstoffe als weniger wirksam erwiesen haben, vorhanden waren. 

Dann ist also alles verloren? Keineswegs, denn selbst im schlimmsten Fall wird es nur darum gehen, die bestehenden Behandlungen anzupassen. Pfizer hat bereits bekannt gegeben, dass in etwas mehr als drei Monaten ein Impfstoff gegen die neue Variante zur Verfügung stehen wird. Moderna hat sich diesbezüglich noch nicht geäussert, es ist jedoch ein ähnlicher Zeitrahmen zu erwarten. Die den Impfstoffen der beiden Pharmakonzerne zugrunde liegende mRNA-Technologie ermöglicht eine schnellere und kostengünstigere Impfstoffentwicklung. Darüber hinaus arbeiten Wissenschaftler und Pharmaunternehmen bereits an der Entwicklung neuer monoklonaler Antikörper.

Was ist mit dem Immunsystem der von COVID Genesenen? Wir wissen noch nicht, ob diejenigen, die mit dem «ursprünglichen» Virus oder der Delta-Variante in Berührung gekommen sind, vor Omikron geschützt sind. Entsprechende Tests werden in Kürze durchgeführt.

Warum verändert sich das Virus? Durch Zufall oder aus Versehen, könnte man sagen. Jedes Mal, wenn es zu einer Replikation der DNA kommt, besteht die Möglichkeit, dass etwas schiefgeht. Es kann passieren, dass die in einem kleinen Stück DNA (Base) enthaltenen Informationen nicht richtig kopiert werden. Dies gilt für Bakterien, Pflanzen, Tiere, Menschen und sogar Viren (SARS-CoV-2 verwendet RNA statt DNA, doch das ist in diesem Zusammenhang nicht relevant).
 Um zu wissen, wozu Veränderungen der DNA führen, braucht man nur an Darwin zu denken: Wenn die Mutation (Veränderung) schädlich ist, stirbt der von der Mutation betroffene Organismus sofort ab oder allmählich aus. Wenn die Mutation jedoch einen Vorteil bringt, dann kann sie von den Organismen mit dieser Mutation weitergegeben und auf diese Weise dominierend werden. Während sich der Mensch alle zwanzig Jahre fortpflanzt, können sich Bakterien und Viren in etwa zwanzig Minuten vermehren. Aus diesem Grund ist es für sie leichter, «Kinder mit einem Vorteil» zu zeugen, die an die Stelle ihrer «Eltern» treten.

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