oncologia

Frauen mit Brustkrebs? Man muss ihnen mehr Gehör schenken!

Venerdì 8 novembre 2019 circa 8 minuti di lettura In deutscher Sprache

Inbetriebnahme eines neuen, wichtigen Archivs über die Nebenwirkungen der Therapien, eine Initiative von Olivia Pagani (Zentrum für Senologie der Italienischen Schweiz). Eine Hilfe, um oftmals schwer zu treffende Entscheidungen abzuwägen
di Paolo Rossi Castelli

In diesen Tagen nimmt ein neues, wichtiges Archiv über die Nebenwirkungen der Therapien zur Behandlung von Brustkrebs (Kaiku, nach dem Namen des finnischen Unternehmens, das es verwaltet) den Betrieb auf: Gespeist wird es samt Erfahrungsberichten von den Patientinnen des Zentrums für Senologie der Italienischen Schweiz (CSSI, einer Einrichtung des Ente Ospedaliero Cantonale) und wird landesweit zu einem der umfassendsten Register werden. Es braucht allerdings mindestens zwei Jahre und eine Riesenmenge Datenblätter, die den Patientinnen regelmässig zugesendet und dann auch mit Systemen künstlicher Intelligenz ausgewertet werden (die Frauen können sie zuhause in aller Ruhe ausfüllen). Nach dieser Umfrage erhält man ein endgültiges Bild, das ein neues Licht auf eine noch nicht vollständig geklärte Welt werfen wird, da die Patienten gegenüber den Fachärzten nicht alles erzählen. Die Seele dieser Initiative – die von der Gruppe «Anna dai Capelli Corti» finanziert wird – ist Olivia Pagani, Onkologin am CSSI und Professorin an der Universität Genf und der Università della Svizzera italiana. Aber weshalb wirken die Frauen mit der Mitteilung ihrer Schwierigkeiten so zurückhaltend?

«Aus verschiedenen, allesamt delikaten Gründen – erklärt Doktor Pagani. – Vor allem aus Scham, Diskretion, aber auch Furcht, da sich die unerwünschten Wirkungen der Therapien auch auf den Gemütszustand, die Sexualität, die Selbstwahrnehmung auswirken. Aber viele Frauen sprechen auch wegen der mangelnden Aufmerksamkeit, die viele Ärzte diesen Aspekten einräumen, nicht gerne über ihre Probleme. Für die Ärzte geht es nämlich häufig allein um die Bekämpfung des Tumors, ohne sich um die damit verbundenen Konsequenzen zu sorgen, die als das geringere Übel betrachtet werden (in Wahrheit aber gravierend sein können).

Worum handelt es sich bei diesen Problemen hauptsächlich?

«Sie hängen von der „Kategorie“ der Arzneimittel ab, die nach dem chirurgischen Eingriff und nach der Radiotherapie (manchmal auch vorher) verwendet werden. Man darf nicht vergessen, dass es sich beim Brustkrebs in Wahrheit um verschiedene Krankheiten handelt, die jeweils einer personalisierten Behandlung bedürfen.»

Gibt es ein grosses Repertoire an Medikamenten?

«Zunächst gibt es den wesentlichen Unterschied zwischen Chemo- und Antihormontherapie. Die Chemo verwendet man in der Regel zur Behandlung von Patientinnen, die Tumoren ohne identifizierbare „Rezeptoren“ haben (zum Beispiel beim sogenannten dreifach negativen Krebs). In diesen Fällen bieten die Krebszellen keine bekannten „Ansatzstellen“ (bzw. Zielpunkte) für die selektiven Arzneimittel, die uns derzeit zur Verfügung stehen. Man muss also mit der Chemotherapie einschreiten, die darauf abzielt, die Replikation aller Zellen (wie z.B. der Krebszellen) zu blockieren, die sich kontinuierlich und schnell duplizieren. Die Nebenwirkungen der Chemo sind vor allem von den Frauen sehr gefürchtet, weil diese Arzneimittel fast immer zum Haarausfall führen sowie Übelkeit und Erschöpfung verursachen. Allerdings dauert die Chemo nur 3-6 Monate und danach wird allmählich wieder alles so wie vorher.»

Guarda la gallery Guarda la gallery Ein Tag in der Abteilung für Radiotherapie am Onkologischen Institut der Italienischen Schweiz (IOSI)
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Die Antihormontherapie hingegen?

«Diese Art der Behandlung wird von den Patientinnen meist als leichter betrachtet, da sie nicht zum Haarausfall führt und an ihr nicht der „schlechte“ Ruf der Chemo haftet. Tatsächlich kann aber auch diese Therapie unangenehme Wirkungen mit sich bringen, die ausserdem viel länger anhalten (durchschnittlich dauert eine solche Behandlung 5 Jahre, kann in manchen Fällen aber bis zu 10 Jahren betragen).»

Wie funktioniert das?

«Mit der Hormontherapie wird versucht, die Wirkung der Östrogene, der wichtigsten weiblichen Hormone zu bekämpfen, die in den verschiedenen Lebensphasen der Frau eine wichtige Rolle spielen, aber auch das Wachstum der Krebszellen begünstigen können: Vor allem, wenn an ihrer Aussenwand bestimmte Rezeptoren vorhanden sind (Moleküle, die buchstäblich aus den Zellen selbst herausragen) und die als Andockstellen fungieren. Die Antihormontherapie blockiert die Östrogene und bremst somit auch die Krebszellen auf effiziente Weise. Es ist klar, dass sich eine Hemmung der Östrogene auch auf andere biologische Mechanismen auswirkt und das Leben der Frau in vielerlei Hinsicht konditioniert.»

Können Sie das näher erklären?

«Es gibt im Wesentlichen drei Arten Hormontherapie. Die „leichteste“ ist die Behandlung mit Tamoxifen, einem Arzneimittel, das seit Ende der 90er Jahre verwendet wird. Die Östrogenbildung wird dabei nicht unterbunden, sondern nur ihre Wirkung blockiert. Aus diesem Grund hat es verglichen mit anderen Medikamenten eine begrenzte Auswirkung auf die intimsten Aspekte im Leben der Frau wie z.B. auf ihre Sexualität (insbesondere die Libido) und verursacht keine Scheidentrockenheit. Ausserdem wirkt es schützend gegen Osteoporose, kann aber zugleich zu einer Gewichtszunahme mit entsprechenden psychologischen Problemen führen, die nicht immer leicht in den Griff zu bekommen sind.»

Und die härteren Hormontherapien?

«Gilt Tamoxifen als nicht ausreichend (was, wie bereits erwähnt, von den Merkmalen des Tumors abhängt), greift man zu den sogenannten Aromatasehemmern, die eine intensivere Hormonsuppression bewirken. Insbesondere hemmen sie die Hormone, die ausserhalb der Eierstöcke gebildet werden (bei den Frauen in der Menopause – bei denen die Eierstöcke ihre Funktion mittlerweile eingestellt haben – wird eine geringe Menge weiblicher Hormone im Fettgewebe, im Brustgewebe und von den Nebennieren produziert). Dieser Wirkmechanismus funktioniert gut bei Frauen, die sich bereits in der Menopause befinden, nicht aber bei denen, die sich noch im zeugungsfähigen Alter befinden und deren Eierstöcke Östrogene in grossen Mengen bilden. Bei diesen Patientinnen muss auch die Eierstockstätigkeit mit entsprechenden Arzneimitteln gehemmt werden. Auf diese Weise aber wird die Wirkung der Östrogene vollständig blockiert, was z.B. für Fruchtbarkeit und Sexualität weitreichende Folgen hat.»

Ist das nicht ein zu grosses Opfer, das man da vor allem noch jungen Frauen abverlangt?

«Klar, eine solche Vorgehensweise mag exzessiv wirken. Aber der Kampf gegen einen rezidiven Tumor mit all seinen Folgen ist noch schlimmer. Eine Studie der International Breast Cancer Study Group, zu deren Koordinatorinnen ich gehörte, hat gezeigt, dass die Verwendung von Tamoxifen und der Aromatasehemmer in Kombination mit der Blockade der Eierstöcke bei Frauen mit hohem Rückfallrisiko eine Reduzierung der Metastasenbildung um 15% bewirkt. Das bedeutet, dass die Patientinnen, die nur mit Tamoxifen behandelt werden, nach 10 Jahren zu 74% die Möglichkeit haben, metastasenfrei zu sein, die Frauen mit Blockade der Eierstöcke zu 88-89%. Die Studie wurde an 5.000 Frauen in Europa, den USA, Japan und Südamerika durchgeführt.»

Eine schwierige, sehr schwierige Entscheidung ...

«Man muss alle möglichen Szenarien und das Verhältnis aus Risiko und Lebensqualität besonders aufmerksam betrachten. Die Ärzte sollten auf diese so delikaten Aspekte ganz besonders eingehen, was aber häufig nicht geschieht. Auf dem letzten Kongress der ESO (European School of Oncology) über Brustkrebs bei jungen Frauen, der letztes Jahr in Lugano stattfand, führte ein brillanter Forscher, Matteo Lambertini, unter den anwesenden Fachärzten eine Umfrage durch. Er verteilte ein Formular, auf dem man genau zu diesen Themen einige Fragen beantworten sollte. Es kam heraus, dass ein Drittel der Befragten beispielsweise von den Leitfäden zum Erhalt der Fruchtbarkeit bei den Patientinnen, die sich einer Blockade der Eierstöcke unterziehen müssen, keine Ahnung hatte. Angesichts eines derartigen Mangels an Sensibilität wird die „Flucht“ vieler junger Frauen vor der Therapie quasi unumgänglich. Aber so setzen sie sich auch erheblichen Risiken aus.»

Lassen sich diese Risiken präziser messen?

«Vor drei Wochen haben wir genau darüber eine Studie veröffentlicht und den Algorithmus präsentiert, der die verschiedenen Variablen berücksichtigt und das Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen berechnet (die Studie ist im Journal of Clinical Oncology, einer der wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften für Onkologie, erschienen). Überkreuzt man die vielen Daten der oben erwähnten Studien, dann wird deutlich, dass der Nutzen bei Frauen mit einem hohen Rezidivrisiko steigt, wenn die Therapie intensiviert wird.»

Wie kann man die Frauen beim Treffen der richtigen Entscheidung also am besten unterstützen?

«Man sollte von den rein technischen Aspekten zu den menschlichen Aspekten übergehen. Ein Onkologe, der eine junge Frau mit Brustkrebs behandelt, muss lernen, mit der Patientin zu kommunizieren, Empathie aufzubauen, ihre familiäre Situation, ihre Wünsche und Ängste zu berücksichtigen. Dann muss sie selbst entscheiden: Entweder möchte sie eine angenehmere Gegenwart und akzeptiert eine höheres Rezidivrisiko des Tumors, oder sie nimmt ein beschwerlicheres Leben in Kauf, das dafür mehr Sicherheit verspricht. Es gibt aber auch einen dritten Weg: Im Unterschied zur Chemo kann man die Hormontherapie nach einer gewissen Zeit unterbrechen, wenn die Nebenwirkungen unerträglich werden. Wichtig ist, ausführlich darüber zu sprechen.»

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