immunologie

Das ist das verborgene «Mosaik», das die Abwehrkräfte des Körpers reguliert

Donnerstag, 19. März 2020 ca. 6 Minuten lesen In lingua italiana

In der Zeitschrift Nature Immunology die Ergebnisse einer bedeutenden Studie des Teams von Silvia Monticelli (IRB) in Kooperation mit dem IEO in Mailand. Im Fokus die Entzündungskrankheiten
von Agnese Codignola

Seit mehr als einem Jahr setzen die Immunologen einen Baustein nach dem anderen zu einem komplexen Mosaik zusammen, welches das Immunsystem beschreibt. Seit den Vorreiter-Studien Paul Ehrlichs, der 1908 (gemeinsam mit dem Russen Iljia Mecnikov) für seine grundlegenden Studien über die Immunologie mit einem der ersten Nobelpreise ausgezeichnet wurde, haben die Forscher nach und nach immer genauer erkannt, wer die Hauptakteure sind und wie sie von anderen Akteuren, wahren Co-Protagonisten, feinreguliert werden. Das Ergebnis ist eine Art lebendes Mosaik, das immer weiter wächst und sich aus immer facettenreicheren Kleinteilen zusammensetzt. Ein Mosaik, das bereits zu Therapien und Impfungen für Krankheiten verschiedener Art geführt hat.

Ein weiterer Baustein kommt aus einer wichtigen, in der Zeitschrift Nature Immunology veröffentlichten Studie der Forscher des Forschungsinstituts für Biomedizin (IRB) in Bellinzona und, insbesondere, des Labors von Silvia Monticelli, die mit dem Europäischen Institut für Onkologie in Mailand (insbesondere mit der Gruppe unter der Leitung von Gioacchino Natoli) zusammengearbeitet haben. Unterstützung kam aus der Schweiz vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, vom Swiss National Center for Competence in Research (NCCR) «RNA & Disease», von der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft und der Fondazione del Ceresio.

Um die Bedeutung der Entdeckung zu verstehen, haben wir uns an die Haupt-Forscherin gewandt, an Silvia Monticelli, die in Mailand geboren wurde und dort auch ihre Ausbildung absolvierte, aber im Tessin wohnt, um schliesslich 2007 nach einem Aufenthalt in Harvard in Bellinzona zu landen, wo sie heute die Forschungsgruppe für molekulare Immunologie des IRB leitet. «Wir alle sind mit ähnlichen Immunzellen bestückt, wie beispielsweise den T-Lymphozyten – erklärt sie. – Normalerweise verteidigen sie uns vor den Krankheitserregern und vor allen Situationen, die für den Organismus eine Gefahr oder zumindest nichts Positives bedeuten, indem verschiedene Reaktionen aktiviert werden. Dennoch geschieht es manchmal, dass diese T-Lymphozyten nicht so reagieren, wie sie sollen, sie irren sich und halten Zellen, Gewebe, Organe oder gar den ganzen Organismus für einen Feind, den sie zu zerstören versuchen. So entstehen die Autoimmunkrankheiten, deren Zahl in den letzten Jahrzehnten immer weiter angestiegen ist, denn man hat herausgefunden, dass viele Umstände, die zuvor vollkommen unerklärlich waren, auf einer solchen Autoimmunreaktion basieren.

Schau in die Galerie Schau in die Galerie Silvia Monticelli
Foto di Loreta Daulte Schau in die Galerie (5 foto)

In dieser mittlerweile sehr langen Auflistung, auf die sich Monticelli bezieht, stehen Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes Typ 1, verschiedene Rheumaformen, Leberkrankheiten (Hepatitis und Cholangitis), zahlreiche Haut- und Schilddrüsenkrankheiten sowie neuromuskuläre Erkrankungen und Lupus. Eine Gemeinsamkeit all dieser Erkrankungen ist eine nicht angemessen gesteuerte Immunreaktion. Auf dieser Annahme beruht die Idee, die Anstoss zu Monticellis Studien gegeben hat. Die Forscherin erklärt weiter: «Wenn wir uns vorstellen, dass die Lymphozyten bei normalen Bedingungen in der Lage sind, je nach Reiz unterschiedlich zu reagieren und sich so zu einem gewissen Reaktionstyp oder seinem Gegenteil zu orientieren, so müssen wir davon ausgehen, dass es Signale gibt, die ihnen sagen, ob sie beispielsweise eine Entzündungsreaktion auslösen sollen oder, wie es bei der Entwicklung eines Tumors der Fall ist, überhaupt nicht reagieren (dazu kommt es, weil die Tumorzellen beispielsweise in der Lage sind, für das Immunsystem unsichtbar zu sein). Wir haben uns also auf diese verschiedenen Signale konzentriert, die Steuersignale genannt werden, weil sie die Reaktion leiten.»

Durch die direkte Arbeit an den Lymphozyten gesunder Menschen haben die Immunologen zwei dieser Steuermoleküle beschrieben: Eines wird zur Einschränkung der Entzündungen aktiviert, das andere hingegen nährt und unterstützt die entzündungshemmende Reaktion. Es handelt sich um Moleküle, die vom Organismus synthetisiert werden und gegen die man sich im Falle einer übermässigen oder zu schwachen Reaktion spezifische pharmakologische Eingriffe vorstellen kann.

Diesbezüglich erklärt Monticelli: «Nehmen wir beispielsweise die multiple Sklerose, die wir als Modell für mögliche, wenngleich auch heute noch weit entfernte, therapeutische Anwendungen betrachten. In diesem Fall richtet sich die falsche Immunreaktion gegen das Myelin, die Schutzschicht um die Nervenfasern; Die Entzündung, die als Folge des Angriffs der T-Lymphozyten auftritt, verursacht mit der Zeit einen Myelinabbau, bis schliesslich die Fasern selbst beeinträchtigt sind, mit sämtlichen daraus resultierenden Folgen. Wir wissen, dass man die reaktiven Zellen der Patienten auch bei gesunden Menschen vorfindet. Das hat uns zur Vertiefung der Steuermechanismen veranlasst, die in diesem Fall in ihrer Aktion nicht ganz ausgewogen und harmonisch zu sein scheinen. Es ist denkbar, genau dort anzusetzen. Aber erst, nachdem klar ist, wer die Reaktionen unterstützt.» Hätte man ebenfalls bei der Multiplen Sklerose eine Therapie, die in der Lage ist, das entzündungsfördernde Signal bereits beim Aufflackern zu ersticken, so könnte man Einschreiten, bevor der Autoimmunangriff seine ganze Kraft entfaltet und die progressive Krankheit mit ihrem destruktiven Verlauf fortschreitet, so die Forscherin.

Das ist übrigens genau das, was die Arzneimittel und Antikörper für Autoimmunerkrankungen tun, die in den letzten Jahren entwickelt wurden und denen es häufig gelingt, die Symptome und Krisen zu kontrollieren. Bisher handelt es sich jedoch stets um Arzneimittel, die nachgeschaltet wirken, die also die abschliessenden Mediatoren der Entzündungsreaktionen blockieren und sie nicht bereits im Entstehen verhindern. «Theoretisch gesehen – so Monticelli – bedeutet ein vorgeschalteter Eingriff an diesen Steuerungen eine Lenkung der T-Lymphozyten in die richtige Richtung und verhindert das Entstehen unangemessener Reaktionen aller Art.»

Bislang ist das wenig mehr als ein Forschungshorizont, und nicht umsonst wird einer der nächsten Schritte die Untersuchung des Mechanismus sein, der im Blut von Multiple Sklerose Patienten entdeckt wurde, sowie die Überprüfung der Unterschiede im Vergleich zu gesunden Menschen. Aber alle grossen therapeutischen Schritte vorwärts entspringen ein- und derselben Wurzel: Dem korrekten und umfassenden Verständnis dessen, was bei einer gewissen Erkrankung im Unterschied zu den normalen Reaktionen geschieht. Nur darauf kann ein möglicher korrektiver Eingriff aufbauen.

Tags:
autoimmunität
Warning: Undefined array key "role" in /data/virtual/wwwscienza/public_html/news.php on line 436
entzündungskrankheiten
Warning: Undefined array key "role" in /data/virtual/wwwscienza/public_html/news.php on line 436
irb
Warning: Undefined array key "role" in /data/virtual/wwwscienza/public_html/news.php on line 436
t-lymphozyten
Warning: Undefined array key "role" in /data/virtual/wwwscienza/public_html/news.php on line 436
ticino-scienza
Warning: Undefined array key "role" in /data/virtual/wwwscienza/public_html/news.php on line 436