Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften

Tessin-Zürich: verstärkte wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der USI und der ETHZ

Dienstag, 8. November 2022 ca. 8 Minuten lesen In lingua italiana
Das Hauptgebäude der ETH Zürich (Foto Shutterstock)
Das Hauptgebäude der ETH Zürich (Foto Shutterstock)

Mögliche Einrichtung einer gemeinsamen Doktoratsschule mit „MD/PhD Joint Degree“-Programmen: eine innovative Verknüpfung der normalen medizinischen Ausbildung mit der gleichzeitigen Aufnahme einer Forschungstätigkeit
von Paolo Rossi Castelli

Ein äusserst dichtes und wachsendes Netz verbindet diejenigen, die im Tessin „Wissenschaft betreiben“ mit den Forschenden der Deutschschweiz: allen voran mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), einer der weltweit führenden Universitäten (in internationalen Rankings belegt sie stets Spitzenplätze neben Universitäten wie Harvard, Cambridge oder dem MIT in Boston). Dieses für Aussenstehende nicht immer leicht zu identifizierende Netz bietet insbesondere der medizinischen Forschung eine wichtige Stütze und hat wesentlich zur Gründung der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften der Università della Svizzera italiana (USI) beigetragen. Im Jahr 2023 werden in Lugano die ersten Medizinabsolventinnen und -absolventen die Universität verlassen – ein historisches Ereignis... Mindestens die Hälfte von ihnen durchläuft derzeit einen Studiengang, der vorsieht, dass die ersten drei Studienjahre (Bachelor) an der ETHZ und die letzten drei (Master) an der USI absolviert werden, wo sie schliesslich zur gleichen Zeit wie an allen anderen Schweizer Universitäten die Abschlussprüfung ablegen, um den Doktortitel in Medizin zu erwerben. Die Verbindungen zur Deutschschweiz laufen jedoch auch über die Universität Basel (die eine weitere Gruppe von Studierenden stellt, die die Kurse der Fakultät für biomedizinische Wissenschaften der USI besuchen) und, auf der Grundlage eines vor wenigen Wochen unterzeichneten Abkommens, auch über die Universität Bern, die ab 2023 jedes Jahr etwa 15 Studierende in den Masterstudiengang der USI entsenden wird (an der es bislang keinen Bachelorstudiengang gibt). 

«Wir pflegen eine hervorragende Zusammenarbeit mit der ETH Zürich», bestätigt Giovanni Pedrazzini, Dekan der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften der USI. «Zwei unserer Dozenten, Andrea Alimonti und Federica Sallusto, haben zugleich ordentliche Professuren an der ETHZ inne. Doch auch andere Dozentinnen und Dozenten der USI arbeiten mit ihren Kolleginnen und Kollegen von der ETHZ zusammen, und es wurden zahlreiche Forschungsprojekte entlang der Achse Tessin-Zürich initiiert. Aus organisatorischer/administrativer Sicht stehen wir in ständigem Kontakt mit dem für den Medizinstudiengang zuständigen Personal des ETHZ. In Zürich wird das im Rahmen unseres Studiengangs eingeführte innovative Modell (das unter anderem auch bei den Studierenden sehr beliebt ist, Anm. d. Red.) sehr geschätzt, was uns ehrt».

Dagegen gibt es noch keine institutionelle Struktur zur Koordination von Forschungsprojekten. «Unser Ziel ist es, (und wir sind auf dem besten Weg dahin) – fährt Pedrazzini fort – eine gemeinsame Doktoratsschule der ETHZ und der USI mit „MD/PhD Joint Degree“-Programmen einzurichten: Hierbei handelt es sich um einen für Laien möglicherweise schwierig zu interpretierenden Fachbegriff, der für eine innovative Verknüpfung der normalen medizinischen Ausbildung mit der gleichzeitigen Aufnahme einer Forschungstätigkeit steht». 

In Wirklichkeit war es nicht einfach, den Widerstand und das Misstrauen der historischen medizinischen Fakultäten (der Universitäten Zürich, Bern, Basel, Lausanne und Genf) zu überwinden, die lange Zeit die Gründung neuer Fakultäten, wie der in Lugano, aber auch der in Luzern und St. Gallen, die als ein zu schwieriges und kostspieliges Unterfangen angesehen wurden, behindert hatten. «Das Tessin fungierte als eine Art Katalysator für die „Bewegung“, die zu einem erweiterten Angebot an medizinischen Studiengängen in der Schweiz führte (das dem Mangel an in der Schweiz ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten entgegenwirken sollte)», erklärt Alain Kaelin, Leiter sowohl des Neurocentro als auch der Doktoratsschule für biomedizinische Forschung der USI. «Als das Tessin mit grosser Entschlossenheit verkündete, auf dieses Ziel hinarbeiten zu wollen, trug es dazu bei, eine Reihe von Vetos zu kippen und den (vom Parlament vorgegebenen) Einführungsprozess zu erleichtern, der schliesslich sogar die historischen Universitäten dazu veranlasste, die Zahl der angebotenen medizinischen Studiengänge zu erhöhen. In der Schweiz werden heute pro Jahr etwa 1.000 Ärztinnen und Ärzte mehr ausgebildet als vor fünf Jahren».

Die ETH Zürich, die sich nachdrücklich für den Einstieg in den biomedizinischen Bereich einsetzte, entschied sich nach einer sorgfältigen Recherche bald für die USI als Partnerin. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Universitäten war, wie gesagt, von Anfang an erfolgreich und wird zunehmend stärker. Komplexer und schwieriger gestaltet sich jedoch die Beziehung zur Universität Bern. Doch die Ernennung von Professor Claudio Bassetti zum neuen Dekan der medizinischen Fakultät hat zur Unterzeichnung einer Reihe von Kooperationsabkommen beigetragen. Erst in den letzten Tagen hat zum Beispiel das von der Berner Doktoratsschule ins Leben gerufene „Cardiovascular Research Cluster Bern“ auch der USI die Mitarbeit in einem Schweizer Herz-Kreislauf-Forschungsnetzwerk angeboten. «Dies ist ein wichtiger Schritt», betont Kaelin (der ebenfalls vom Universitätsspital Bern ins Tessin kam). «Er bedeutet nämlich, dass Studierende aus Bern in Zukunft an unserer Universität Kurse besuchen können, die es dort nicht gibt (z. B. den von Professor Lucio Barile gehaltenen Kurs zum Thema Herzstammzellen), und umgekehrt: Auch die Studentinnen und Studenten des Cardiocentro werden im Rahmen dieser Zusammenarbeit die Möglichkeit haben, Kurse in Bern zu belegen. Es handelt sich um eine neue Initiative, die dieses Jahr gestartet wurde».

In Wahrheit hat sich der „Austausch“ der Kurse zwischen der USI und der Deutschschweiz bereits bewährt, insbesondere mit der ETHZ und der Universität Zürich: Im Fachjargon nennt man diese Art der Partnerschaft „Common Trak and Courses“. Es wird jedoch auch ein „Cotutelle-Verfahren“ in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich (sowie mit zwei italienischen Universitäten: Humanitas University in Mailand und Universität Padua) durchgeführt. Der Begriff „Cotutelle“ bedeutet, dass die Studierenden einen Teil ihres Dissertationsprojekts an den Partnereinrichtungen durchführen und schliesslich einen gemeinsamen Abschluss erwerben.

Die Verbindungen zwischen dem Tessin und der Deutschschweiz nehmen also im Bereich der Grundlagenforschung (die hauptsächlich im Labor stattfindet) zu. Es fehlt jedoch noch an einer stabilen Koordinationsform. Im Bereich der klinischen Forschung, die sozusagen direkt am Patientenbett stattfindet, gestaltet sich die in diesem Fall gut etablierte Zusammenarbeit ganz anders. «Seit über fünfzig Jahren – so der Onkologe Franco Cavalli, Präsident der Stiftung IOR – gibt es in der Schweiz im Bereich der Krebsforschung eine nationale Kooperationsgruppe: die SAKK (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung), die vom Bund, aber auch von Unternehmen und privaten Spendern finanziert wird. Alle onkologischen Einrichtungen der Schweiz, die klinische Forschung betreiben, sind Mitglieder der SAKK: das Tessin wird durch das IOSI (Onkologische Institut der italienischen Schweiz) vertreten. Oder besser gesagt: Alle onkologischen Zentren müssen dieser nationalen Organisation beitreten. Auf diese Weise stehen nämlich die Leiterinnen und Leiter der onkologischen Institute der Schweiz und natürlich auch des Tessins in ständigem Kontakt miteinander. So sind beispielsweise Forschende mit dem Schwerpunkt Dickdarmkrebs innerhalb der SAKK Teil einer Gruppe, die sich mit dieser Krebsart befasst, um eine einheitliche und fortschrittliche Behandlung in allen Kantonen zu gewährleisten. Die Forscherinnen und Forscher treffen sich einmal pro Monat. Zudem werden Halbjahresversammlungen organisiert, bei denen alle zusammenkommen. Kurzum, was die klinische Forschung betrifft, ist die Zusammenarbeit sehr gut strukturiert und intensiv, ich würde sagen, alltäglich».

Die ursprüngliche Idee, die jedoch nicht vollständig umgesetzt werden konnte, war, eine Art grosses, dezentralisiertes nationales Krebsinstitut zu gründen. Aus diesem Grund entschied man sich für das „Modell“ der SAKK. In anderen Bereichen der Medizin, wie z. B. der Kardiologie oder der Neurologie, gibt es keine vergleichbare Einrichtung. In diesen Bereichen erfolgt die Zusammenarbeit zwischen den klinischen Forschenden aus dem Tessin und jenen aus der Deutschschweiz auf dem Weg der Grundlagenforschung: Sie basiert also sehr oft auf persönlichen Kontakten oder auf Projekten einzelner Institute, stets mit der Absicht, sich zu entwickeln und zu verbessern. Der von Professor Kaelin benutzte Slogan bringt es treffend auf den Punkt: Small is beautiful, but big is necessary. Quality and Flexibility. «Small is beautiful – klein, aber fein: Genau das trifft auf das Tessin zu, doch es reicht nicht», so Kaelin. «Wir müssen in grossen Dimensionen aber absolut flexibel denken und dabei auf höchste Qualität setzen».

(Dieser Artikel wurde für die in der Bellinzoneser Tageszeitung LaRegione veröffentlichten Rubrik Ticino Scienza verfasst)