Willkommen im SUPSI-„Dorf“: Forschung, Vorlesungen und Zukunft (sowie Freizeitbereiche) rund um die Uhr

Interview mit Silvio Seno, Direktor des Departements für Umwelt, Bau und Design und Leiter des am Bahnhof Mendrisio gelegenen Campus, der etwa 1.000 Mitarbeiter und Studierende (5 Bachelor- und 3 Masterstudiengänge) umfasstvon Paolo Rossi Castelli
Die grossen Holztüren am Eingang öffnen sich automatisch – überraschenderweise nach aussen, wie Kirchentüren –, was diejenigen, die den Campus der SUPSI in Mendrisio zum ersten Mal betreten, ein wenig in Erstaunen versetzt. Die Decken dieses Gebäudes, dessen Inneres sich gänzlich von dem der anderen Universitätsgebäude unterscheidet, sind ausgesprochen hoch, wie die einer Kathedrale. Eine lange, breite Rampe führt fast bis ganz nach oben in den dritten Stock des Gebäudes. Bei dieser vom Architekten Andrea Bassi entworfenen Lösung handelt es sich um eine Darstellung des Weges, der zu Wissen und besserer Selbsterkenntnis führt – dies ist genau der Effekt, den man beim Betreten des Gebäudes (und der zu Wissen führenden Rampe) erlebt. Das Terrakottarot wie auch die antiken Materialien tun ihr Übriges (auch wenn die Infrastruktur in Wahrheit aus Beton besteht).
Eigentlich deuten die äusseren Formen dieses am Stadtrand von Mendrisio nahe des Bahnsteigs des gleichnamigen Bahnhofs gelegenen „Dorfes“, das nach aussen hin fast normal erscheint, in keiner Weise auf einen so unterschiedlichen Charakter hin. Im Inneren des Gebäudes sieht die Situation jedoch ganz anders aus.
Auf dem Campus, der das Departement für Umwelt, Bau und Design beherbergt, studieren rund 600 Studentinnen und Studenten, die sich in fünf dreijährige Bachelor- und drei Masterstudiengänge aufteilen. Was die Bachelorstudiengänge betrifft, sind etwa 60 % der Studierenden in den Studienrichtungen Architektur und Ingenieurwesen eingeschrieben, die restlichen 40 % hingegen in Design und Restaurierung. Darüber hinaus beschäftigt der Campus 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (d. h. Personen, die einen Arbeitsvertrag mit der SUPSI haben: Professoren, Forscher, Techniker und Verwaltungspersonal) sowie etwa hundert Dozentinnen und Dozenten aus der Arbeitswelt, insbesondere aus der Industrie sowie aus Freiberuflerbüros. Kurz gesagt, wenn man sie alle zusammenzählt, besteht das „Volk“ des Campus aus etwa tausend Personen, zu denen sowohl die Besucher als auch die Teilnehmer an beruflichen Weiterbildungskursen hinzukommen (nicht nur junge Leute...).
«Die Studentinnen und Studenten lieben diesen Ort – so Silvio Seno, Direktor des Departements – und bevölkern ihn rund um die Uhr. Es bleiben vor allem jene Studierenden, die ihre Projekte fertigstellen müssen, wenn die Prüfungen näher rücken, bis in die frühen Morgenstunden auf dem Campus. Nach Ende der Coronakrise (zumindest nach der akuten Phase) war es vor einigen Monaten wieder möglich, in den „Präsenzunterricht“ zurückzukehren. Für viele Studierende fiel dies mit der Entdeckung des neuen Campus zusammen (zuvor befand sich das Departement für Umwelt, Bau und Design in Trevano), der im April letzten Jahres auf dem Höhepunkt der Pandemie eröffnet wurde».
Das Gebäude wirkt in der Tat sehr einladend
«Ja, es gibt zahlreiche Räume zum Verweilen: Lernräume, Ateliers, die Mensa, die Cafeteria, die Bibliothek und natürlich die grosse Eingangshalle, in der sich die Studierenden gern aufhalten, um zu plaudern, ein Buch zu lesen, zu arbeiten und vielleicht zwischendurch etwas zu essen».
Hier befanden sich einst stillgelegte Industriegebäude...
«Es war eine politische Entscheidung, die ich gutheisse, diesem Gebiet und auf indirekte Weise dem ganzen Viertel neues Leben einzuhauchen. Die Zusammenarbeit mit der Stadt Mendrisio ist hervorragend. Ausserdem hat sich die Idee, den Campus in Bahnhofsnähe zu errichten, als strategisch sinnvoll erwiesen (für Pendler äusserst praktisch) und steht im Einklang mit der Philosophie der SUPSI, die auch im Bereich Transport auf maximale Nachhaltigkeit setzt. Darüber hinaus trägt der Campus zur Entwicklung eines Zentrums für Bauwesen in Mendrisio bei, wo sich bereits die Akademie für Architektur der USI befindet».
Nun aber zurück zu den Studierenden und der Professorenschaft
«Wir haben stets versucht, den Lehrkörper mit einer Reihe externer Dozentinnen und Dozenten (darunter auch einige namhafte) zu ergänzen. Auf diese Weise erleichtern wir unseren Studierenden den Einstieg in die Arbeitswelt: Oft erhalten sie nämlich, insbesondere im Bereich des Bauingenieurwesens, Stellenangebote von denselben Freiberuflerbüros, in denen unsere Dozenten tätig sind. Nicht umsonst finden 80-90 % der Studentinnen und Studenten nach Abschluss des Studiums innerhalb eines Jahres einen Arbeitsplatz (einige bereits während des Studiums). Denn schliesslich ist diese gesetzlich verankerte Aufgabe (bzw. Studierende in die Arbeitswelt einzuführen) eine der wichtigsten, die Fachhochschulen wie unsere zu erfüllen haben».
Es wird also ein stark praxisorientierter Unterricht angeboten, aber ihr befasst euch eigentlich auch mit Forschung...
«Ja, wir betreiben eine intensive, überwiegend anwendungsorientierte Forschungstätigkeit. Es handelt sich also nicht um theoretische Grundlagenforschung, sondern um eine sehr dichte Reihe von Studien, die versuchen, konkrete, unmittelbare Antworten auf die Bedürfnisse der Gesellschaft zu finden: beispielsweise im Hinblick auf Energie, natürliche Ressourcen und Gefahren, Materialien im Bauwesen, Mikrobiologie und Umwelt sowie kulturelle Vermittlung».
Um die Grundlagenforschung kümmert sich also die Università della Svizzera italiana?
«Es handelt sich um zwei sich gegenseitig ergänzende Sparten der Forschung. Die Grundlagenforschung ist eine Grundvoraussetzung für eine qualitativ hochwertige angewandte Forschung wie unsere. Ich selbst befasste mich zu Beginn meiner Karriere intensiv mit der Grundlagenforschung in meinem Fachgebiet, der Geologie, und wechselte anschliessend zur SUPSI, ohne jedoch meinen Lehrstuhl an der Universität Pavia aufzugeben. Am Departement für Umwelt, Bau und Design laufen derzeit nicht weniger als 216 sowohl kurz- als auch langfristige angewandte Forschungsprojekte, die vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, aber auch von der Europäischen Union, dem Kanton und der Innosuisse finanziert werden. Die Grundlagenforschung (die vorwiegend im Labor stattfindet) ist zwar, wie gesagt, sehr wichtig, möglicherweise aber für viele Bürgerinnen und Bürger schwieriger zu verstehen, da sie so gut wie nie unmittelbar zu konkreten Ergebnissen führt. Wir hingegen beschäftigen uns mit sehr viel alltäglicheren Themen wie dem Wirkungsgrad von Solarmodulen (die es allerdings ohne Grundlagenforschung nicht gäbe...)».
Und dann ist da noch die berufliche Weiterbildung...
«Ja, sie ist eine „Säule“, auf die wir grossen Wert legen. Das hat mittlerweile Tradition. Jedes Jahr besuchen rund 700 Fachleute unsere Kurse, um auf dem neuesten Stand zu bleiben und die eigenen Kenntnisse zu erweitern. Wir bieten Masterstudiengänge zu je 360 Stunden an, wie z. B. den Studiengang Real Estate, organisieren aber auch 17 Kurse zu je 120-180 Stunden, die mit einem Certificate of Advanced Studies (CAS) abgeschlossen werden, sowie 67 kürzere Kurse. Alle Weiterbildungskurse sind kostenpflichtig und werden freiwillig besucht. Mit anderen Worten: Bei uns gibt es keine Weiterbildungspflicht (anders, als es z. B. im benachbarten Italien der Fall ist). Wer sich dafür entscheidet, sich parallel zum Beruf weiterzubilden und weiterzustudieren, tut dies aus berufsethischen Gründen: Die berufliche Weiterbildung wird als eine Notwendigkeit empfunden, um die Qualität der eigenen Arbeit laufend verbessern oder die eigenen Kompetenzen an eine sich wandelnde Gesellschaft anpassen zu können. Ein paar Beispiele für die Themen unserer Kurse? Digitales Management von Gebäuden und ihre Nachhaltigkeit, Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Baustellenmanagement».
Sie sprachen vorhin von Solarmodulen
«Solarmodule zählen zu den Spitzenforschungsbereichen unseres Campus, der über das SUPSI PVLab, das einzige für die Prüfung solcher Module akkreditierte Schweizer Labor, verfügt. Eine weitere sehr wichtige, kürzlich eröffnete Einrichtung ist das Kompetenzzentrum für Klimawandel Centro competenze cambiamento climatico e territorio, in dem ein Team aus Spezialisten Methoden zur Begrenzung der Folgen des Klimawandels und Eindämmung der negativen Auswirkungen des menschlichen Handelns auf das Klima untersucht. Ausserdem steht uns das Fab-Lab zur Verfügung, ein hochmodernes digitales Fabrikationslabor, das es ermöglicht, Projekte, die in der digitalen Welt entstanden sind und offen zwischen Forschenden aus ganz Europa ausgetauscht werden, in reale Objekte zu verwandeln (mithilfe von 3D-Druckern und anderen Geräten)».
Ihr befasst euch aber auch mit Restaurierung
«Ja, unser Labor ist in der Schweiz, vor allem was die Restaurierung von Steinobjekten, Stuck und Wandmalereien anbelangt, sehr renommiert. Ausserdem bieten wir einen kompletten Studiengang für Konservierung und Restaurierung an (Bachelor- und Masterstudiengang)».
In der weiten SUPSI-Welt, die von Technik bis Musik reicht, wird auf diesem Campus auch über Stechmücken geforscht!
«Ja, wir forschen seit zehn Jahren auf diesem Gebiet und verfügen daher über entsprechende Erfahrung. Nicht umsonst hat uns der Bund zum schweizerischen Koordinations- und Kontrollzentrum für Tigermücken ernannt».
Befürchten Sie nicht, dass die angebotenen Studiengänge und der beschriebene Lehransatz zu „konkret“ sein können und möglicherweise keinen Raum für ideelle und spirituelle Reflexionen lassen?
«Nein, ganz im Gegenteil. Unser Departement ist sehr um einen offenen Dialog bemüht und organisiert daher oft Veranstaltungen, die auch für die Öffentlichkeit bestimmt sind, mit dem Ziel, Reflexionen über wichtige Themen und Ideale anzuregen. Ein Beispiel dafür ist „Emergenza Terra“ (Erde in Not), eine sehr beliebte Vortragsreihe mit namhaften Gästen zum Thema Klimawandel.
Im Schweizer Hochschulsystem wird nichts dem Zufall überlassen. Das gesamte System ist auf ein bestmögliches Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft ausgerichtet. Auf diese Weise werden Arbeitsplätze, Wohlstand für die Bürgerinnen und Bürger und eine starke Innovation hervorgebracht. Die berufliche Ausbildung ist eines unserer Aushängeschilder, angefangen bei den Entscheidungen, die es nach der Sekundarstufe I zu treffen gilt, und die SUPSI bietet eine optimale Ergänzung dieses Ausbildungsweges. Kurz gesagt, wir zählen nicht zu jenen Einrichtungen, die jungen Menschen „alle Türen und Tore öffnen“, sie aber gleichzeitig zwingen, alle Entscheidungen aufzuschieben.»