herz

Aus dem Cardiocentro neue Leitlinien für Patienten mit „Stent“

Montag, 4. Oktober 2021 ca. 5 Minuten lesen In lingua italiana

Im New England Journal of Medicine die Ergebnisse einer Studie, an der Marco Valgimigli, stellvertretender Chefarzt des kardiologischen Instituts am EOC, als Erstverfasser beteiligt war. Im Blickpunkt die Eingriffe an den Herzkranzgefässen
von Giacomo Perruzza

Aus dem Cardiocentro Ticino – und insbesondere mit der Handschrift des stellvertretenden Chefarztes Marco Valgimigli, stammen, in Kooperation mit einer grossen, in Europa, Asien, Südamerika und Australien verteilten Forschergruppe – neue, wichtige Leitlinien für Patienten, denen mittels Herzkatheters ein Koronarstent eingesetzt wurde (eine kleine Metallprothese, die in der Lage ist, die Koronararterien, welche den Herzmuskeln mit Blut versorgen, offen zu halten). Die neuen Indikationen betreffen vor allem die Patienten mit hohem Blutungsrisiko aufgrund anderer Krankheiten, die zur eigentlichen Herzerkrankung hinzukommen. Bei diesen Personen stellt sich das klinische Dilemma, wie lange eine nach dem Eingriff notwendige Therapie (die sogenannte duale Thrombozytenaggregationshemmung, abgekürzt DTAH) fortgesetzt werden soll, die zugleich aber auch das Blutungsrisiko erheblich erhöht. Die Forscher haben belegt, dass die Verabreichung der DTAH über nur einen Monat hinweg genügt, anstatt der bisher von den Protokollen vorgesehenen 3-6 Monate. Und die Ergebnisse dieser Studie, die vor kurzem auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie vorgestellt wurden, wurden im New England Journal of Medicine, einer der weltweit renommiertesten Fachzeitschriften für Medizin, veröffentlicht. Valgimigli ist der Erstverfasser und hat die Gestaltung der Studie massgeblich geprägt.

Das Foto vergrössern Das Foto vergrössern Das Foto vergrössern

«Wenn es um die Behandlung einer Verengung der Herzkranzgefässe geht, so wird schliesslich immer ein Stent eingesetzt – erklärt Valgimigli. – Diese kleine Prothese ermöglicht es, ein Gefäss an der Stelle, an der ein Verschluss in seinem Inneren den Blutfluss ins Stocken bringen oder vollständig stoppen kann, offen zu halten. Um zu verhindern, dass sich der Stent wieder verschliesst, ist zusätzlich zum Einsetzen auch die DTAH erforderlich, die das Blut etwas auflöst und somit verdünnt. Diese Therapie – so der Experte weiter – besteht aus der Kombination zweier Arzneimittel: Zum einen Aspirin, zum anderen ein Medikament, das ebenfalls blutverdünnend wirkt (Clopidogrel, Ticagrerol, Prasugrel). Bis vor ca. einem Jahr wurde diesen Patienten mindestens ein Jahr lang die Einnahme eines dualen Aggregationshemmers verschrieben; dann haben verschiedene Studien gezeigt, dass die Dauer der Therapie angesichts des deutlichen Blutungsrisikos, das mit der Therapie einherging, und der vergleichsweise geringen Vorteile auf die Wirkung, auf 3 bis 6 Monate reduziert werden sollte». Jetzt hingegen liegt die Indikation, wie bereits erwähnt, bei nur einem Monat.

Diese zeitliche Reduzierung ist wichtig, da die Verabreichung der aggregationshemmenden Therapie für die Patienten eine ganze Reihe von Belastungen mit sich bringt, da sie sich während dieser Behandlung keinen anderen diagnostischen Untersuchungen oder Operationen unterziehen können und wegen des hohen Blutungsrisikos nicht einmal zum Zahnarzt gehen dürfen. Durch die DTAH-Medikamente wird nämlich das Blut, das zum Herzmuskel führt, verdünnt, aber eben auch in allen anderen Teilen des Körpers, was Blutungen verursachen kann. Manche sind banal, wie Nasenbluten oder geringe Senkungen des Hämoglobins; andere hingegen sorgen dafür, dass der Patient wegen schwerer Probleme, z.B. Blutungen aus dem Magen-Darm-Trakt oder der Lunge, wieder ins Krankenhaus muss. Selbstverständlich weisen nicht alle Personen dasselbe Blutungsrisiko auf. Einige Kategorien scheinen wegen intrinsischer Eigenschaften oder wegen Medikamenten, die sie auch im Zuge anderer Erkrankungen einnehmen müssen, besonders gefährdet: Das gilt vor allem für Patienten mit chronischen Rheumaerkrankungen, onkologische Patienten, Personen mit einer primitiven Blutkrankheit, Schlaganfallpatienten oder Patienten, die bereits vorab einen niedrigen Hämoglobinspiegel aufweisen, also anämisch sind, oder eine Niereninsuffizienz aufweisen. Bei diesen Patienten besteht ein erhöhtes Risiko spontaner Blutungen, und werden sie längerfristig aggregationshemmend therapiert, können sich die Probleme selbstverständlich vermehren». 

Valgimigli und die anderen Forscher haben erfolgreich versucht, die Dauer der aggregationshemmenden Therapie genau für solche Patienten zu reduzieren. «Wir haben eine einmonatige DTAH– erklärt Valgimigli – mit dem sogenannten «Standard of Care» d.h. der sechsmonatigen Standardtherapie verglichen. An unserer Studie waren über 4500 Patienten aus 140 Zentren in 30 Ländern beteiligt. So hat die Studie auf sehr einfache Weise gezeigt, dass sich die Reduzierung der DTAH auf einen Monat in keiner Weise auf das Risiko eines möglichen Wiederverschlusses der Stents oder auf das Eintreten widriger Ereignisse (Tod, Infarkt, Schlaganfall, die man mit dieser Therapie ja genau vermeiden möchte) ausgewirkt hat. Im Gegenteil, es wurde eine erhebliche Reduzierung der Blutung nachgewiesen. Die wesentliche Aussage der Studie ist also, dass die einmonatige aggregationshemmende Therapie als neuer „Standard of Care“ anzusehen ist».

Ausserdem wurde die einmonatige DTAH auch mit einer geringeren Zahl ischämischer and hämorrhagischer Schlaganfälle assoziiert. «Ein Aspekt, der auch für mich recht unerwartet kam – bemerkt Valgimigli. – Eine Tendenz, die in der wissenschaftlichen Literatur immer häufiger beobachtet wird und dem Grundsatz less is more folgt: Wir sind an einem Punkt angelangt, wo paradoxerweise durch eine geringere oder kürzere Therapie nicht nur das Risiko damit verbundener Komplikationen, sondern auch die Ereignisse, welche die Therapie verhindern sollte, gemindert werden. Angesichts einer solchen Sachlage gibt es keinen Grund, die DTAH länger anzusetzen. Und das ist eine gewisse Befreiung für den Patienten».