Super-Algorithmen, um die Wärme unter der Erdoberfläche zu extrahieren, ohne Erdbeben zu verursachen...

Rolf Krause, Leiter des Instituts für Wissenschaftliches Rechnen der USI, koordiniert ein wichtiges Projekt zur bestmöglichen Nutzung der Geothermie, in Zusammenarbeit mit der ETH und dem Nationalen Hochleistungsrechenzentrum der Schweizvon Elisa Buson
Auf dem Weg in eine immer grünere Zukunft ist die Schweiz auf der Suche nach neuer, sauberer und erneuerbarer Energie, um sich endlich von der Atomenergie zu verabschieden und zugleich die Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen zu schmälern. Die Vorgaben kommen aus der Schweizer Energiestrategie 2050, die vom Bundesrat verabschiedet wurde und auf vier grundlegenden Säulen basiert: mehr Energieeffizienz, weniger Verbrauch, die graduelle Stilllegung der Atomkraftwerke und die Stärkung erneuerbarer Energien. Nicht nur die aus Wasser, Wind und Sonne gewonnene Energie, sondern auch die, die direkt aus dem «Herzen» unseres Planeten stammt: die geothermische Energie. Diese stellt eine besonders grosse Herausforderung dar: Früher hat sie den Boden unter den Füssen vieler Schweizer buchstäblich zum Beben gebracht, aber schon bald könnte es durch die Mathematik und die künstliche Intelligenz eine Lösung geben. Den Versuch untersucht das neue Projekt FASTER (Forecasting and Assessing Seismicity and Thermal Evolution in Geothermal Reservoirs), an dem die Università della Svizzera italiana (USI), der Schweizerische Erdbebendienst (SED), die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) und das Nationale Hochleistungsrechenzentrum der Schweiz (CSCS) beteiligt sind.
«Die geothermische Energie wird durch die Wärme unter der Erdoberfläche generiert, die sich durch einen progressiven Anstieg der Felstemperatur von durchschnittlich 3 °C je 100 Meter Tiefe manifestiert: eine Quelle sauberer Energie», erklärt Rolf Krause, ordentlicher Professor der USI und Leiter des Instituts für Wissenschaftliches Rechnen (ICS) sowie Koordinator des Projekts FASTER gemeinsam mit Thomas Driesner, Professor am Institut für Geochemie und Petrologie der ETH.
Die unter der Erdoberfläche angesammelte Energie kann durch Wasser oder Dampf, die vom geothermischen Gefäss spontan (z.B. durch Geysire) oder durch künstliche Schächte an die Oberfläche dringen, extrahiert werden. «Um den allgemeinen Bedarf eines Haushalts zu decken – so Krause weiter – muss man in 80-100 Meter Tiefe gehen, während die grössten Anlagen auch bis zu einem Kilometer hinabreichen können». Um solche Tiefen zu erreichen, muss man riesige Mengen Wasser unter hohem Druck einspritzen, um Fissuren im Gestein zu bilden: Diese Art der Stimulation durch Wasser birgt jedoch die Gefahr, unterirdische Vibrationen und sogar Erdbeben auszulösen.
2006 kam es in Basel zu einer Reihe Mikro-Erdbeben, die in einem Erdstoss der Stärke 3,4 mündeten, der in einem sehr grossen Bereich wahrgenommen wurde, wie der Schweizerische Erdbebendienst berichtet. Gleiches geschah 2013 in Sankt Gallen, als ein plötzlicher Austritt von unter hohem Druck stehendem Gas im Schacht die Techniker zwang, die Pumpleistung zu erhöhen, bis ein Erdbeben der Stärke 3,5 ausgelöst wurde, das von der Bevölkerung deutlich zu spüren war. Das war genug, um Angst zu schüren und weitere Erkundungen auf Schweizer Boden zu unterbinden.
«Um in Sicherheit zu arbeiten, muss man genau verstehen, wie viel Wasser und bei welchem Druck eingespritzt werden muss, aber es ist schwer hervorzusagen, wie das System reagieren wird, denn jedes Gebiet hat seine eigenen geologischen Merkmale», betont Krause. Um diese Hürde zu überwinden, wurde 2017 FASTER ins Leben gerufen, ein Projekt, an dem Geologen, Mathematiker und Informatiker eng zusammenarbeiten, um neue Instrumente zu schaffen, die die entstandene Erdbebengefahr zuverlässig und zeitnah schätzen, damit man eingreifen kann, um sie zu verhindern.
«Zur Vorhersage des Risikos muss man einen digitalen „Zwilling“ der Bohrstätte schaffen – so der Experte der USI. – Dazu haben wir eine Software entwickelt, die eine „multiphysikalische“ Simulation des Systems ermöglicht, also eine virtuelle Reproduktion der fluiddynamischen Prozesse, welche die Interaktion zwischen Flüssigkeit und Feststoff (Wasser und Fels) regeln. Hinzu kommen alle Variablen, die sie konditionieren, wie die Geometrie und die Geologie unter der Erdoberfläche, die Temperatur und die chemischen Reaktionen, die im Boden ausgelöst werden». Um mit hoher Auflösung zu «sehen», was selbst in den kleinsten Ritzen im Fels geschieht, bedarf es einer enormen Rechenleistung, und zwar der des Supercomputers des Nationalen Hochleistungsrechenzentrums der Schweiz (CSCS) in Lugano. Die Forscher erwarten allerdings, die künstliche Intelligenz und komplexe Algorithmen so nutzen zu können, dass das Simulationssystem vereinfacht wird und somit in der Zukunft auch von weniger leistungsstarken und energiefressenden Rechnern verwendet werden kann.
«Die Software – präzisiert Krause – hat zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, auch weit über die Geothermie hinaus, denn das mathematische Problem der Interaktion zwischen Flüssigkeit und Feststoff stellt sich in ganz unterschiedlichen Sektoren: Wir setzen sie beispielsweise bereit in Zusammenarbeit mit der Universität Luzern für die Simulation von Turbinen ein, die Universität Bern und das Cardiocentro Ticino hingegen werden sie zur Untersuchung der Funktionsweise der künstlichen Herzklappen verwenden. Dies – so Krause abschliessend – sind die unglaublichen Möglichkeiten, welche die Abstraktion der Mathematik, die „Sprache“ der Algorithmen, bietet: Ihre Stärke liegt in der Möglichkeit, die Wirklichkeit zu betrachten, ohne uns in Details zu verlieren, und den Kopf frei zu haben für das, was sich dahinter verbirgt».